Montag3. November 2025

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Die Klassiker und dann die Tour de France

Die Klassiker und dann die Tour de France
(Tageblatt/Gerry Schmit)

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Die sportlichen Ziele des neuen "RadioShack-Nissan-Trek Professional Cycling Team", wie die Mannschaft mit vollem Namen heißt, sind hochgeschraubt.

Die Truppe von Manager Johan Bruyneel peilt den Tour-de-France-Sieg an, was nach den zweiten Plätzen von Andy Schleck beim Giro (2008) und der Frankreich-Rundfahrt (2009, 2010, 2011) nicht anders zu erwarten war.

„In den Augen des Luxemburger Publikums bin ich der logische Tour-Favorit“, sagt Andy Schleck jedem, der es hören will. „Selbst wenn mit Alberto Contador und Cadel Evans die letzten Sieger der Frankreich-Rundfahrt Ende Juni am Start in Liège sein sollten, erwartet jeder von mir, dass ich auf die höchste Stufe des Podiums steige. Es ist also legitim, dass RadioShack-Nissan schon Monate zuvor den Toursieg anpeilt.“

„Tour de France“

Etwas anderes hätte man bei der gestrigen Pressekonferenz auch nicht aus dem Mund Andys hören dürfen. Denn der 26-Jährige landete in den letzten Jahren viermal auf einem zweiten Platz bei großen Rundfahrten. 2008 musste er sich beim Giro Danilo Di Luca beugen, 2009 und 2010 versperrte Alberto Contador ihm bei der „Grande Boucle“ den Weg, und letztes Jahr musste er Cadel Evans auf der vorletzten Etappe gegen die Zeit in Grenoble das „Maillot Jaune“ abtreten.

Es kann für den jüngeren der beiden Schleck-Brüder demnach kein anderes Ziel als den Erfolg bei der größten Rundfahrt der Welt geben. Die Latte liegt hoch, aber nicht so hoch, dass das Ziel nicht erreicht werden kann. 54 Jahre nach Charly Gauls Sieg bei der Tour sind die Aussichten auch in diesem Jahr gut, dass ein Landsmann die Nachfolge des „Ange de la Montagne“ antritt.

Konkurrenz unter Brüdern?

Andys größter Konkurrent könnte (warum eigentlich nicht?) aus dem eigenen Team (und der eigenen Familie) kommen, denn noch hat Bruder Frank seine Ambitionen auf einen ersten Platz bei der „Grande Boucle“ nicht abgeschrieben. „Ich denke nach wie vor, dass für mich ein Toursieg im Bereich des Möglichen liegt“, sagt Frank. „Allerdings bin ich auch bereit, mich für meinen Bruder zu opfern, falls dieser viel besser platziert ist.“ Das sind Worte, die man früher in dieser Deutlichkeit nicht gehört hat.

Die Ziele von RadioShack Nissan sind demnach klar umrissen. Der erste Platz in der Tour de France muss diesmal her, koste es, was es wolle. „Dafür ist diese Mannschaft gebaut worden“, klang es fast unisono aus allen Mündern. „Wir sind stark, sehr stark“, sagt der neue Manager Johan Bruyneel. „Und doch heißen die Tourfavoriten auf den ersten Blick eher Evans und Contador als Schleck. Wir haben demnach von außen keinen Druck und können aus einer Außenseiterposition heraus agieren.“

„Canci“: Flandern, Schlecks: Wallonie

Ehe am 30. Juni in Liège der Kampf um das „Maillot Jaune“ beginnt, verfolgt die Mannschaft aber auch andere Ziele. Die Schleck-Brothers beginnen die Saison auf verschiedenen Kontinenten. Frank bleibt in Europa, wo er Anfang Februar für fünf Tage beim traditionellen Etappenrennen „à la carte“ auf Palma de Mallorca eingeschrieben ist. Hier muss man nicht alle Teilstrecken bestreiten, das Gesamtklassement ist zweitrangig.
Andy seinerseits reist mit der RadioShack-Mannschaft ins Scheichtum Oman, wo vom 14.-19. Februar die Landesrundfahrt ansteht. Erstmals fahren die beiden Brüder in diesem Jahr bei Paris-Nice in einem Wettkampf zusammen. In den vergangenen Jahren war das ja nicht der Fall, da Andy eine Vorliebe für Tirreno-Adriatico hatte. Frank seinerseits bestreitet die sogenannte „Course au soleil“ nun schon zum achten Mal. Letztes Jahr zog er sich auf der vorletzten Etappe im Regen verletzt aus dem Wettbewerb zurück.

