„D’Amerikaner sinn do“: Heute vor 75 Jahren überquerten alliierte Truppen die belgisch-luxemburgische Grenze bei Athus

„D’Amerikaner sinn do“: Heute vor 75 Jahren überquerten alliierte Truppen die belgisch-luxemburgische Grenze bei Athus

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Am 9. September 1944 hielt die Bevölkerung von Petingen den Atem an. Die Nazis hatten bis auf einige Ausnahmen die Stadt verlassen und flüchteten Richtung deutsche Grenze. Aus Belgien kommend tauchten kurz vor Mittag die ersten US-amerikanischen Fahrzeuge vor der Stadt auf. Was passierte am ersten Tag der Befreiung Luxemburgs? Erklärungen.

Bereits zwei Wochen vor dem langersehnten Eintreffen der alliierten Armee in Luxemburg waren viele Deutsche unter teilweise chaotischen Umständen geflüchtet. Besonders nach der überstürzten Flucht der Zivilverwaltung am 1. September hatte das Gros der Nazis das Land in Richtung Deutschland verlassen. Die Angst vor den Amerikanern war groß. So soll ein Soldat der Wehrmacht gesagt haben, lieber noch zwei Jahre in Russland verbringen zu wollen als einen weiteren Tag in der Normandie.

Nach ein paar Tagen wurde es ruhig in Petingen. Die Besatzer waren quasi alle weg. Die Augen richteten sich nun gen Westen, wo die alliierte Streitmacht auf dem Vormarsch war. Ein Zeichen für ihre baldige Ankunft waren die amerikanischen Bomben- und Jagdgeschwader, die schon am Morgen des 9. September über Luxemburg flogen und die restlichen deutschen Stellungen angriffen. In Petingen nahmen sie unter anderem die Züge unter Beschuss, mit denen die Nazis flohen. Gegen Mittag dann hieß es, die Alliierten seien in Luxemburg angekommen. Die restlichen Deutschen verließen daraufhin eiligst das Land.

Bei ihrem Rückzug sollte die Brücke über der Chiers gesprengt werden, um den Vormarsch der Amerikaner zu verlangsamen. Als der Kommandowagen, der für den Sprengbefehl verantwortlich war, von einem alliierten Jagdflugzeug zerstört wurde, musste ein Kurier losgeschickt werden. Dieser aber hatte es sich anders überlegt und ging stiften. Als ein zweiter Kurier dem Sprengmeister die Nachricht überbrachte, soll er diesem geraten haben, schleunigst die Flucht zu ergreifen, da die Amerikaner immer näher kamen. Der junge Österreicher, er hieß Karl Schoener, befolgte seinen Rat aber nicht. „Pflicht ist Pflicht“, sagte er und bereitete die Sprengung vor. Bevor er die Brücke in die Luft jagen konnte, wurde er von der Kugel eines belgischen Resistenzlers getroffen. Seine Überreste wurden unter dem Namen Charles Schoener auf dem Petinger Friedhof begraben. Seine Mutter habe es so gewollt, erklärt Guy Kummer, Touristenführer aus Petingen und Experte für den Zweiten Weltkrieg in der Region. Das Grab wurde jahrelang von den Schwestern des lokalen Spitals und Privatleuten gepflegt. Die Konzession wurde ebenfalls regelmäßig erneuert. Sie läuft noch bis 2023.

M8-Panzerwagen unter Beschuss

Zurück zum 9. September 1944: Gegen Mittag tauchte der erste Panzerwagen, ein M8, in der rue de l’Eglise auf. Der Spähwagen bewegte sich langsam auf die verminte Brücke zu. Plötzlich wurde das Gefährt von einer Panzerabwehrstellung, die beim Fußballplatz eingerichtet worden war, unter Beschuss genommen. Die Munitionskammer wurde getroffen, der Panzerwagen fing sofort Feuer. Zwei der vier Besatzungsmitglieder sprangen brennend aus dem Fahrzeug und wälzten sich auf dem Boden, um die Flammen zu ersticken. Ein dritter Soldat wurde schwer am Bein verletzt, konnte sich aber ebenfalls retten. Der vierte Insasse des M8, Hyman Josefson, starb im Wrack. Heute erinnert ein Denkmal am Ort des Geschehens an den ersten G.I., der hierzulande sein Leben ließ. Die drei verletzten Soldaten wurden von Sanitätern in ein Lazarett in Frankreich verbracht, zwei von ihnen durften nach ambulanter Behandlung das Krankenhaus wieder verlassen.

