25 Jahre Geheimradio – 100,7 feiert Geburtstag

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Zu seinem 25. Geburtstag leistet sich das soziokulturelle Radio 100,7 eine schmucke App und einen ehemaligen RTL-Wetterfrosch als neuen Programmchef. Das Radio, das als hundertprozentige öffentliche Alternative zum Platzhirsch RTL gedacht war, kam nie aus dessen Schatten heraus. Die Selbstironie gipfelt in der Bezeichnung „Geheimradio“, die sich der Sender vor einigen Wochen gegeben hat. Dennoch ist 100,7 nicht mehr aus der Medienlandschaft wegzudenken.

Am Anfang war der Wunsch, sozialen und kulturellen Vereinigungen eine landesweite radiophone Plattform zu geben. Denn obwohl mit dem 1991er Gesetz über die Liberalisierung der Radiolandschaft jede Privatperson und jeder Verein einen eigenen Sender aufmachen konnte, war die Reichweite von Lokalradios auf einige Kilometer beschränkt. Lediglich einige wenige Sender, Eldoradio, DNR oder ARA, hätten mit RTL mithalten können.

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100,7 ist somit ein Kind der Liberalisierung der Rundfunklandschaft. Dazu gezwungen worden war das Land durch äußere Umstände. Die 1980er waren für den audiovisuellen Sektor der industrialisierten Länder Jahre großer Umbrüche, schrieb der Berichterstatter zum Gesetzprojekt über die elektronischen Medien, Michel Wolter (CSV), 1991. Die meisten Länder hätten sich für Privatfernsehen geöffnet, ihren Radiobereich liberalisiert.

Auch Luxemburg blieb nicht davon verschont. Die auf belgischem Territorium produzierten Sendungen von „Radio Grénge Fluesswénkelchen“ störten am 22. Juli 1981 erstmals die Stille der Luxemburger Rundfunklandschaft, hieß es im eben erwähnten Bericht. Ende Oktober 1990 hatte die Post 44 Piratensender ausgemacht – neun Monate vor Inkrafttreten des Liberalisierungsgesetzes.

Gesetz von 1991

Dem Gesetzesprojekt vorausgegangen waren eine parlamentarische Orientierungsdebatte im Jahr 1988 sowie lange Gespräche mit der CLT, dem Mutterhaus von RTL, und mit den Zeitungsverlegern, die Einbußen bei den Werbeeinnahmen durch die neue Konkurrenz befürchteten.

Das Gesetz vom 27. Juli 1991 schrieb ebenfalls die Schaffung eines „Etablissement de radiodiffusion socioculturelle de Luxembourg“ (ERSL) vor. Finanziert würde es ausschließlich aus öffentlichen Mitteln.

Der Sender hatte einen schwierigen Start. Da war die Radiofrequenz 100,7, auf die der Sender ausstrahlen sollte, aber von RTL benutzt wurde. Unabkömmlich sei diese für einen guten Sendebetrieb, argumentierte der bisherige Radiomonopolist. ERSL durfte nur am Nachmittag senden. Mit RTL teilen musste der Neue nicht nur die Frequenz. Zurückgreifen musste er auch auf dessen Technik, die damals noch kleine Mannschaft sich mit einem Büro im RTL-Gebäude zufriedengeben.

Honorar für Politiker

„Menschen hören am Morgen Radio“, sagte Fernand Weides, Direktor von 100,7 von 1994 bis 2013. Zu seinen prioritären Aufgaben gehörte es daher, die Frequenz 100,7 den ganzen Tag über nutzen zu dürfen. Ein weiteres Ziel: eigene Räumlichkeiten beziehen. Sein Ganztagsprogramm bekam das Radio am 1. Juni 1997. Geografische Veränderungen gab es ebenfalls. Anfang 1996 mietete man sich in der hauptstädtischen avenue du X Septembre ein.

Auch finanziell hatte der Sender einen schlechten Start hingelegt. Doch diese Sorgen waren hausgemacht. Etliche freie Mitarbeiter boten dem Sender ihre Hilfe an. Unentgeltlich war das nicht. Sogar Politiker, die man in die Sendung einlud, bekamen ein fürstliches Honorar. Mit derlei in der luxemburgischen Medienwelt unüblichen Praxis wurde schnell aufgeräumt. 1994 war allen freien Mitarbeitern gekündigt geworden.

