Ob mit oder ohne Corona-Maske: Eine Pause gönnt sich Albaniens prominentester Stimmenjäger kaum. Unablässig inspiziert Premier Edi Rama vor der Parlamentswahl am Sonntag Baustellen, Krankenhäuser und Flughäfen. Unentwegt tingelt der Mann mit der über die Glatze gezogenen Basketballkappe durch die Provinz und durch die TV-Studios.
Mal weist der Chef der regierenden Sozialisten (SP) empört den US-Vorwurf des nachlässigen Kampfs gegen das Waschen von Drogengeldern zurück. Ein anderes Mal plaudert der Ex-Künstler launig über seine Vorliebe für Turnschuhe oder verkündet pathetisch das nahe Ende der Corona-Krise: „Es ist uns gelungen, das Licht am Ende des Pandemie-Tunnels heller zu machen. Denn es ist unsere Mission, Albanien an die Spitze zu bringen, die unsere Kinder verdienen.“
Zum salbungsvollen Selbstlob hat der 56-jährige Platzhirsch allen Grund. Die jüngsten Prognosen sehen seine SP zwar noch immer mit vier Prozent vor der konservativen DP von Oppositionschef Lulzim Basha und der Linkskonkurrenz LSI von Staatschef Ilir Meta. Doch der Anteil der Unentschlossenen ist groß. Und Überraschungen sind angesichts der Missstände keineswegs auszuschließen.
Triste Wechsel-Gründe gibt es eigentlich genug
Rama hofft auf eine dritte Amtszeit, die Opposition auf den Machtwechsel. Die „Hoffnung auf Veränderung brennt so stark wie nie zuvor“, so der 46-jährige DP-Chef Basha: „Die Zeit ist gekommen, Rama in die Opposition zu schicken.“
Armut, Arbeitslosigkeit, Emigration, Korruption und die florierenden Geschäfte der Drogenmafia: Triste Gründe für einen Wechsel gibt es in Albanien eigentlich genug. Zu allem Übel hat die Corona-Krise den viertärmsten Staat Europas sehr hart getroffen. Die Wirtschaft des stark vom Tourismus abhängigen und von dem Erdbeben im November 2019 gebeutelten Adriastaats ist im letzten Jahr um 6,4 Prozent geschrumpft, die Staatsverschuldung von 63 auf 76 Prozent des Brutto-Inlandsprodukts geklettert.
Die Kräne über den zahlreichen Baustellen in Tirana vermitteln zwar den Eindruck eines Baubooms. Doch viele der in den letzten Jahren aus dem Boden gestampften Bürotürme und Luxusappartements stehen leer. Es sind nicht nur Ersparnisse der Gastarbeiter in der Diaspora, sondern vor allem die Gelder der Drogenmafia, die den Immobilienmarkt in der Hauptstadt erhitzen: Mit Baubeton lassen sich zweifelhafte Einkünfte am leichtesten waschen. Den Kampf gegen die Korruption und die organisierte Kriminalität sowie eine Beschleunigung der EU-Annäherung hatte Rama bei seinem Amtsantritt 2013 gelobt. Seine Erfolgsbilanz nach acht Jahren nimmt sich bescheiden aus. Außer als Europas größter Marihuana-Produzent gilt Albanien mittlerweile auch als wichtiges Transitland für Heroin aus Zentralasien und Kokain aus Südamerika.
Vergangenheit trübt Versprechen der Opposition
Auf dem Korruptionsindex von „Transparency International“ liegt der EU-Anwärter gemeinsam mit Staaten wie der Elfenbeinküste oder Vietnam auf dem 104. Rang, auf dem Index der Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen“ hinter El Salvador auf dem 83. Rang. Nicht nur die Medienkonzentration in den Händen weniger Oligarchen mit Parteianbindung macht Journalisten zu schaffen.
Lästige Chronisten pflegt der kritikempfindliche Rama als „Ignoranten“, „Scharlatane“, „Mülleimer“ oder „öffentliche Feinde“ zu schmähen. Der in der internationalen Arena gerne betont lässig auftretende Premier zeigt im eigenen Land auch autoritäre Regenten-Züge: Enthüllungen über Stimmenkauf und kriminelle Machenschaften von SP-Würdenträgern haben seinen einstigen Erneuerer-Glanz verblassen lassen.
Das Versprechen der Opposition auf einen Aufbruch in bessere Zeiten wird wiederum von der Erinnerung an deren Vergangenheit getrübt: Auch unter dem DP-Premier Sali Berisha und dem heutigen Oppositionschef Basha als Außen- und Innenminister florierte die Korruption. Die Opposition hoffe zwar, dass die Wähler von der Regierung so ermüdet seien, dass sie für den Wechsel stimmten, umschreibt der Journalist Gjergji Erebara die Ausgangslage. Doch unabhängig vom Wahlausgang seien grundlegende Änderungen kaum zu erwarten: Denn es gebe „keine echten Unterschiede“ zwischen der Regierung und der Opposition.
De Maart
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