RadsportAlex Kirsch über seinen schweren Sturz: „Es war ein Schlachtfeld“ 

Radsport / Alex Kirsch über seinen schweren Sturz: „Es war ein Schlachtfeld“ 
Alex Kirsch stürzte bei Dwars door Vlaanderen schwer und musste nur einen Tag später operiert werden Foto: IMAGO/Belga

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Es war ein schwerer Sturz, in den Alex Kirsch bei Dwars door Vlaanderen verwickelt war. Am 27. März stürzten gleich mehrere Fahrer bei hoher Geschwindigkeit in der Abfahrt kurz vor dem Kanarieberg. Der luxemburgische Landesmeister wurde nur einen Tag später an der Mittelhand operiert. Im Tageblatt-Interview spricht der 31-Jährige über den „traumatischen“ Sturz, die Sicherheit im Radsport und wie es für ihn weitergeht. 

Tageblatt: Alex Kirsch, wie geht es Ihnen nach Ihrem schweren Sturz bei Dwars door Vlaanderen?

Alex Kirsch: Mir geht es wieder gut. Vom Zeitraum her könnte ich seit vorgestern wieder Rolle fahren. In sieben bis zehn Tagen sollte ich wieder draußen fahren können. Es wird vorher noch mal alles geröntgt, aber es geht schnell. Wichtig ist, nichts überhastet anzugehen.

Nehmen Sie uns mit zu „Dwars door Vlaanderen“: Wie ist es zu diesem Sturz gekommen?

Ich habe mich an diesem Tag sehr gut gefühlt. Ich hatte das Gefühl, dass ich von Tag zu Tag besser werde. Der Start des Rennens dann war schnell, aber es war bis zur Rennhälfte entspannt. Richtig los ging es im Berg Ten Houte, also kurz vor dem Kanarieberg, wo sich der Sturz ereignete. Es ging alles ganz schnell und unerwartet. Wir waren eine relativ kleine Gruppe und lagen im Sekundenschlag auf dem Boden. Ich konnte mir nicht erklären, wie es passieren konnte. Wir sind vorne gefahren, ich war neben Wout van Aert. Auf den Bildern habe ich dann später gesehen, dass Tiesj Benoot das Rad von Van Aert berührt hat. Im Nachhinein ergibt es Sinn, dass er dann in mich geflogen ist und wir alle gestürzt sind. 

Wie ging es nach dem Sturz für Sie weiter?

Der ganze Tag war eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Ich muss sagen, dass der Sturz doch sehr traumatisch war. Es war alles sehr schlimm. Nicht, weil ich mir übermäßig wehgetan habe. Aber bei der hohen Geschwindigkeit zu fallen, mehrere Fahrer noch in vollem Tempo in dich reinfahren zu spüren und das ganze Geschreie, das war nicht leicht. Es war ein Schlachtfeld. Ich habe mich auf der Straße wiedergefunden und einen Schnitt in der Hand gesehen. Das war sicher nicht schön anzusehen, aber mir ging es mehr oder weniger okay. Ich war zuerst froh, einigermaßen heil aus der Sache rausgekommen zu sein. Mein erster Gedanke war: im Vergleich zu den anderen, die hier liegen, siehst du noch okay aus. Ich wurde dann direkt im Auto zum Ziel gefahren. Da hatte ich dann mehr Zeit, die Situation zu analysieren. Ich wusste nicht, ob ich nur den Cut hatte oder ob was gebrochen war. Es gab einige Fragezeichen. Als der Teamarzt mich untersuchte, war schnell klar, dass die Klassikersaison für mich in diesem Jahr vorbei sein würde. Ich wurde ins Krankenhaus gefahren, damit die Wunde genäht wird. Dann wurde ich genauer untersucht und es wurde ein Bruch festgestellt. Ich musste am Tag nach dem Sturz also operiert werden. 

Bei der hohen Geschwindigkeit zu fallen, mehrere Fahrer noch in vollem Tempo in dich reinfahren zu spüren und das ganze Geschreie, das war nicht leicht

Alex Kirsch

Wie verlief der Eingriff?

Ich hatte mich für eine lokale Narkose entschieden, weil ich die Nebenwirkungen einer Vollnarkose vermeiden wollte. Es war nicht schön, aber es war ein einfacher Bruch. Die Operation verlief problemlos und relativ schnell. 

Blicken wir genauer auf den Sturz: Auf die zweite Frage antworteten Sie, dass der Sturz „schnell und unerwartet“ kam. Viele Radsportler kritisieren aber diese Stelle wegen ihrer Gefährlichkeit.

Der Sturz ereignete sich für mich in dieser Situation überraschend. Ich gehe mit der Meinung der anderen Radsportler mit. Diese Straße muss aus dem Rennen genommen werden. Der Streckenabschnitt ist mit der gefährlichste, den man in Belgien finden kann. Je nach Rennen kann man das Risiko dort minimieren, weil es nicht immer eine Schlüsselstelle ist. Bei „Dwars door Vlaanderen“ war der Kanarieberg der Berg, an dem das Rennen richtig losging. Es ging also vorher um Positionskämpfe. In anderen Rennen ist das eine Straße, auf der die Position keine Rolle spielt. 

Die Organisatoren der Flandern-Rundfahrt, die vier Tage später stattfand, hatten diesen Streckenabschnitt schon vor dem Sturz aus dem Rennen genommen. Können Sie sich erklären, warum der Teil bei Dwars door Vlaanderen dennoch gefahren werden musste?

