Ist der Finanzsektor schon sicher genug?

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Von Mark Roe*

Zur Person

*Mark Roe ist Professor an der Harvard Law School.

Aus dem Englischen von Sandra Pontow. Copyright: Project Syndicate, 2018. www.project-syndicate.org

Zehn Jahre nach der globalen Finanzkrise sind politische Entscheidungsträger immer noch damit beschäftigt zu ermessen, wie sich ein erneuter Zusammenbruch der Wirtschaft infolge von Bankenpleiten am besten verhindern lässt. Zwei aktuelle Publikationen – eine aus dem US-Finanzministerium und eine weitere von Ökonomen der US-Notenbank Federal Reserve – bieten einen Anhaltspunkt, wo wir heute stehen.

Im Bericht des US-Finanzministeriums wurde untersucht, ob die im 2010 verabschiedete Dodd-Frank Act vereinbarte Regelung, derzufolge die Aufsichtsbehörden zur geordneten Abwicklung gescheiterter systemrelevanter Banken ermächtigt sind – die Orderly Liquidation Authority (OLA) –, durch einen ausschließlich bei Gericht angesiedelten Mechanismus ersetzt werden soll. Die Studie des Finanzministeriums wurde auf Anweisung von Präsident Donald Trump durchgeführt, der damit auf Druck seitens mehrerer republikanischer Kongressführer reagierte – so etwa Jeb Hensarling, der den Bundesstaat Texas im US-Repräsentantenhaus vertritt und Vorsitzender des Ausschusses für Finanzdienstleistungen ist –, die sich dafür aussprechen, Aufsichtsbehörden durch Insolvenzgerichte zu ersetzen.

Letzten Endes preist das US-Finanzministerium zwar die Vorzüge einer vereinfachten Abwicklung gescheiterter Banken, lehnt es aber ab, die Zuständigkeit der Aufsichtsbehörden für die Restrukturierung von Banken aufzuheben. Hensarling brachte seine tiefe Enttäuschung über das Fazit des Finanzministeriums zum Ausdruck. Er hält gemeinsam mit seinen Kollegen weiter daran fest, dass der Dodd-Frank Act ein Beispiel für unangemessene staatliche Einmischung ist, der die Gefahr mit Steuergeldern finanzierter Bankenrettungen erhöht.

Das US-Finanzministerium hat anerkannt, dass der Vorschlag, die Aufsichtsbehörden außen vor zu lassen, problematisch ist. Die Restrukturierung von Banken in einer Krise erfordert Planung, Wissen um die Stärken und Schwächen der Bank, sachkundige Einschätzung des richtigen Zeitpunkts einer Bankenpleite in einem volatilen wirtschaftlichen Umfeld sowie die Fähigkeit, sich mit ausländischen Regulierungsbehörden abzustimmen.

Planung, Sachkenntnis

Ohne Vorausplanung und unverzügliche Beratung durch die Aufsichtsbehörden und ohne internationale Koordination können die Gerichte diese Aufgaben nicht erfüllen, zumal in der gegenwärtig vorgesehen Zeit, in der eine Entscheidung zur Abwicklung einer Bank – innerhalb eines 48-stündigen Wochenendes – getroffen werden soll.

Wenn mehrere Großbanken gleichzeitig untergehen würden, wären Insolvenzgerichte zudem nicht in der Lage, die Krise zu bewältigen, von der die gesamte Wirtschaft erfasst würde. Sie sind nicht dafür ausgebildet, einen landesweiten Sanierungsplan zu erstellen. Und sie sind nicht in der Lage, das Vorgehen mit ausländischen Aufsichtsbehörden zu koordinieren.

Vor diesem Hintergrund würde es einen großen Rückschritt bedeuten, die Restrukturierung durch die Aufsichtsbehörden abzuschaffen. Insofern ist der Bericht des US-Finanzministeriums eine gute Nachricht, vor allem weil es gut sein kann, dass das Repräsentantenhaus ohne Unterstützung aus dem Finanzministerium aufhört, auf diese Änderung zu drängen.

Der zweiten unlängst erschienen Veröffentlichung zufolge – die von mehreren Ökonomen der Fed herausgegeben wurde – bleiben dennoch Aufgaben zu bewältigen. Die wichtigste Schlussfolgerung dieses Berichts besteht darin, dass sich die Restrukturierungspläne noch nicht in der Marktpreisbildung für Bankanleihen widerspiegeln.

