Alles ging Knall auf Fall: In der Nacht zum Freitag hatten wieder einmal für die Ukraine bestimmte Raketen der russischen Armee den Luftraum verletzt. Wenige Stunden später warf die pro-westliche Regierungschefin Moldawiens Natalia Gavrilita völlig überraschend das Handtuch. Und am späten Nachmittag hatte Präsidentin Maia Sandu bereits ihren wichtigsten Sicherheitsberater zum Nachfolger ernannt.
Wie so oft brachen auch diesmal die politischen Verwerfungen im strategisch wichtigen, da zwischen der Ukraine und der EU-Außengrenze in Rumänien gelegenen, ärmsten Land Europas für die meisten westlichen Beobachter unerwartet aus. Auf diese Regierungskrise hingearbeitet hatte jedoch schon seit langem vor allem der Kreml.
Denn Moldawien schwankt seit seiner Unabhängigkeit nach dem Zerfall der Sowjetunion von 1991 zwischen West und Ost. Seit dem Präsidentenwahlsieg der pro-westlichen Anti-Korruptions-Aktivistin Maia Sandu über den pro-russischen Linkspopulisten Igor Dodon von Ende 2020 ist Chisinau jedoch auf den Weg der EU-Integration zurückgeschwenkt.
Dies ist Russland ein Dorn im Auge, zumal es im abtrünnigen pro-russischen Separatistengebiet Transnistrien mindestens 1.500 russische Soldaten in mehreren Armeebasen aus Sowjetzeiten stationiert hat. Über deren Abzug wird seit über 30 Jahren unter Vermittlung der OSZE verhandelt, allerdings ohne Erfolg, denn einen solchen Trumpf in strategisch so wichtiger Lage gibt Moskau nicht aus der Hand. Und so kreisen immer wieder Spekulationen über einen möglichen Zangenangriff auf die nur rund 50 Kilometer südlich gelegene ukrainische Hafenstadt Odessa aus Transnistrien und dem noch russisch besetzten Gebiet bei Cherson.
Seit Beginn der Invasion in der Ukraine von Ende Februar 2022 hat Russland dazu Proteste gegen steigende Energiepreise und Lebenshaltungskosten in den von Chisinau kontrollierten Gebieten Moldawiens kräftig angeheizt. Die Inflation lag dort zeitweise bei 34 Prozent pro Monat. „Der Gaspreis ist heute achtmal höher, für Elektrizität zahlen wir dreimal mehr“, klagte der Kleinunternehmer Radu S. Mitte der Vorwoche im persönlichen Gespräch mit dem Tageblatt im süd-moldawischen Donau-Städtchen Giurgiulesti. „Leider haben wir erst kürzlich das ganze Haus auf das angeblich billigere Erdgas umgeschaltet“, ärgert sich der Mann. „Dazu überschlägt sich die Inflation, ich weiß nicht, wie ich meine Familie über die Runden bringen soll“, sagt Radu S.
20 Euro fürs Demonstrieren
Vor allem die pro-russische Schor-Partei hat mit Moskaus Hilfe seit Wochen immer wieder bezahlte Demonstranten auf die Straßen der Hauptstadt Chisinau geschickt. Bis zu 20 Euro pro Tag wird jenen vor allem älteren Bürgern aus ländlichen Regionen bezahlt, die Protestzelte vor dem Präsidentenpalast aufgeschlagen haben. Den Protest der Unzufriedenen unterstützt auch der post-kommunistische Bürgermeister von Chisinau, Ion Ceban.
Moskau hat dazu die Erdgaslieferungen gedrosselt, nachdem Maia Sandu die Invasion in die Ukraine sofort mit klaren Worten verurteilt hatte. Seitdem kommt es immer wieder zu Blackouts. Denn das de facto unabhängige Transnistrien hat die Stromproduktion gedrosselt, und die Ukraine hat wegen der Bombardierungen der Kraftwerke den Elektrizitätsexport ins Ausland gestoppt.
Dazu kommen seit Herbst immer wieder verirrte oder von der ukrainischen Armee abgeschossene russische Marschflugkörper, die den Luftraum verletzen oder gar auf moldawischem Gebiet einschlagen. Bisher gab es glücklicherweise keine Todesopfer, doch Chisinau hat bereits mehrere russische Diplomaten ausgewiesen.
Staatspräsidentin Maia Sandu ist indes beschlossen, den pro-westlichen Kurs ihres Landes fortzusetzen. Noch am Freitag beauftragte sie Ex-Innenminister Dorin Recean mit der Bildung eines neuen pro-europäischen Kabinetts. Dieses muss sich innerhalb von 15 Tagen vom Parlament bestätigen lassen. Da ihr Anti-Korruptions-Bündnis „Aktion und Solidarität“ (PAS) dort mit zwei Dritteln der Sitze über eine absolute Mehrheit verfügt, sollte dies kein Problem sein.
Kämpfe um Bachmut
Die Söldnergruppe Wagner hat ihrem Chef Jewgeni Prigoschin zufolge den Ort Krasna Hora nördlich der heftig umkämpften Stadt Bachmut eingenommen. Auf dem Messengerdienst Telegram veröffentlichte Prigoschin neben der Sprachnachricht über die Einnahme von Krasna Hora am Sonntag auch ein Video, das Wagner-Söldner am Ortsschild zeigen soll. Derzeit kämpften Wagner-Soldaten in einem Radius von rund 50 Kilometern um Bachmut herum, sagte Prigoschin. Um Bachmut wird seit Monaten erbittert gekämpft. Der ukrainische General Walerij Saluschnyj erklärte am Samstag, dass Bachmut immer noch von der Ukraine gehalten werde. Es werde versucht, die Frontlinie um die Stadt herum zu stabilisieren. Vor dem Krieg hatte Bachmut etwa 75.000 Einwohner. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte Anfang des Monats Bachmut als Festung der Ukraine bezeichnet und im Zusammenhang mit der Verteidigung der Stadt seine Forderungen nach Langstreckenraketen erneuert. Prigoschin hatte in einem am Freitag veröffentlichten Interview mit einem russischen Militärblogger erklärt, die Einnahme von Bachmut sei wichtig für den weiteren Feldzug. Er erwartet noch jahrelange zähe Kämpfe in der Ukraine. Damit gab Prigoschin einen seltenen Einblick in den auf russischer Seite erwarteten Zeithorizont des Krieges. (Reuters)
De Maart
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