Gwyneth ten RaaDie 16-Jährige ist bereit für das große Olympia-Abenteuer

Gwyneth ten Raa / Die 16-Jährige ist bereit für das große Olympia-Abenteuer
Gwyneth ten Raa (l.) und Matthieu Osch bei den Trainingseinheiten auf der Kunstschnee-Piste Foto: FLS

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Als das Tageblatt vor der Saison die vier luxemburgischen Kandidaten für die XXIV. Winterspiele in Peking präsentierte, kam Gwyneth Ten Raa nur in einem Nebensatz vor. 20 Rennen und 100 Tage später trägt die 16-Jährige um 13.30 Uhr MEZ die luxemburgische Fahne ins Vogelnest.

In jenem markanten Pekinger Vogelnest begann vor 14 Jahren die olympische Karriere des jüngsten luxemburgischen Olympioniken Raphaël Stacchiotti als Fahnenträger. Rund ein halbes Jahr nach seinem Karriereende trägt die nur wenige Monate ältere Gwyneth ten Raa ebenfalls die rot-weiß-blaue Fahne zur Eröffnungsfeier und ist beeindruckt: „Ich war angespannt und nervös und auch stolz, die Fahne tragen zu dürfen. Aber als ich dann mit Matthieu Osch einlief, war die ganze Nervosität weg und es war nur schön und beeindruckend, mit dieser ganzen Kulisse.“

Ihr großes Potenzial hatte die ehrgeizige Skifahrerin bereits die letzten Jahre in Jugendrennen gezeigt, doch wir wollten es vor der Saison beim schwierigen Sprung in die Wettbewerbe der Senioren nicht beschreien: „Selbst für die junge Skifahrerin Gwyneth ten Raa ist eine Qualifikation fast, aber nicht völlig unmöglich.“ Sie hatte nur wenig mehr als zwei Monate Zeit, um mit hohen Startnummern von null auf unter 60 FIS-Punkte zu kommen, aber überzeugte von ihren ersten Rennen an. Selten fiel sie aus, fast immer schaffte sie es mit den höheren Startnummern der (noch) weniger gut in der Weltrangliste Platzierten  – und damit auf einer schlechteren, langsameren Piste – bis in die anvisierten Top 30 und kaum einmal war eine ähnlich hohe Startnummer besser. „Sie hat uns mit ihren ersten Leistungen eigentlich alle überrascht“, urteilte jedenfalls auch Missionschef Heinz Thews nach ihren ersten Rennen bei den Großen.

Gwyneth ten Raa (vorne links) durfte gemeinsam mit Matthieu Osch am Freitag die luxemburgische Fahne bei der Eröffnungsfeier tragen
Gwyneth ten Raa (vorne links) durfte gemeinsam mit Matthieu Osch am Freitag die luxemburgische Fahne bei der Eröffnungsfeier tragen Foto: AFP/Jewel Samad

Als sie die Olympianorm bereits mehrmals unterboten und ihr Ticket für Peking eigentlich schon gebucht hatte, fuhr sie Mitte Januar im italienischen Kronberg im ersten Lauf auf Platz 19 und schaffte im zweiten Lauf mit sieben Zehntelsekunden Rückstand die siebtbesten Zeit, war dabei deutlich schneller als die kanadische Nummer 73 der Welt. „Natürlich fühlt sich das megagut an, aber ich bin am Ende nur die 16., nicht Siebte. Das nächste Mal will ich auch schon im ersten Lauf Siebte sein“, kommentierte sie anschließend.

Nicht zu verbissen, doch sehr ehrgeizig freut sie sich über ihre Erfolge, aber gibt sich nicht damit zufrieden. Bereits nach ihren ersten starken Läufen und Rennen meinte sie: „Ich habe nicht viel über Platzierungen nachgedacht, ich wollte nur so gut wie möglich sein. Ich bin froh über diese Resultate, aber ich will mich weiter verbessern.“