Manager Johan Bruyneel ließ es gestern offen, ob Frank und Andy danach (Anfang April) die Baskenland-Rundfahrt bestreiten. „Das ist zwar eine gute Vorbereitung auf die Ardennenklassiker“, so Bruyneel, „doch muss man abwarten, in welche Richtung die Formkurve der beiden um diese Zeit zeigt.“

Erfolge wiederholen

Fest steht dagegen, dass Fabian Cancellara, der dritte Teamleader, versucht, seinen Doppelerfolg von 2010 in der Ronde van Vlaanderen und bei Paris-Roubaix zu wiederholen. „Das wird schwer sein“, so der Schweizer, „aber wenn ich die richtige Form halte, brauche ich niemanden zu fürchten. Letztes Jahr fuhren alle gegen mich, doch stieg ich trotzdem zweimal aufs Treppchen. Zuvor hatte ich in Harelbeke gewonnen. Diesmal habe ich mehr Helfer zur Verfügung.“

Weil Cancellara darauf verzichtet, im April auf dem Terrain der Schlecks anzutreten, hat er vorerst sein Ziel, alle fünf „Monumente“ des Radsports zu gewinnen (es fehlen ihm noch Liège-Bastogne-Liège und die Lombardei-Rundfahrt), um mindestens ein Jahr verschoben. Andy und Frank können sich also nach Belieben auf den Straßen Hollands (Amstel Gold Race) und Belgiens (Flèche Wallonne und Liège-Bastogne-Liège) austoben. „Die wallonischen Klassiker sind ein erstes Saisonziel“, so Johan Bruyneel. „Schön wäre es natürlich, wenn wir dort einen Erfolg landen könnten. Der würde der Moral guttun. Andy und Frank landeten letztes Jahr ja auf den Rängen 2 und 3. Warum diesmal nicht ganz oben?“

„Dauphiné statt Tour de Suisse“

Im Monat Mai gibt’s wahrscheinlich ein erstes „break“ für die Schlecks. Dies, obwohl es kein Geheimnis ist, dass Bruyneel damit liebäugelt, Frank Schleck in den Giro zu schicken. Das will der Manager zwar nicht öffentlich sagen, aber er bestreitet es auch nicht. „Man muss abwarten“, so Bruyneel, „denn die Saison ist lang, und man weiß nicht, was sich im gegebenen Moment aufdrängt.“ Frank Schleck ist nicht unbedingt derselben Meinung. „Wenn ich einmal beim Giro starten sollte, dann mit der festen Absicht, ihn zu gewinnen. Für jemanden, der den Sieg bei der Tour de France („ob Andy oder ich“) im Hinterkopf hat, ist das allerdings unmöglich.“

Als letzte Vorbereitung auf die Tour werden Frank und Andy diesmal wohl das „Critérium du Dauphiné Libéré“ bestreiten. Das würde bedeuten, dass sie keine Tour de Luxembourg fahren (die letzte TdL-Etappe fällt mit der ersten Dauphiné-Teilstrecke zusammen). Das würde aber auch heißen, dass die heiß geliebte Tour de Suisse diesmal ohne die beiden Brüder auskommen muss. Viele Experten sind der Meinung, dass dieser Tausch von Vorteil ist, da das „Dauphiné“ als bessere Vorbereitung auf die „Grande Boucle“ angesehen wird. Letztes Jahr jedenfalls unterlief dem Leopard-Management eine „faute professionnelle“, als man die Schweiz-Rundfahrt dem „Dauphiné“ vorzog …, wo das Einzelzeitfahren auf derselben Strecke wie bei der Tour de France ausgetragen wurde.

Auf die Vorspeise im „Dauphiné“ folgt das Hauptgericht in Frankreich. „Es wird keine einfache Tour“, so Manager Johan Bruyneel. „Andy ist zwar unsere Nummer eins, doch haben wir mit Frank, Andreas Klöden und Chris Horner auch andere Eisen im Feuer. Nach Andy scheint mir Andreas Klöden im Moment die Nummer zwei. Er war ja auch schon zweimal Zweiter bei der ‚Grande Boucle‘. Man muss aber abwarten, wie die Tour sich entwickelt. Radrennen auf diesem Niveau sind nicht vorher programmierbar. Darum ist unsere Sportart so schön!“

An Podiumsrängen im Palmarès fehlt es den neuen RadioShacks jedenfalls nicht. Einzig der Platz ganz oben auf dem Treppchen ist noch zu besetzen.
„A vous de jouer … ou plutôt … de rouler!“