Motorsport„Stadtkurse sind die eigentliche Identität der Formel E“: Nick Cassidy und Mitch Evans im Interview

Motorsport / „Stadtkurse sind die eigentliche Identität der Formel E“: Nick Cassidy und Mitch Evans im Interview
Es vergeht kaum ein Rennen, in dem nicht wenigstens ein TCS-Jaguar das Formel-E-Feld anführt, so wie hier in Berlin-Tempelhof Foto: Norbert Nickels

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Jaguar ist nunmehr seit neun Saisons in der Formel E am Start und der Neuseeländer Mitch Evans ist von Anfang an bei den Engländern dabei. In den letzten drei Jahren war er bis zum Schluss immer ein heißer Titelkandidat, doch bislang hat es nie ganz gereicht. Anfang dieser Saison stieß nun Evans’ neuseeländischer Landsmann Nick Cassidy zum Jaguar-Team dazu und lieferte sofort beste Resultate ab. Evans hingegen hatte mehrmals mit Pech und Pannen zu kämpfen.

Beide TCS-Jaguar-Piloten haben bislang jeweils zwei Siege auf ihrem Konto, Cassidy landete dazu noch sechsmal auf dem Siegerpodest, Evans hingegen nur noch einmal. Da beide aber regelmäßig gepunktet haben, führt Cassidy mittlerweile nicht nur die Fahrerwertung an, sondern das TCS-Jaguar-Team ebenfalls die Teamwertung, dies vor Porsche. Das Tageblatt unterhielt sich kürzlich mit den zwei Neuseeländern.

Tageblatt: Das TCS-Jaguar-Team galt nach den Wintertests als großer Favorit. Diese Rolle hat sich zum jetzigen Zeitpunkt auch bewahrheitet, doch in den ersten Rennen kanntet ihr doch sowohl Höhen und Tiefen – oder?

Mitch Evans: Zum jetzigen Zeitpunkt sind wir wirklich in einer sehr starken Position, was das Teamresultat betrifft. Wir haben einen guten Vorsprung auf unsere Verfolger (vor allem Porsche; Anm. d. Red.). Leider hatte ich mehr Downs als Ups, doch insgesamt hatten wir eine gute erste Saisonhälfte.

Nick Cassidy: Ich kann nur bestätigen, dass das Team bislang ganz gute Resultate kannte und dass Mitch ein paar richtige ‚unlucky moments‘ hatte, aber das kommt halt im Motorsport vor. Unser Doppelsieg in Monaco war bislang der Höhepunkt für uns beide und für das ganze Team. Wir werden auch in den nächsten Rennen weiterhin alles geben und dann schauen, wie es aussieht.

Was sind eigentlich die Hauptvorteile eures Jaguar-Renners gegenüber den Konkurrenz-Autos? Denn das Chassis ist ja ein Einheitschassis.

N.C.: In der Formel E ist alles sehr eng. Im Qualifying liegen wir alle binnen zwei Zehntelsekunden und somit sind wir alle mehr oder weniger gleich.

M.E.: Ja richtig, ich sehe Jaguar eigentlich nicht in einer dominierenden Position.

Stimmt ihr zu, dass momentan der Porsche-Elektromotor im Rennen der energieeffizienteste ist?

N.C.: Ja, das stimmt schon.

M.E.: Im Rennen sind die Porsche-getriebenen Autos (Porsche selbst und Andretti; Anm. d. Red.) wirklich die Messlatte in Sachen Energieverbrauch, aber andere Motorenhersteller verbessern sich auch stetig, so z.B. Nissan und DS. Wie schon gesagt, wir nehmen ein Maximum aus unseren Jaguar-Rennern heraus, aber Porsche hat in den Rennen selbst einen kleinen Vorsprung auf uns, was den Energieverbrauch betrifft.

Mitch, Sie sind in Ihrer neunjährigen Formel-E-Karriere immer bei Jaguar gefahren. Nick, Sie gingen auch für andere Teams an den Start, und Ihre letztjährige Saison bei Envision war sehr erfolgreich. Was sehen Sie beide als Vor- und Nachteile dieses unterschiedlichen Karriereverlaufs?

M.E.: Ja, ich habe nie ein anderes Formel-E-Team gekannt als Jaguar. Für eine so große Marke und für eine Werksmannschaft zu fahren bringt natürlich alle Vorteile mit sich, was die Entwicklungsmöglichkeiten des Rennwagens betrifft.

N.C.: Ich war auch nicht bei vielen andern Teams, sondern neben Jaguar nur bei Envision Racing. Ich sehe es als Vorteil, vor Jaguar auch für eine andere Mannschaft gefahren zu sein, da es mir die Möglichkeit gibt, Vergleiche über die Herangehensweise zu ziehen. Ich glaube aber jetzt bei Jaguar, und zusammen mit Mitch, im optimalen Team gelandet zu sein.