Der schwer am Bein verletzte Soldat lag etwa sechs Wochen lang im Feldlazarett, ehe er in ein Spital nach England überführt wurde. Sein rechtes Bein musste unter dem Knie amputiert werden. Erst im November 1945 konnte er in die USA zurückkehren. Laut eigenen Aussagen war er sich nicht bewusst, dass er in Luxemburg verletzt wurde. Erst 41 Jahre später erfuhr er, wo sich der Vorfall genau ereignet hatte. Seitdem war er mehrmals in Petingen zu Besuch, unter anderem um seines gefallenen Kameraden zu gedenken.

Die gegnerische Abwehrstellung konnte trotz dieses Verlusts schnell neutralisiert werden. Die Amerikaner rückten langsam, aber sicher vor. Die Einwohner Petingens trauten sich nun aus ihren Häusern, um die Befreier überschwänglich zu begrüßen. Der Minenräumdienst konnte die Chiers-Brücke von ihrer explosiven Last befreien. In der Zwischenzeit war der alliierte Tross der 5. Panzerdivision Richtung Linger unterwegs. Dort traf man auf nur wenig Gegenwehr. Nur in Dippach gab es noch einigen Widerstand. Trotzdem war Bascharage schnell erreicht. Am folgenden Tag konnte die US-Armee Luxemburg-Stadt befreien.


16-Jähriger stirbt bei „friendly fire“

In Luxemburg gab es im Zweiten Weltkrieg viele zivile Opfer zu beklagen – und auch am Tag der Befreiung musste eines sein Leben lassen. Der 16-jährige Jean Junk starb bei einem sogenannten „friendly fire“ der Amerikaner. Am Vormittag des 9. September wollte er einen deutschen Wagen, der zuvor von Flugzeugen der Alliierten zerstört worden war, genauer unter die Lupe nehmen. Berichten zufolge soll ein deutscher General bei dem Angriff ums Leben gekommen sein. Ein Pilot eines US-Kampfflugzeugs wurde damals auf den Teenager aufmerksam, hielt ihn für einen deutschen Soldaten, eröffnete das Feuer und tötete so den jungen Luxemburger.

Im Rahmen der 75-Jahr-Feierlichkeiten, die in diesen Tagen in Petingen stattfinden, wird der Tod der G.I., der österreichischen Wehrmachtssoldaten und des jungen Luxemburgers im Rahmen einer historischen Darbietung thematisiert. Mehr Informationen finden Sie auf der Webseite www.petingen.lu.


„Desorientiert“

Als die Amerikaner in Petingen ankamen, waren sie laut Zeitzeugen etwas „desorientiert“. Laut Roland Breyer, dem Vorsitzenden des „Comité du souvenir de la commune de Pétange“, begegneten die G.I. der jubelnden Menge zunächst mit Misstrauen. Blumenkränze, die ihnen in ihren Fahrzeugen zugeworfen wurden, wurden kurzerhand wieder auf die Straße befördert. Die ersten Amerikaner, die Luxemburg erreichten, hörten nämlich eine Sprache, die sie für die deutsche hielten, und wähnten sich demnach bereits im Feindesland. Der damalige Kaplan von Petingen konnte ihre Zweifel schnell zerstreuen – und zwar durch einen Crashkurs in Geografie und Luxemburger Geschichte. Die Panzerbesatzungen tauten auf und feierten anschließend mit.


Hauptstadt der Gedenkstätten

Petingen kann man als inoffizielle „Luxemburger Hauptstadt der Gedenkstätten des Zweiten Weltkriegs“ betrachten. 20 Denkmäler erinnern in Petingen, Rodange und Lamadelaine an jene schwere Zeit. „Jedes erzählt eine Geschichte“, sagt Guy Kummer vom Petinger Tourismuscenter. „Auf diese Weise soll die Geschichte lebendig werden und sich nicht nur auf eine Skulptur oder Gedenktafel beschränken.“

Einen besonderen Stellenwert hat in diesem Zusammenhang in Petingen natürlich jenes Denkmal, das am 26. Oktober 1947 zu Ehren des ersten gefallenen US-Soldaten auf Luxemburger Territorium, Hyman Josefson, errichtet wurde. Der Vorstand des lokalen „Syndicat d’initiative“ setzte sich Ende November 1946 hierfür ein. Am 26. Oktober 1947 wurde das Denkmal, das von Claus Cito kreiert wurde, eingeweiht. Um das notwendige Geld für die Gedenkstätte aufzubringen, wurde unter anderem ein Gedicht des Luxemburger Journalisten und Dichters Hary Reiter in der Region verkauft. Das brachte damals mehr als 6.300 Franken ein.


