So viele Olympioniken geflüchtet wie nie

So viele Olympioniken geflüchtet wie nie

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

10.973 Athleten aus 204 Ländern nahmen bei den Olympischen Spielen 2012 teil. Ein paar wenige kehrten mit Medaillen zurück, einige mit Diplomen, die meisten mit leeren Händen – und deren 14 gar nicht.

Eine Teilnahme an Olympischen Spielen ist etwas, wovon man noch seinen Enkeln erzählen kann – sofern man denn überhaupt zurückkehrt. London 2012 wurde von 14 Athleten zur Flucht in ein besseres Leben genutzt. Erst sieben Athleten aus Kamerun, dann vier aus dem Kongo und drei Ivorer sollen untergetaucht sein. Sie sind bei Weitem nicht die ersten (siehe Bildstrecke), die einen sportlichen Großanlass zur Flucht nutzen. Die Gründe sind oft wirtschaftlicher oder politischer Natur.

Schon vor Beginn von Olympia soll ein sudanesischer Athlet in London um Asyl gebeten haben. Die Botschaft dementierte. Die kamerunische Torfrau Drusille Ngako Tchimi gilt als erster Olympia-Flüchtling 2012. Ihr wurde vor dem Mega-Event im Trainingslager in Schottland mitgeteilt, dass sie es nicht ins Kader schaffe. Ngako packte ihre Sachen und tauchte unter. Ihr Landsmann Paul Ekane Edingue machte sich vor seinem Wettkampf über 50m Freistilschwimmen aus dem Staub.

„Wir lieben Kamerun“

Für größeres Aufsehen sorgten aber erst die fünf Boxer des afrikanischen Staates, welche sich gemeinsam nach ihrem Ausscheiden am 5. August davon machten. Sieben Athleten von einem Land geflüchtet: Das gab es bei Olympia noch nie. Die Boxer gewährten „BBC“ am Montag ein Interview an einem geheimen Ort. Sie seien von Offiziellen Delegationsmitgliedern schikaniert worden. Diese wollten die Pässe einziehen und hätten nur die Hälfte der Prämien ausbezahlt.

Thomas Essomba, Christian Donfack Adjoufack, Abdon Mewoli und Serge Ambomo wollen in England ihre Karrieren vorantreiben. „Wenn ich in meinem Land glücklich wäre, hätte ich das nicht gemacht. Wir wollen Profis werden. Wir können nicht zurück nach Kamerun, wir können dort nicht trainieren“, erklärt Essomba.

England ist für ihn das gelobte Land: „Ich weiß, dass es hier viel besser ist als bei uns. Das Wichtigste ist, dass wir einen Sponsor finden und uns einem Boxklub anschliessen.“ Es spricht Verzweiflung aus ihm und er ergänzt: „Sobald wir Profis sind, kehren wir in unser Land zurück, denn wir lieben Kamerun.“

Immer wieder flüchten Athleten

Nach der Schlusszeremonie fehlen weitere Athleten. Aus dem Kongo sind Judoka Cédric Mandembo, Boxtrainer Blaise Bekwa, der technische Leichtathletik-Direktor Guy Nkita und Judotrainer Ibula Masengo nicht mehr auffindbar, von der Elfenbeinküste fehlt von den beiden Schwimmern Brou Kouassi Franck Olivier und Touré Assita sowie dem Trainer von Tanoh Bénié Rosali jede Spur. Erste Chance auf ein besseres Leben genutzt, denkt man sich. Im Fall von Olivier ist dies nicht der Fall. Er war schon in Peking 2008 dabei.

Egal ob aus Kuba, der DDR oder eben afrikanischen Ländern: Immer wieder setzten sich Athleten ab. Eindrücklich war 2003 die Flucht von Fussballern aus Sierra Leone, welche an der U17-WM in Finnland teilnahmen. Nach dem Ausscheiden beantragten sie politisches Asyl, das gewährt wurde. Einer der Spieler damals war Medo Kamara. Dieser kickt heute für Partizan Belgrad – und seit 2011 in der Nationalmannschaft von Sierra Leone.

Von Beschimpfungen bis zu Verständnis

Eine Rückkehr ins Heimatland als Nationalspieler, das ist etwas, was nur die wenigsten Flüchtlinge erleben dürften. In der DDR oder auch jetzt in Kamerun werden sie vom Staatsorgan „Cameron Tribune“ als „Verräter“ beschimpft. Unterstützung erhalten sie von Jugendlichen ihrer Heimat, die den Schritt oft verstehen können. Mit Humor nimmt die Geschichte das kamerunische Internetportal „camer.be“: „Im Medaillenspiegel sind wir ganz unten, aber für die Flucht erhalten wir Gold.“