Der Exkurs in die Steinzeit dauert nicht lange – dennoch dient er als Bildgebung für die Basis unsere genetischen Veranlagungen: Während Jäger und Sammler damals schätzungsweise täglich bis zu 20 Kilometer unterwegs waren, um Nahrung zu suchen (was ihnen nicht immer gelang), führt der Weg heute meist mit dem Auto bis direkt vor die Eingangsdrehtür des Supermarktes. „Die Bedingungen wie früher gibt es nicht mehr, dennoch ist unser Erbgut noch immer das gleiche“, erklärt Daniel Theisen, ehemaliger Leiter des sportmedizinischen Forschungslabors am „Luxembourg Institute of Health“ (LIH). Es zu ändern, dauert abertausende von Jahren.
Und dieses Phänomen betrifft mittlerweile sämtliche Generationen. Vom Smartphone, das Kinder und Jugendliche vom Radfahren abhält, bis hin zu Apps, die sogar dafür sorgen, dass man nicht mal mehr vom Sofa runter muss, um die Rollläden herunterzufahren: „Überall haben sich diskrete Reduzierungen unserer physischen Aktivität eingeschlichen. Während man vor ein paar Jahren noch zur Videothek musste und wenigstens auf den Beinen war, um sich einen Film auszuleihen, braucht es dafür heute nur noch die Fernbedienung bei Netflix. Die Pizza wird gleich bis vor die Haustür gebracht“, fasst Theisen zusammen. „Inzwischen sind Rentner immer häufiger von chronischen Krankheiten betroffen. Wer allerdings schon früh lernt, auf die Karosserie aufzupassen, der hat auch länger etwas davon …“
Die gesundheitsschädigenden Risiken bei Bewegungsmangel und schlechter Ernährung sind enorm, von Herzkrankheiten bis hin zu Diabetes. „Die Energiezufuhr und die Bequemlichkeit stehen in keinem Zusammenhang mehr mit dem Kalorienverbrauch“ – wie man ihn eben von den Jägern und Sammlern kannte. Schon kleinere Änderungen im Alltag können dem entgegenwirken und positive Effekte haben: Treppensteigen, statt den Fahrstuhl zu nehmen, beim Einkauf nicht hektisch nach dem nächstgelegenen Parkplatz Ausschau halten und trotz des langen Arbeitstages noch einen zehnminütigen Spaziergang einplanen – all dies wird abends beim Blick auf der Smartwatch für Zufriedenheit sorgen.
„Es geht nicht unbedingt darum, Stress zu vermitteln. Vielmehr liegen zwischen Optimalfall und dem absoluten Minimum unzählige Optionen“, sagt Theisen. „Alles ist in diesem Sinne besser als nichts. Durch regelmäßige Bewegung bleibt man als Mensch länger autonom und tut etwas Gutes für seine mentale Gesundheit.“ Generell sind 10.000 Schritte pro Tag die erstrebenswerte Norm. „Man muss eingestehen, dass das viel ist. Demnach ist es sinnvoll, seine tägliche Schrittzahl zunächst um 10 bis 20 Prozent zu steigern.“ Zudem sind 150 Minuten moderater bis intensiver Ausdauersport sowie zwei Krafttrainings pro Woche laut der Weltgesundheitsorganisation WHO das beste Maß.
Kreativ im Alltag sein
Dass nicht jeder die Möglichkeit hat, diesen Vorgaben zu folgen, dessen ist sich der Gesundheitsexperte bewusst. „Man kann aber auch Krafttraining in den Alltag einbauen, indem man zwei Stufen gleichzeitig nimmt. Das Gleichgewicht trainiert man, während man sich die Zähne auf einem Bein putzt. Es braucht nur etwas Kreativität. Zudem ist es für den Kollegen angenehmer, wenn man ihn am Büro aufsucht, statt per Mail zu kommunizieren.“ Oder um es in den berühmten Worten des Dr. James Levine der Mayo-Universität in Arizona zu formulieren: „Sitzen ist das neue Rauchen“.
Genauso variabel wie mit den individuellen Möglichkeiten sieht es beim organisierten Sport aus. „In Gruppen zu trainieren, ist einerseits aus sozialer Sicht wichtig, zudem fördert es im Alter Kontakt und Motivation.“ All diese Argumente bringen Theisen zu einem ganz konkreten Schluss: Sport – aber vor allem Bewegung in all ihren Facetten – ist ein Medikament, das sowohl präventiv als auch kurativ eingesetzt werden kann. Ein aktives Leben zu führen, minimiert die Risiken für Herzkreislaufprobleme, Diabetes, Bluthochdruck, Krebs, Sarkopenie oder Fettleibigkeit. Zudem „ist Sport das billigste Medikament, das es gibt, wenn es um Heilungsprozesse geht, und gleichzeitig kaum Nebenwirkungen aufweist.“
Jeder Schritt zählt
In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Sporttherapie dank dem Einsatz der „Fédération luxembourgeoise des associations de sport de santé“ (FLASS) rasant entwickelt. Konkret geht es darum, das Wissen und praktische Angebote zu vermitteln, wonach Bewegung die persönliche Situation und die Lebensqualität verbessert. Indem der Stellenwert des Sports und körperlicher Anstrengung steigt, macht man das Ganze auch nach außen attraktiver. „Dafür muss man sich auch nicht mit einem Spitzensportler vergleichen. Den Rasen mähen, einen Einkaufswagen schieben: das alles zählt.“
Im europäischen Vergleich schnitt Luxemburg bei den letzten Berechnungen des Eurobarometers (525) in Bezug auf die sportliche Aktivität der Bevölkerung im gesicherten Mittelfeld ab. Ausruhen darf man sich auf diesen Zahlen keineswegs: „In den meisten Fällen werden diese Studien anhand von Fragebögen durchgeführt. Vielleicht ist es eine kulturelle Tendenz, sich zu überschätzen … Wir verfügen über tolle Einrichtungen, über ein vielfältiges Sportangebot. Dennoch sind wir ein Land, in dem etliche Menschen acht Stunden täglich auf einem Bürostuhl sitzen …“ Oder man macht es eben wie Theisen selbst: Der Geschäftsführer von ALAN asbl. Maladies rares Luxembourg hat seine Sitzgelegenheit einfach komplett aus den vier Wänden verbannt – und steht vor seinem Bildschirm. Dann darf es abends auch mal ruhigen Gewissens ein Film aus dem Netflix-Angebot sein.
So geht es weiter: Die Tageblatt-Serie „Lëtzebuerg lieft Sport“ biegt auf die Zielgerade ein. Zum Abschluss wartet nächste Woche das große Interview mit Sportminister Georges Engel.
De Maart

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