Nick Cassidy (l.) und Mitch Evans im Gespräch mit Tageblatt-Korrespondent Norbert Nickels
Nick Cassidy (l.) und Mitch Evans im Gespräch mit Tageblatt-Korrespondent Norbert Nickels Foto: Fernande Nickels

Schauen wir zurück auf ihre Anfänge im Motorsport, oder sagten wir besser im Kartsport, denn schon in ganz jungen Jahren seid ihr in Neuseeland im Kart gegeneinander gefahren …

N.C.: Ja, das stimmt, wir kennen uns seit ewig. Wir haben zwar nicht die genau gleichen Karriereschritte gemacht, doch wir sind schon ganz jung in unserem Heimatland im Kartsport gegeneinander angetreten. Es wäre nicht fair, uns jetzt miteinander zu vergleichen, mit Rückblick auf unsere Vergangenheit. Wir haben uns beide weiterentwickelt und befinden uns beide jetzt auf dem Höhepunkt unserer jeweiligen Karrieren. Wir haben in der Vergangenheit immer bestens zusammengearbeitet und das ist auch heute noch der Fall. Der beste Beweis dafür ist wohl unser Doppelsieg in Monaco, den wir durch ein optimales Zusammenspiel von Fahrern und Team erreicht haben.

Die Tatsache, dass ihr jetzt Teamkollegen seid und um den gleichen Titel kämpft, hat nichts an eurer Freundschaft verändert?

N.C. & M.E.: Ja, das können wir nur bestätigen!

2023 hattet ihr beide in Rom beim vorletzten Wochenende einen Auffahrunfall (Evans knallte ungewollt ins Heck von Cassidys Envision), der euer beider Titelchancen beendete. Habt ihr das inzwischen vergessen?

M.E.: Nun ja (grinst). Wir versuchen, es zu vergessen. Das war damals wohl eher mein Fehler. Es war schon heftig für uns beide, so spät in einer harten Saison, aber wir schauen in die Zukunft. Hoffentlich geschieht uns als jetzige Teamkollegen sowas nicht noch einmal.

Zu den Anfangszeiten der Formel E bestritt diese ihre Rennen ausschließlich auf Stadtkursen, zu einem großen Teil sogar mitten in den Städten, wie z.B. in Paris, New York oder Rom. Jetzt stehen immer mehr traditionelle Rennstrecken auf dem Programm wie Portland (USA), Shanghai (CH), Misano (I) – und man spricht sogar davon, in England in Zukunft in Silverstone anzutreten. Was ist eure Meinung dazu?

N.C.: Ich kann nicht für uns beide sprechen, doch ich glaube, dass wir einer gleichen Meinung sind. Stadtkurse sind die eigentliche Identität der Formel E und genau diese Strecken sind die interessantesten und anspruchsvollsten. Auf diesen Kursen kann man am allerbesten sein Talent unter Beweis stellen und deshalb hoffe ich, dass wir in Zukunft wieder mehr Stadtkurse im Kalender haben werden.

Es stehen jetzt noch zwei Doppelevents in Amerika und England auf dem Programm. Wie seht ihr dort eure Chancen?

M.E.: Moderne, traditionelle Rennstrecken wie Misano, Portland und Shanghai liegen uns vielleicht allgemein nicht so gut. Auf diesen Strecken, wo wir nicht ganz vorne mitmischen können, versuchen wir Punkte mit nach Hause zu nehmen und das Bestmögliche daraus zu machen. In London aber dürften wir wohl wieder ganz stark sein.

Ihr beide tretet lediglich bei der Formel E an. Einige eurer Konkurrenten fahren auch noch in anderen Serien, wie z.B. der WEC. Seid ihr der Meinung, dass man sich auf eine Serie konzentrieren sollte?

N.C.: Es ist wohl eher ein Zufall, dass wir nur Formel E fahren. Ich glaube nicht, dass es störend oder ablenkend wäre, noch in einer anderen Rennserie anzutreten. Wir sind beide professionelle Rennfahrer und wir lieben es Rennen zu fahren.

Was sagt ihr zu dem neuen Gen3Evo-Rennwagen, der vor Kurzem vorgestellt wurde, den ihr aber wohl noch nicht gefahren seid?

N.C.: Dazu kann ich eigentlich gar nichts sagen.

M.E.: Außer ein paar Karosserie-Updates gibt es eigentlich keine so großen Unterschiede zum jetzigen Auto: Attack-Mode, 4-Rad-Antrieb, gleiche Power – also keine halsbrecherischen Neuerungen.

Jaguar hat sich jetzt bereits dazu entschlossen, auch bei der sogenannten Gen4 (der neuen Auto/Motoren-Generation ab 2026) mit dabei zu sein. Was könnt ihr diesbezüglich sagen?

M.E.: 2026 ist noch sehr weit entfernt und unsere Zukunft ist noch nicht so weit festgelegt. Für die Formel E ist es sicherlich wichtig, dass sich Jaguar (neben Nissan und Porsche; Anm. d. Red.) schon jetzt dazu bekannt hat, weiterhin mit dabei zu sein. Auch für die Marke ist es wichtig, da ja Jaguar/Land-Rover ab 2025 rein elektrisch sein wird.

Im Überblick

Formel-E-Gesamtwertung vor den letzten vier Rennen:
1. Nick Cassidy (Jaguar) 167 Punkte
2. Pascal Wehrlein (Porsche) 142
3. Mitch Evans (Jaguar) 132
4. Oliver Rowland (Nissan) 131
5. Jake Dennis (Andretti) 113
6. Jean-Eric Vergne (DS-Penske) 101
7. Antonio Felix Da Costa (Porsche) 84

Der weitere Terminkalender (jeweils Doppelevents):
29. & 30.6: Portland (USA)
20. & 21.7: London (GB)

Harry Zweifel
30. Mai 2024 - 14.26

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