Sven Hannawald über Burn-out im Sport: „Habe mich in den Wahnsinn getrieben“

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Im Jahr 2002 schrieb Sven Hannawald Geschichte, als er als allererster Skispringer das Kunststück schaffte, alle vier Springen der renommierten Vierschanzentournee zu gewinnen. Doch nach diesem Triumph ging es für den Deutschen bergab. Er fiel aufgrund eines Burn-outs in ein tiefes mentales Loch und verkündete drei Jahre nach seinem großen Erfolg seinen Rücktritt vom aktiven...

Im Jahr 2002 schrieb Sven Hannawald Geschichte, als er als allererster Skispringer das Kunststück schaffte, alle vier Springen der renommierten Vierschanzentournee zu gewinnen. Doch nach diesem Triumph ging es für den Deutschen bergab. Er fiel aufgrund eines Burn-outs in ein tiefes mentales Loch und verkündete drei Jahre nach seinem großen Erfolg seinen Rücktritt vom aktiven Leistungssport.

Dazwischen wagte der ehemalige Weltklasseathlet noch einmal einen Abstecher in die Welt des Motorsports, um jetzt wieder zu seinen Wurzeln zurückzukehren. Als TV-Experte fürs Skispringen arbeitet Hannawald heute vor der Kamera. Außerdem hat er sich mit einer Unternehmenberatungs-Firma ein zweites berufliches Standbein aufgebaut. In seiner Rolle als Berater gibt er auch Erfahrungen über seine Leidenszeit weiter. Im Tageblatt-Interview geht der 43-Jährige auf die verschiedenen Aspekte der psychischen Herausforderungen im Sport ein.

Tageblatt: Herr Hannawald, wie würden Sie Ihre bisherige Laufbahn in einigen Sätzen beschreiben?

Sven Hannawald: Aus einem ehrgeizigen Kind wurde ein perfektionistisch-ambitionierter Mann. Dieser Mann hat sich durch alles durchgeboxt, obwohl er nicht mitkommen hat, dass Ehrgeiz und Perfektionismus nicht miteinander kombinierbar sind. Er hat es verpasst, Pausen einzulegen.

Das Thema Burn-out war zu Ihrer Zeit noch nicht so aktuell wie heute …

Nein, eigentlich gar nicht. In der Öffentlichkeit war nur der Fall des deutschen Fußballprofis Sebastian Deisler bekannt. Aber kein Mensch konnte so wirklich etwas mit der Diagnose Burn-out anfangen. Erst als der Arzt bei mir das Gleiche feststellte, setzte ich mich mit dieser Thematik auseinander. Es gab noch nicht viele Informationen über dieses Thema. Es wurde eher verheimlicht.

Daran hat sich auch heutzutage wenig geändert. Das Thema Burn-out bleibt vor allem im Sport noch immer ein Tabu …

Es wird schon viel von den Agenturen und Managern der Sportler vertuscht. Ich glaube schon, dass es auch eine gewisse Dunkelziffer gibt. Ich bin froh darüber, wenn auch andere Profisportler sich trauen, über die Drucksituation im Sport zu reden. Der Fußballer Per Mertesacker ist hier ein gutes Beispiel. Obwohl er seinen Sport liebt und gerne ausübt, hat er manchmal Schwierigkeiten damit, mit dem ganzen Stress umgehen zu können. Gleichzeitig finde ich es aber traurig, wenn andere Fußballspieler die Aussagen von Mertesacker komplett widerlegen. Jeder Sportler hat nämlich mal mit Stresssituationen zu kämpfen.

Redet ein Profisportler darüber, dass er unter Burn-out leidet, löst das sofort eine Welle von Diskussionen aus. In anderen Berufen wird mit diesem Thema anders umgegangen. Woran liegt das?

Der Sportler wird als Held angesehen. Dieser Held, der von der Gesellschaft geschaffen wurde, hat eigentlich den Status der Unverletzbarkeit. Er muss makellos sein, muss immer funktionieren und darf keine Schwächen zeigen. Dieses Ideal gibt es in der Realität aber nicht. Deshalb sind die Leute dann auch so erschrocken darüber, wenn an diesem makellosen Bild gekratzt wird. Bisher hat man nur Positives von einem jeweiligen Sportler gelesen. Dann glauben die Leute irgendwann, dass derjenige dazu auserwählt ist, nur positiv in Erscheinung zu treten. Er kann sich einfach keinen schlechten Tag erlauben, geschweige dann über eine längeren Zeitraum wegen einer Schwächephase auszusetzen. Das können die Leute nicht nachvollziehen.

Sie haben damals in der Öffentlichkeit keinen Hehl daraus gemacht, dass sie physisch sehr angeschlagen sind. Warum gingen Sie so offen damit um?

Ich hatte das nicht forciert. Das hatte sich irgendwann so rumgesprochen. Die Hauptsache für mich war, dass ich die Klinik wieder verlassen konnte. Deshalb sagte ich zu meinem Management, dass sie einfach ehrlich sein und die Wahrheit schreiben sollen. Das war mir das Wichtigste. Ich hätte auch eine Geschichte erfinden können, dass ich eine ganz schwere Grippe habe. Doch sobald ich mich dann wieder einmal in der Öffentlichkeit zeigen würde, müsste ich diese Story durchziehen. Ich wollte meine Ruhe haben. Man steht zwar dann für eine Zeit im Mittelpunkt, aber man bleibt wenigstens authentisch.

