Dienstag28. Oktober 2025

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Tageblatt-Serie Teil 5Lëtzebuerg lieft Sport: So funktioniert Inklusion im Merscher Judo-Verein

Tageblatt-Serie Teil 5 / Lëtzebuerg lieft Sport: So funktioniert Inklusion im Merscher Judo-Verein
Roberto Lomba ist bereits vor der Pandemie auf das Angebot des Merscher Judo-Klubs aufmerksam geworden. Nach der langen Zwangspause steht er seit September wieder dreimal pro Woche auf der Matte. Foto: Editpress/Alain Rischard

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Im fünften Teil der Tageblatt-Serie „Lëtzebuerg lieft Sport“ steht die Inklusion im Vordergrund – und der Wille, eine Einschränkung nicht als Hindernis für den Vereinssport zu empfinden. Obschon Judo-Trainer Alexandre Paysan seine Trainingseinheiten nicht unbedingt komplett vorausplanen kann, ist die Integration von seh- und körperlich behinderten Menschen auf der Matte geglückt. 

Roberto Lomba gehört im Merscher Judo-Klub sozusagen zum Inventar. Als der 24-Jährige fünf Minuten vor Trainingsbeginn die Treppen zum Saal hinaufsteigt, wird er von wartenden Eltern und den Jugendlichen der zweiten Gruppe freundlich empfangen und begrüßt. Man kennt sich. Die Atmosphäre ist entspannt und ungezwungen. Dabei ist die Situation nicht alltäglich: Lombas Sehkraft liegt bei 5 Prozent. An der einen Hand hält er seinen Blindenstock, in der anderen Wasserflasche und Handy. 

 „Ich war damals auf der Suche nach einem Kampfsport mit Körperkontakt“, erinnert sich der Student. Fündig wird kurz vor dem Lockdown auf der Liste des Paralympischen Komitees (LPC). Dank der „Oeuvre nationale de secours Grande-Duchesse Charlotte“ hatte der Kampfsportverband sein Pilotprojekt „JuDo Your Best“ auf die Beine gestellt. Die japanische Kampfsportvariante hat Lomba schnell überzeugt: „Eigentlich könnte man Judo ja auch mit verschlossenen Augen praktizieren“, findet der Physiotherapie-Student. Doch das erste Abenteuer dauert nur kurz: Durch die Corona-Unterbrechung muss er bis vergangenen September warten, um wieder ins Training einsteigen zu können.

Und eins wird schnell klar: Eine Sonderbehandlung gibt es auf dem Merscher Tatami nicht. Der gegenseitige Respekt ist groß. Trainer Alexandre Paysan weiß, was er an Lomba hat: „Er ist ein Motor, der Dynamik in jede Trainingsgruppe reinbringt.“ Dies sei eine Charaktersache, wie der Franzose hinzufügt. Als offener Mensch machte es Lomba den jungen Judokas des Vereins vom ersten Tag an leicht. Wenn der französische Coach bei den Übersetzungen ins Deutsche hadert, findet der 24-Jährige meist schnell die passenden Vokabeln. In der Multi-Kulti-Gruppe spielen weder Herkunft noch Handicap eine Rolle. „Die Jugendlichen haben ihn so akzeptiert, wie er ist.“ Unbewusst, aber vielleicht mit einem kleinen Schubser, wie Paysan hinzufügte: „Ich habe immer dafür gesorgt, dass die Trainingspartner oft gewechselt werden und sich alle untereinander kennen. Der einzige Unterschied bei sehbehinderten Menschen ist, dass sie beim Start des Kampfes die Weste des Gegners in den Händen halten, während der klassische Kampf eben kontaktlos beginnt.“