Nein, das kann ich mir nicht erklären. Man muss sagen, dass wir diesen Streckenteil bei Kuurne-Brüssel-Kuurne oder auch beim E3 fahren. Dann fahren wir diese Straße aber zu anderen Momenten im Rennen. Wenn ich etwas zu sagen hätte, würde diese Stelle nicht mehr befahren werden. Oft kommt noch ein Kommentar von Twitter-Experten, die schreiben, dass Stürze auch anderswo passieren. Aber das ist Quatsch. Die hohe Geschwindigkeit von dieser Abfahrt findet man sonst nirgendwo. Der Zustand des Asphalts ist auch sehr schlecht, zudem ist dort eine Regenrinne. Natürlich kann man überall stürzen, das ist in diesem Sport nicht zu vermeiden. Manche Stellen sind allerdings wesentlich riskanter als andere. 

Der Streckenabschnitt ist mit der gefährlichste, den man in Belgien finden kann

Gehen die Organisatoren der Rennen bei der Streckenplanung manchmal über das Limit hinaus und vernachlässigen damit die Sicherheit der Sportler?

Das würde ich nicht sagen. Ich denke, dass es ein Problem der Kommunikation ist. Mit Kommunikation meine ich, dass nicht jeder Veranstalter weiß, mit wem er reden soll. Wenn man sich die Straße des Sturzes anschaut, dann sieht man eine große Straße, auf der viel Platz ist. Dann würden viele diese Strecke schon als ungefährlich definieren. Aber dann muss man mit den Radsportlern sprechen, damit sie erklären, warum diese Stelle so gefährlich ist. Das Argument, dass diese Stelle bei Kuurne-Brüssel-Kuurne oder dem E3 auch immer gefahren wird und dort nichts passiert, ist Quatsch. Es kommt immer auf den Moment an, wann dieser Teil befahren wird. Bei Kuurne-Brüssel-Kuurne ist der Kanarieberg ziemlich unwichtig. Da fahre ich lieber mit einem Sicherheitsabstand zu meinem Vordermann, als unbedingt eine gute Position haben zu wollen. 

Würden Sie sich also mehr Kommunikation zwischen den Veranstaltern oder der UCI und den Radsportlern wünschen?

Ich bin niemand, der gerne meckert. Wenn man schon meckert, dann braucht man auch Lösungen. Man könnte sagen, dass mehr mit den Radsportlern geredet werden muss. Aber wir haben eine Fahrergewerkschaft. Es ist auf jedem Rennen jemand vertreten, den wir ansprechen können. Außerdem bekommen wir nach jedem Rennen ein Formular, das wir ausfüllen können: Was war gut? Was war schlecht? Von 150 Fahrern, würde ich sagen, füllen dann aber nur maximal zehn das Formular aus. 

Bei Paris-Roubaix (am kommenden Sonntag) wurde nun eine Schikane kurz vor der Einfahrt zum Arenberg eingeführt, damit die Radsportler nicht in höchstem Tempo in den Sektor hineinfahren. 

Ich habe dazu wieder Kommentare gelesen. Jemand hat geschrieben, dass die Radsportler dann eben im Arenberg stürzen. Das war auch wieder ein dummer Kommentar. Mit 60 km/h in den Arenberg reinzufahren, ist mit das Verrückteste, das es gibt. Es ist so verrückt, das kann sich niemand vorstellen. Wenn jemand in der Schikane fällt, ist das immer noch nicht gut. Aber dann steht man auf und fährt weiter. Radsport ohne Stürze gibt es nicht – aber man kann die Risiken minimieren. Das hat die Flandern-Rundfahrt gemacht, das hat Paris-Roubaix gemacht.

Wie geht Ihre Saison nun weiter?

Das ist noch nicht ganz geklärt. Ich habe nach der Operation kurz mit dem Team gesprochen, da hatte ich aber nicht den klarsten Kopf. Vom Gefühl her ist es für mich komisch. Normalerweise mache ich nach den Klassikern eine Pause. Nach Paris-Roubaix fühlt man sich meistens kaputt, müde und leer. Das ist dieses Jahr anders. Ich fühle mich frisch und in Topform. Mein Gedanke war, ein Zwischenziel zu finden und bald wieder Rennen zu fahren. Aber wenn man sich unsere langfristigen Ziele der Saison, mit Tour de France und der Vuelta a España, ansieht, dann passt es auch nicht, jetzt schnell wieder fit zu werden. Es bringt nichts, egoistisch zu sein und zu sagen, dass ich in drei Wochen wieder Rennen fahren will. Normal bleibt es also beim ursprünglichen Plan: Mein Renneinstieg wird das Critérium du Dauphiné sein. Ich werde in den kommenden Tagen aber noch mal mit der Mannschaft reden. Ich hatte in den letzten Tagen kaum Zeit, wegen der Reha und all der Termine. Ich habe eine spezielle Schiene zum Schutz bekommen. Die letzten Tage waren also sicher kein Erholungsurlaub. 

Viele Radsportler sagen, dass bei ihnen die Angst nach einem solchen Sturz mitfährt. Kann dieser Unfall bei Ihnen mentale Auswirkungen haben?

Nein, das glaube ich nicht. Ich beherrsche die Technik und habe Personen um mich herum, um solche Sachen zu verarbeiten. Aber ich kann nachvollziehen, dass ein solcher Unfall viele Radsportler belastet. 

Ist es ein kleiner Trost, dass sich immerhin Ihre Familie über Ihre ungeplante Anwesenheit zu Hause freut?

Ja, aber die hätten auch lieber, dass ich Rennen fahre (lacht). Aber natürlich, ich genieße die Zeit jetzt bei ihnen.