Besteht für den Profisportler wegen der verschiedenen Drucksituationen (Medien, eigene Ansprüche, Sponsorenverträge usw.) nicht so oder so immer die Gefahr, dass er irgendwann mit dem Gefühl des Ausgebranntseins konfrontiert wird?

Eigentlich schon. Aber es wird erst kritisch, wenn der Sportler gleichzeitig extrem ehrgeizig und perfektionistisch angehaucht ist. Irgendwann fällt er dann in eine negative Spirale. Ich konnte mich z.B. nicht mehr über verschiedene Siege freuen, weil ich fand, dass mein Sprung eigentlich nicht perfekt war. Jeder andere wäre wahrscheinlich froh darüber gewesen, diesen ersten Platz feiern zu können. Ich konnte diese Momente nicht immer genießen, weil ich diese negativen Gedanken immer in mir trug. So habe ich mich damals in den Wahnsinn getrieben. Perfekt sein ist eine schöne Zielsetzung, aber das gibt es einfach nicht.

Nachdem Sie wieder aus der Klinik entlassen wurden, verkündeten Sie kurz danach Ihr Karriereende. Hatten Sie nie den Gedanken gehabt, wieder mit dem Skispringen anzufangen?

Als ich gemerkt habe, dass ich wieder mit dem normalen Leben zurechtkomme, habe ich mich natürlich auch mit dem Skispringen beschäftigt. Ich hatte danach wieder an einigen Wettkämpfen teilgenommen. Das hat sich hin und wieder gut angefühlt, aber insgesamt habe ich gemerkt, dass sich beim Training ein mulmiges Gefühl auftut. Das war für mich einfach das Zeichen, dass sich mein Körper dagegen wehrt und das nicht möchte. Ich musste es meinem Kopf nur noch beibringen, dass sich das Skispringen für mich erledigt hat. Das war eine sehr harte Zeit, denn ich liebe diese Sportart über alles.

Glauben Sie, dass der Name Hannawald heutzutage eher mit dem Burn-out oder dem Skispringen in Verbindung gebracht wird?

Beides gehört zu meinem Leben dazu. Mit dem Sieg bei der Vierschanzentournee ist meine sportliche Geschichte sowieso schon geschrieben. Aber das Burn-out gehört sicherlich zu meiner Karriere dazu. Das will ich auch nicht ausblenden. Einerseits habe ich den Leuten somit bewiesen, dass man auch mit nicht so viel Talent etwas durch harte Arbeit erreichen kann. Andererseits hat dieser Arbeitswahn aber dazu geführt, dass der Körper irgendwann nicht mehr mitmachte.


Ein Burn-out könnte jeden Sportler treffen

Das Burn-out-Syndrom ist zwar bei Freizeit- seltener als bei Leistungssportlern festzustellen, doch eigentlich könnte es jeden treffen. Auch im Amateur- und semiprofessionellen Bereich sind die Sportler einem gewissen Druck durch den Verein, die Medien, die Trainer oder die Zuschauer ausgesetzt.

Der große Unterschied zwischen einem Amateur- und einem Profisportler ist jedoch, dass der Hobbysportler seinen Lebensunterhalt nicht damit finanzieren muss. Für ihn besteht kein finanzielles Risiko. Er kann nämlich jederzeit aussteigen.

Das Thema Geld könnte einer der Gründe sein, warum viele professionelle Athleten nicht preisgeben wollen, dass sie an einem Burn-out oder einer Depression leiden. „Wenn ein Spieler offen gestehen würde, dass er mit psychischen Problemen zu kämpfen hätte, könnte er es in seiner späteren Karriere vermutlich schwer haben, einen weiteren Vertrag zu bekommen. Die Verantwortlichen des jeweiligen Vereins könnten dies als Schwäche deuten. Als Sportler musst du aber stets Leistung bringen und funktionieren“, erklärt der luxemburgische Sportpsychologe Frank Muller.

In Luxemburg hat der Sportpsychologe auch schon Erfahrungen damit gemacht, dass sich Sportler überfordert fühlen. Erstaunlicherweise waren es vor allem Nachwuchsathleten, die ihn um Rat fragten, wie man Stresssituationen umgehen kann.

„Viele junge Talente müssen es schaffen, die Komponenten Sport, Schule und Privates unter einen Hut zu bekommen. Im Jugend-Bereich kommt es auch gerne mal vor, dass sie nicht nur für ihren Klub, sondern auch noch z.B. für die Nationalmannschaft auflaufen. Für einen Nachwuchsspieler ist das schon in jungen Jahren eine starke Belastung“, stellt der 30-Jährige fest.

Das Thema Burn-out wird in der breiten Öffentlichkeit meistens nicht weiter thematisiert. Nur in besonderen Fällen wird darüber berichtet, wie es der Suizid des ehemaligen deutschen Fußballnational-Torwartes Robert Enke zeigte.

„Heutzutage gibt es eine größere Akzeptanz gegenüber psychologischen Erkrankungen als früher. Dennoch besteht immer noch Aufklärungsbedarf, damit Menschen mit psychischen Erkrankungen nicht mehr so stark stigmatisiert werden. Eine solche Erkrankung bedeutet nicht, dass jemand ’schwach‘ oder ‚verrückt‘ ist. Von diesem Stereotyp muss man wegkommen“, hofft der Experte. NL