Der Zweite Weltkrieg

Am 10. Mai 1940 wurde Luxemburg von den Nazis besetzt. Das Land wurde unter deutsche Verwaltung gesetzt. Die Besatzer trafen Maßnahmen, die die Eingliederung Luxemburgs in das Deutsche Reich zum Ziel hatten. In diesem Zusammenhang wurde eine Germanisierung der Bevölkerung durchgeführt. Sämtliche luxemburgischen Staatsstrukturen wurden abgeschafft. Die Verwendung der französischen Sprache wurde verboten.

Mit Propaganda wurde versucht, die Luxemburger für das Naziregime zu gewinnen – jedoch ohne Erfolg. Bei einer Volkszählung 1941 antwortete die Mehrheit der Luxemburger auf Fragen zur Staatsangehörigkeit, Volkszugehörigkeit und Muttersprache mit „luxemburgisch“. „Mir wëlle bleiwen, wat mir sinn“, so das Motto der Luxemburger.

Im August 1942 führte die Besatzungsmacht hierzulande die Wehrpflicht ein. Diese Maßnahme hatte Streiks in fast allen Teilen des Landes zur Folge. Die Deutschen verhängten daraufhin das Standrecht und ließen 21 Streikende erschießen. 10.211 Luxemburger wurden in die Wehrmacht zwangsrekrutiert. Mehr als ein Drittel weigerte sich jedoch, die deutsche Uniform zu tragen – und tauchte unter. Das Naziregime reagierte mit Deportationen in den Osten, Inhaftierungen in Konzentrationslager und Exekutionen.
Wie in anderen Ländern litt vor allem die jüdische Gemeinschaft unter dem Regime. Von den 3.700 im Großherzogtum lebenden Juden fielen 1.200 dem Holocaust zum Opfer. Während der Besatzung arbeiteten viele Luxemburger mit Widerstandsorganisationen zusammen. Letztere versteckten unter anderem Landsleute, die sich einer Zwangsrekrutierung entziehen wollten.

Es gab aber auch Kollaborateure, also Luxemburger, die mit den Nazis zusammenarbeiteten. Sie wurden nach Kriegsende systematisch gejagt und anschließend wegen ihrer Vergehen zur Rechenschaft gezogen.

Am 9. September 1944 marschierte die amerikanische Armee in Petingen ein. Tags darauf wurde die Hauptstadt befreit. Der Krieg war damit aber noch nicht beendet, denn im Dezember 1944 gingen die Deutschen im Norden des Landes zum Gegenangriff über. Die Ardennenoffensive endete mit der Befreiung von Vianden am 22. Februar 1945.
Großherzogin Charlotte kehrte am 14. April aus dem Exil zurück. Der Krieg in Europa endete am 8. Mai 1945 mit der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands. Nichtsdestotrotz war die Bilanz des Zweiten Weltkriegs dramatisch. Luxemburg hatte 5.700 Tote zu beklagen.


Lesen Sie dazu auch den Kommentar von René Hoffmann.

Die Befreiung Luxemburgs: Aus der Vergangenheit lernen


Hyman Josefson, der erste G.I., der 1944 in Luxemburg getötet wurde

Hyman Josefson, der erste G.I., der 1944 in Luxemburg getötet wurde

René Charles
9. September 2019 - 22.18

Amerika und Russland beliefern "grausame Diktaturen" mit Waffen, und das massiv. In Europa liefern in Kriegs- und Krisengebiete: England, Frankreich und vor allem Deutschland. So sieht es aus

Kann man überhaupt...
9. September 2019 - 21.17

...von Befreiung sprechen, bei den vielen, die nachher nichts mehr dazu gehören wollten?

Wester Gust
9. September 2019 - 11.09

Frage mich ob die Amerikaner überhaupt in einen Krieg gegen das Hitlerregime gezogen wären, wenn dieses mit den USA Handel getrieben hätte, und nicht systematisch alle amerikanischen Handelsschiffe versenken wollten. Mit vielen grausamen Diktaturen hat dieses Land ja immer gute Beziehungen gehabt. Gedankt sei aber den vielen jungen Menschen die deswegen ihr Leben lassen mussten. Wer weis ob nicht eine 2te Amtszeit von Trump uns einen 3. Weltkrieg bescheren wird????

Jacques Zeyen
9. September 2019 - 9.02

DAS waren noch Amerikaner. Oder besser,da hatten die Amerikaner einen Präsidenten. Heute unterstützen sie Schurkenstaaten und schauen nur nach ihren Interessen. Die GI's in Sandweiler und anderswo drehen sich in ihren Gräbern um.