Das Rennen um die Nachfolge von Kommissionspräsident Juncker ist eröffnet

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Die CSU eröffnet den Europawahlkampf – mit einem eigenen Kandidaten
für die Nachfolge von EU-Kommissionschef Juncker. Doch für den Erfolg ist er auf die Sozialdemokraten angewiesen, und die zieren sich. Auch Frankreichs Staatschef Macron stellt sich quer.

Von unserem Korrespondenten Eric Bonse, Brüssel

Das Rennen um die Nachfolge von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ist eröffnet. Gestern warf der deutsche CSU-Politiker Manfred Weber seinen Hut in den Ring – er will bei der Europawahl 2019 als Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP) antreten. Er wolle „einen Aufbruch zu einem besseren, geeinteren und demokratischeren Europa“, kündigte Weber in Brüssel an.

Doch aus Paris kam ein empfindlicher Dämpfer: Staatschef Emmanuel Macron teilte mit, dass er das System der Spitzenkandidaten ablehnt – er will die Juncker-Nachfolge anders regeln. Macrons Favoritin ist die amtierende EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager; sie könnte auf einer eigens gegründeten neuen Liste antreten. Auch die Sozialdemokraten im Europaparlament gingen auf Distanz.

Weber ist nicht unumstritten

Weber ließ sich jedoch nicht beirren. Der Niederbayer weiß die Spitze der EVP hinter sich, die in der CDU und CSU den Ton angeben. Bereits in der vergangenen Woche hatte sich Weber bei Kanzlerin Angela Merkel in Berlin das Okay für seine Kandidatur geholt. Auch CSU-Chef Horst Seehofer stützt seinen Parteifreund. Dessen Kandidatur sei eine „große Chance“ für die Bayern-Partei, die Europapolitik noch stärker zu prägen.

Bisher hat Weber allerdings wenig Strahlkraft entwickelt. Selbst in Deutschland ist der 46-Jährige kaum bekannt. In der Flüchtlingskrise 2015 lavierte er zwischen Merkel, Seehofer und dem ungarischen Regierungschef Viktor Orban, ohne sich festzulegen. Im Machtkampf zwischen Merkel und Seehofer präsentierte er sich als Vermittler. Die CSU habe „Europa gerockt“, erklärte Weber nach Seehofers Angriffen auf Merkel.

Im Europaparlament verhalf er einem Vertrauten des früheren italienischen Premiers Silvio Berlusconi zur Macht: Antonio Tajani wurde mit seiner Hilfe zum Präsidenten der Straßburger Kammer ernannt. Tajanis Wahl gilt bis heute als Fehlgriff. Zudem wird Weber wegen seiner Zusammenarbeit mit Orbans autoritärer Fidesz-Partei angegriffen. Fidesz ist Mitglied der EVP-Fraktion, die Weber leitet.

Bisher kein Linksbündnis in Sicht

Selbst in seiner eigenen Fraktion ist Weber umstritten. Ob er den Rückhalt der gesamten EVP genießt, wird sich erst Anfang November zeigen: Dann will die konservative Parteienfamilie ihren Spitzenkandidaten für die Europawahl nominieren. Neben Weber könnten auch der französische EU-Chefunterhändler für den Brexit, Michel Barnier, oder der frühere finnische Premier Alexander Stubb antreten.

Bei der letzten Europawahl 2014 lag die EVP mit 29,4 Prozent der Stimmen vorn. Ihr Spitzenkandidat Juncker wurde mit den Stimmen der Sozialdemokraten gewählt. Allerdings ist unklar, ob EVP und S&D 2019 noch eine Mehrheit zusammen bekommen.
In Brüssel rechnet man mit einem Erstarken der Rechtspopulisten. Auch die Liberalen sind im Aufwind; sie könnten sich mit Macron verbünden. Weber muss sich daher auf schwierige Verhandlungen einstellen – falls er es tatsächlich bis zur Europawahl schafft. „Wer Kommissionspräsident werden will, braucht die Mehrheit im Europaparlament, nicht nur die größte Fraktion“, sagt der Chef der SPD-Gruppe, Jens Geier. Sollte Weber keine Mehrheit der Abgeordneten hinter sich versammeln, müsse man über andere Allianzen nachdenken. Die deutschen Genossen bemühen sich bereits um Kontakte zu Grünen und Linken im Europaparlament. Bisher zeichnet sich allerdings kein Linksbündnis ab – fast alle Parteien wollen mit eigenen Spitzenkandidaten in den Wahlkampf ziehen. Ob sich das linke Lager danach auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen kann, scheint zweifelhaft.

Die Sozialdemokraten können zwar prominente Anwärter auf die Juncker-Nachfolge vorweisen: Mit Pierre Moscovici, Federica Mogherini und Frans Timmermans denken gleich drei amtierende EU-Kommissare über eine Kandidatur nach. Doch alle drei potenziellen Herausforderer haben den politischen Rückhalt in ihren Heimatländern verloren.
In Frankreich, Italien und den Niederlanden sind die Sozialdemokraten in der Versenkung verschwunden. Zudem ist unklar, wer am Ende für die Genossen ins Feld zieht und Weber herausfordert. Die Entscheidung soll erst Anfang Dezember auf einem Parteikongress fallen. Erst danach dürfte sich auch zeigen, wie Webers Chancen wirklich stehen.



Eine Chance nicht nur für Weber

Ein Kommentar von unserem Korrespondenten Werner Kolhoff, Berlin

Noch ist Manfred Weber nicht EU-Kommissionspräsident. Dazu müssen die Konservativen erst einmal die Europawahl gewinnen, dazu muss es dann eine Mehrheit im Parlament geben und schließlich müssen auch noch die Staatsoberhäupter den Weg frei machen. Trotzdem verändert schon die erklärte Spitzenkandidatur des CSU-Nachwuchstalents einiges, zumal sein Erfolg nicht unwahrscheinlich ist. Vor allen Dingen in Deutschland.
Das Wichtigste: Sie zähmt die CSU. Eine Partei, die den Juncker-Nachfolger stellen will, kann sich schlecht gleichzeitig antieuropäisch gebärden. Das Gerede über die schlimmen EU-Bürokraten dürfte in München nun weniger werden. Vielleicht auch die Anbandelungsversuche mit dem Ungarn Viktor Orban in Sachen Flüchtlingspolitik.

Der künftige EU-Kommissar wird wie der alte für eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik und gegen geschlossene Grenzen eintreten. Die Signale gehen aber noch über die Europapolitik hinaus. Weber hat noch nie auf dicke (Leder-)Hose gemacht, er ist ein ausgleichender Typ. Wenn er eine so herausragende Funktion bekommt – die wichtigste, die die CSU je hatte –, wird das auf den Stil der Partei zurückstrahlen. Das wäre für das Koalitionsklima in Berlin nur gut.

Es gibt auch zwei Wermutstropfen bei dieser Personalie. Der eine ist, dass Deutschland nun nicht auch noch den EZB-Präsidenten wird beanspruchen können; Jens Weidmann, Hüter eines harten Euro, hat wohl das Nachsehen. Wenn allerdings auf Mario Draghi ein anderer Nordeuropäer folgt, wird der Unterschied nicht sehr groß sein. Der zweite Wermutstropfen: Unions-Kanzlerkandidat für 2021 kann Weber wegen der Zeitabläufe kaum werden. Obwohl er auch nördlich der Weißwurstgrenze wählbar wäre. Man schmeißt so einen EU-Job nicht hin nach kurzer Zeit. Und so wird der alte Satz, dass ein Bayer nie Kanzler wird, vorerst wohl unwiderlegt bleiben.