Nach der Krise waren Mitarbeiter des Internationalen Währungsfonds und andere zu dem Schluss gelangt, dass Banken deutlich mehr Eigenkapital benötigen, um Verluste aufzufangen. 2009 bestand die Finanzierung vieler Großbanken aus lediglich fünf Cent von jedem Dollar an Eigenkapital; der Rest waren Schulden (Bankeinlagen, Tagesgeld und langfristige Anleihen). Wenn also die Bank bei ihren Geschäften Verluste von sechs Cent pro Dollar ihres Fremdkapitals gemacht hat, konnte die Forderung eines Gläubigers nicht vollständig beglichen werden. In dem Bestreben, Verluste zu vermeiden, beeilten sich viele Bankgläubiger, an ihr Geld zu kommen, was das gesamte Bankensystem unter Druck setzte und unter Umständen einen Ansturm auf die Bank auslöste.

Problem Eigenkapital

Der Studie des IWF zufolge hätten die meisten Banken die Krise gut überstehen können, wenn 15 Cent von jedem Dollar ihrer Finanzierung Eigenkapital gewesen wäre. Trotzdem halten Banken weiterhin lediglich acht oder neun Cent pro Dollar ihrer Finanzierung aus Eigenkapital vor, obwohl Aufsichtsbehörden auf eine Erhöhung gedrängt haben. Die größten Banken haben sogar eine Verringerung dieser suboptimalen Eigenkapitalquote gefordert.

Aufsichtsbehörden und Banken haben versucht, einen Mittelweg zu finden, um die Sicherheit zu erhöhen. Zusätzlich zu den acht Cent Eigenkapital streben Banken heute an, weitere acht Cent pro Dollar ihrer Verbindlichkeiten zu halten, die im Lauf eines Wochenendes in Eigenkapital umgewandelt werden könnten. In einem solchen Szenario könnte eine angeschlagene Bank mehr Verluste auffangen und den Betrieb aufrechterhalten, was den Anreiz für Bankgläubiger verringert, ihre Einlagen abzuziehen.

Es könnte sich allerdings ein Problem ergeben. Dem gegenwärtigen Plan zufolge sind bestimmte Gläubiger vorab auserkoren worden, die Verluste einer zusammengebrochenen Bank aufzufangen, sobald das Eigenkapital aufgezehrt ist. Die Einlagen dieser Gläubiger sind somit risikoreicher und sollten für die Bank teurer sein als das Fremdkapital der Bank, das nicht dazu bestimmt ist, in Eigenkapital umgewandelt zu werden. Die Ökonomen der US-Notenbank gelangen dennoch zu dem Schluss, dass sich diese Unterscheidung auf dem Markt nicht widerspiegelt. Warum?

Drei Erklärungen

Die erste Möglichkeit ist recht optimistisch: Finanzmärkte gehen davon aus, dass es während der Laufzeit der bestehenden Schuldtitel von Banken nicht zu einer weiteren Finanzkrise kommen kann. Aber können die Märkte wirklich glauben, dass eine Krise in den kommenden zehn Jahren völlig ausgeschlossen ist? Die Gefahr eines Handelskrieges oder einer Fiskalkrise (wenn die prognostizierte Billionengrenze beim US-Haushaltsdefizit überschritten wird) ist real, offensichtlich und lässt die Kurse an den Aktienmärkten schwanken.

Eine weitere, neutralere Möglichkeit besteht darin, dass Märkte die unterschiedlichen Arten von Verbindlichkeiten nicht mit unterschiedlichen Preisen versehen, weil sie nicht verstehen, dass es Teil des Plans ist, einige Gläubiger hart zu treffen und andere zu schützen. Das ist allerdings ebenfalls unwahrscheinlich, weil der Plan in Finanzkreisen weithin bekannt ist und Ratingagenturen wie Moody’s die Forderungen an Banken, die zur Deckung von Verlusten herangezogen werden können, als riskanter bewerten als reguläre Forderungen an Banken.

Die dritte Erklärung ist beunruhigender. Vielleicht verstehen die Finanzmärkte die Pläne, schenken ihnen aber (noch) keinen Glauben. Die Restrukturierung von Großbanken übers Wochenende ist nie zuvor versucht worden und Kommentatoren sehen mögliche Hürden, die noch zu überwinden wären. Sachkundige Investoren gehen vielleicht davon aus, dass die Banken und der Staat letzten Endes nicht zwischen Gläubigern, deren Kapital zur Deckung von Verlusten herangezogen werden soll, und anderen Fremdkapitalgebern unterscheiden werden. Entweder werden alle untergehen oder alle werden gerettet.
Wenn das der Grund sein sollte, ist er enttäuschend, wenn man bedenkt, wie viel Arbeit sowohl in die Entwicklung der Restrukturierungsmechanismen durch Aufsichtsbehörden als auch durch Insolvenzgerichte geflossen ist.