Erst der zweite Flug

Ihre 18-jährige Schwester Joyce, die mit rund 80 FIS-Punkten derzeit auch stark im Slalom unterwegs ist, kommentiert: „Gwyneth ist einfach mental sehr stark. In ihrem Kopf herrscht am Start überhaupt kein Stress. Sie weiß, was sie machen muss, konzentriert sich darauf und dann ‚Go’.“ Bei aller Bewunderung und Euphorie für die bemerkenswerte physische und mentale Leistungsstärke sowie den unbedingten Fokus der 16-Jährigen ist sie dann doch noch … eine 16-Jährige. Als es vor einer Woche aus Vianden mit je drei Paar Skiern für Slalom und Riesenslalom sowie einem Haufen weiterem Material nach Frankfurt ging, sie in die große, vierstrahlige Boeing eincheckte, meinte ihr Vater Roger: „Ich konnte in ihrem Gesicht ablesen, dass sie sich freute. Aber sie war auch angespannt. Ihr war klar: Jetzt geht es in ein richtig großes Abenteuer.“ Der Flug von Frankfurt nach Peking war neben einer kleinen, innereuropäischen Reise überhaupt erst ihr zweiter Flug. Nach dem Reisestress und pandemiebedingten Hickhack war gleich am Montag Training und beim täglichen Anruf zu Hause meinte sie etwas bedrückt: „Der Schnee ist sehr aggressiv, es lief nicht gut.“

Ich habe noch nie so viele starke Skifahrer zusammen auf einer Piste gesehen

Gwyneth ten Raa, über die Trainingseinheiten bei Olympia

Am zweiten Tag habe sie aber schon gemeint, dass es ein guter Trainingstag war, und am dritten sei es dann ganz gut gelaufen. Sie lache am Telefon, sei froh und würde begeistert erzählen, wer alles mit ihr auf dem Lift gewesen sei und dass sie bereits mit ihrem Idol Mikaela Shiffrin auf der gleichen Piste trainiert habe. Die richtig toll Ski fahre.

„Sie ist bereit“, ist jedenfalls ihr Vater überzeugt. Längst hat sie sich eingelebt und nach der Eröffnungsfeier meinte sie: „Es gefällt mir hier sehr gut, alle sind freundlich und gut gelaunt. Es beeindruckt, dass sie uns hier extra ein Olympisches Dorf hingebaut haben, und ich habe noch nie so viele starke Skifahrer zusammen auf einer Piste gesehen.“ Von Vorteil ist natürlich, dass auch drei Trainer und vier weitere Fahrerinnen ihres Teams ISRA-Racing in Peking sind und die jüngste Alpine dieser Spiele anfeuern.

Idol Mikaela Shiffrin

Gwyneth ten Raa soll bei Olympia Erfahrung sammeln und die Tage in China genießen
Gwyneth ten Raa soll bei Olympia Erfahrung sammeln und die Tage in China genießen Foto: FLS, COSL

Zwar war auch der Baltic Cup bei ihren letzten drei Rennen an ihrem italienischen Trainingsstandort Pozza di Fasso mit einem Dutzend Starterinnen aus den Top100 für ein FIS-Rennen ungewöhnlich stark besetzt, aber nach gerade einmal 20 Rennen bei den Großen spielt ihr olympisches Rennen am Montag gleich ein paar Ligen höher, ist die Konkurrenz, die Kameras und überhaupt der ganze Rummel nicht vergleichbar. Im kleinen, eingespielten luxemburgischen Alpinteam kennt man sich schon lange und hält den Druck von ihr weg. Sie soll Erfahrung sammeln und diese Tage genießen.

Nationaltrainer Patrick Empatz will für seine beiden Fahrer jedenfalls keine Platzierung rausgeben: „Sie sollen einfach ihr Bestes geben und am Ende mit sich zufrieden sein können.“ Obwohl sie eine sehr gute, stabile Basis hätten und sich ständig verbessern, wären die von Gwyneth ten Raa für einen günstigeren zweiten Lauf normalerweise anvisierten Top 30 im ersten Durchgang hier in Peking eine Sensation für einen seiner Skifahrer. Gerade im alpinen Skisport kann ein Rennen bereits an den ersten Toren vorbei sein oder es wäre auch nicht wirklich verwunderlich, wenn sie nach ihrem Senkrechtstart bei den großen Spielen blockiert wäre. Nach allem, was man von Gwyneth ten Raa bisher gesehen hat, schafft sie aber wahrscheinlich auch dieses Mal ihren Vorsatz: „Ich will mein Bestes geben, gut runterkommen und dann einfach im Ziel schauen, wie meine Zeit ist und wo ich liege.“


Im Überblick 

Das Olympia-Programm von Gwyneth ten Raa
Riesenslalom:
Montag, 7. Februar um 3.15 Uhr, 2. Lauf um 6.45 Uhr
Slalom:
Mittwoch, 9. Februar um 3.15, 2. Lauf um 6.45 Uhr