Trotz des weißen Gürtels wirkt Lomba nicht, als wäre er ein Anfänger. Berührungsängste oder Angst vor Würfen hat der durchtrainierte Student nicht. Dass er großer Fan von „Calisthenics“ (Eigengewichtsübungen) ist, sieht man ihm an. Neben den drei Judo-Einheiten pro Woche ist Lomba ebenfalls Mitglied im Escher Crossfit. Seine zweite Judo-Heimat hat er bei Trainer Jérôme Guenzi in der Hauptstadt gefunden. „Er geht etwas anders an die Sache heran. Bei ihm bin ich meist der Partner, an dem er den anderen Schülern die unterschiedlichen Techniken zeigt. Dann spürt man auch gleich, was gemeint ist. Mir gefallen aber beide Methoden.“

Adapto, Netflix und große Ziele

Dass er bereits komplett in die Judo-Welt integriert ist, beweist sein Ehrgeiz: In der Coque wird er zwei Tage später am sogenannten „Open mat without borders“ teilnehmen – eine Trainingseinheit für alle Judokas aus der Grenzregion. „Dort mitmachen zu können, ist natürlich eine zusätzliche Motivation“, sagt Lomba. Etwas härter geht es manchmal auch in Mersch zu: „Normalerweise sind bei dieser Einheit noch zwei etwas ältere Judokas dabei, aber die haben heute gefehlt. Dann ist etwas mehr Wettbewerbsgedanke dahinter“, lacht er. 

Rund zehn Minuten bleiben nach der Trainingseinheit für ein kurzes Gespräch, dann muss Lomba die Halle verlassen. Vor dem Gebäude wird er von einem Adapto-Bus abgeholt. „Da gibt es manchmal schon kleine Probleme“, schildert Trainer Paysan. „Verspätungen oder sehr lange Fahrten, da der Bus viele Umwege fahren muss, erschweren das Ganze.“ Als Gründe, die Inklusion daran scheitern zu lassen, sieht man dies in Mersch allerdings nicht. „Eine Organisation begleitet die blinden Personen bei den ersten drei Trainingseinheiten, um ihnen die Lokale zu erklären. Das ist nicht viel … Danach sind die Sportler und wir als Verein auf uns alleine gestellt. Aber wir haben unseren Weg gefunden. Das Ziel ist, dass jeder aktiv sein kann.“

Gelacht wird in Mersch scheinbar sehr oft und viel. „Wenn ihr nicht fest zugreift, dann könnt ihr auch gleich zu Hause auf dem Sofa bleiben und Netflix schauen … Wie, kein Netflix? Dann eben Amazon Prime!“ Alexandre Paysan schafft es auf lockere Weise, ein angenehmes Klima zu schaffen, ohne dabei die teils komplizierten Eigenschaften der Kampfsportart zu ignorieren. „Ich glaube, dass das Thema Inklusion einfach noch konkreter angegangen werden müsste. Das geht über generelle Ausbildungen und Öffentlichkeitsarbeit. Es gab vor meiner Ankunft hier bereits erste Ansätze mit einer speziellen Gruppe für Sehbehinderte. Das ist aber nicht mein Weg.“ 

Und es ist auch nicht der von Sébastien Dubreucq, der vor ein paar Jahren einen Schlaganfall erlitt und seitdem halbseitig gelähmt ist. Er hat, gemeinsam mit seinem Trainer Paysan, ein großes Ziel vor Augen: den schwarzen Gürtel zu erhalten. Dafür muss er eine letzte Prüfung ablegen. Sämtliche Kollegen aus der Erwachsenen-Gruppe des Merscher Judo-Klubs stehen zur Seite. Denn wo ein Wille ist, ist bekanntlich immer auch ein Weg.

So geht es weiter: Nächste Woche steht u.a. der gesundheitliche Aspekt von Sport und Bewegung im Vordergrund. Was die Wissenschaft dazu sagt, erklärt Daniel Theisen.

Maskottchen „Merschi“ darf auf keinem Gruppenfoto fehlen
Maskottchen „Merschi“ darf auf keinem Gruppenfoto fehlen Foto: Editpress/Alain Rischard