Dass das Großherzogtum mit einem richtigen öffentlich-rechtlichen Sender nun mit den Großen im Ausland gleichziehen und eine echte Alternative zu RTL werden könnte, missfiel. Ende Oktober 1996 deponierte die damalige Oppositionspolitikerin Anne Brasseur (DP) einen Gesetzesvorschlag, der das 1991er Mediengesetz von jeglichem Bezug auf ein Radioprogramm mit soziokultureller Ausrichtung säubern sollte.Ihren Angriff würzte sie mit den Ergebnissen einer Ilres-Umfrage. Die Reichweite würde ein Prozent nicht übersteigen.

Ungeachtet der Qualität einer Reihe von Sendungen zeige das Luxemburger Publikum keinen Bedarf an derlei spezifischem Angebot, so Brasseurs Begründung. Drei Jahre später war sie Unterrichtsministerin in der CSV-DP-Regierung. Von einer Abschaffung des Senders sprach niemand mehr offen. Zumal sich Premierminister Jean-Claude Juncker klar gegen ein Abschalten ausgesprochen hatte.

Die Station bricht auch 25 Jahre nach der ersten Sendung keine Zuhörerrekorde. Die Reichweite lag 2017 laut Jahresbericht des Senders bei den über Zwölfjährigen bei 5,8 Prozent. Im Unterschied zu RTL, das ein Generalisten-Radio ist, sei 100,7 ein Angebotsradio. Es biete ein kulturelles Programm an, das nicht jedermann gefalle. Jeder soll sich da rauspicken, was ihm gefalle, sagte Fernand Weides.

100,7 näher ans Volk

Doch seit dem Wechsel an der Direktionsspitze 2013 versuchte sich der Sender verstärkt den veränderten Gewohnheiten beim Medienkonsum anzupassen. Jean-Paul Hoffmann trat im August 2013 die Nachfolge von Weides an. Im Allgemeinen mache man ja Radio, um gehört zu werden, sagte uns Hoffmann, der am Donnerstag seinen Rücktritt einreichte (siehe nebenstehend). Seit ein paar Jahren arbeite man an der Professionalisierung der Strukturen und der Arbeitsweise des Radios, das inzwischen auf Kirchberg in Luxemburg angesiedelt ist.

Die Beiträge wurden gekürzt. Niemand höre mehr stundenlang zu, so Hoffmann. Das Rezept kommt gut an. Die Zuhörerschaft in absoluten Zahlen ist laut Senderangaben in den vergangenen fünf Jahren um 75 Prozent gestiegen. Neue Formate machen das Zuhören weniger anstrengend. Während der Wahlkampagne begleiten Reporter Spitzenpolitiker an einem ihrer Arbeitstage. Bürger und Bürgerinnen können in „Wann ech Premier wier“ ihre Wünsche an die Politik richten. Auch wenn diese Formate seit Langem bereits bei großen Sendern wie France Inter genutzt werden, bedeuten sie für 100,7 eine kleine Revolution. Das dürfte aber nur der Anfang sein. 100,7 näher ans Volk bringen – das ist eine der Hauptaufgaben des neuen Programmdirektors, Yann Logelin, bisher RTL-Sprecher und -Wetterfrosch.

Neue Ära im September 2017

Dass beim Radio in Zukunft eine neue Ära beginnen werde, wurde bereits im September 2017 ersichtlich, als der Ministerrat den IT-Unternehmer und „Atelier“-Mitbegründer Laurent Loschetter zum Verwaltungsratspräsidenten des ERSL ernannte.

Das abendliche englischsprachige Programm mit dem ehemaligen RTL-Moderator Benny Brown sieht Hoffmann als ersten Schritt, um weitere Zuhörerkreise zu erreichen. „Wir sind ein öffentliches Radio, das mit luxemburgischen Steuergeldern finanziert wird, aber wir erreichen 48 Prozent der Bevölkerung nicht. Obwohl auch sie Steuern zahlen.“

Seit Längerem schon überlege man sich, wie man Radio für alle machen könne. Und Programme in anderen Sprachen, Französisch etwa? Dazu fehlen dem Sender derzeit ganz einfach die Mittel und die Ressourcen, so Hoffmann. Änderungen beim Angebot mahnten kürzlich auch die Verfasser eines im April 2018 veröffentlichten Audits. Erstellt wurde er von Kollegen der öffentlich-rechtlichen Sender Irlands, der Schweiz und Schwedens. Die Programmierung sei zu breit und gleichzeitig zu spezifisch, heißt es dort. Auch gäbe es zu große qualitative Unterschiede in den Sendungen.

Der Sender müsse sein Angebot nicht nur an die unterschiedliche Zuhörerschaft anpassen, sondern auch an die Art, wie sie Medien konsumiert. Das Medienhaus müsse seine Zuhörer kennen, ihnen ein Programm anbieten, das jederzeit für sie relevant sei.