War der damalige Finanzminister für die zweite Infektionswelle im Herbst 2020 mitverantwortlich? Mehrere Zeugen haben das anhand der öffentlichen Anhörungen der offiziellen Covid-19-Untersuchung in den vergangenen Wochen anklingen lassen. Sunak gehörte nach dem ersten Lockdown zu den Skeptikern weiterer Einschränkungen. Im August 2020 subventionierte das Finanzministerium Restaurant-Besuche („Eat out to help out“); im Anschluss an die zweiwöchige Periode stiegen Sars-CoV-2-Erkrankungen um zwischen acht und 17 Prozent an.
Inwieweit dieser Anstieg wirklich auf Sunaks Initiative zurückging, bleibt naturgemäß offen. Der frühere wissenschaftliche Chefberater der Regierung hält dies für „höchstwahrscheinlich“. Eine Teilnehmerin in der WhatsApp-Gruppe des wissenschaftlichen Beratergremiums war sich so sicher, dass sie den Finanzminister verächtlich „Doktor Tod“ nannte.
In seiner Anhörung am Montag gab sich Sunak gelassen. Seine Rolle habe darin bestanden, dem damaligen Premier Boris Johnson die besten Argumente aus Sicht seines Ressorts an die Hand zu geben: „Das war meine konstitutionelle Aufgabe.“ Die Folgen der diversen Lockdowns konterte das Finanzministerium damals mit großzügiger Unterstützung für Firmen und Selbstständige. Mit zunehmender Dauer der Pandemie wollte Sunak der Einschüchterung der Bevölkerung eine optimistische Sichtweise entgegensetzen, wie er schon im Sommer 2022 resümierte. „Wir haben in jeder Vorlage versucht zu sagen: Lasst uns damit aufhören, den Leuten Angst einzujagen.“
Parteiinterne Differenzen
Jedenfalls steht dem Premierminister am Dienstag ein viel schwierigerer Tag bevor. Dann geht es in zweiter Lesung um das vergangene Woche ins Parlament eingebrachte „Notstandsgesetz“, das die Abschiebung illegaler Migranten nach Ruanda ermöglichen soll. Der zurückgetretene Innen-Staatssekretär Robert Jenrick, ein früherer Sunak-Loyalist, hat am Wochenende mitgeteilt, das Gesetzeswerk werde seinen Zweck nicht erfüllen können.
Inwieweit das überhaupt möglich ist, stellt ein vergnügliches Streitthema für die Juristen dar. Politisch gesehen steckt der konservative Premier in der Zwickmühle zwischen der nationalistischen Partei-Rechten, die am liebsten aus der Europäischen Menschenrechtskonvention austreten möchte, und den Liberalkonservativen, denen schon der vorgelegte Text zu weit geht. Immerhin unternimmt die Regierung damit den Versuch, britischen Gerichten die Beratung über individuelle Asylbewerber zu verbieten. Das umstrittene Regime Ruandas unter Präsident Paul Kagame wird kurzerhand zum „sicheren Drittland“ erklärt, was der Supreme Court im November, gestützt auf Erkenntnisse der UN-Flüchtlingskommission, noch ganz anders sah.
Wieder „Tory-Bürgerkrieg“
Was aber passiert, wenn die Regierung die Abstimmung verliert? Das kommt selten vor, zumal wenn es um eine zweite Lesung geht. Wie sehr sich Sunak unter Druck fühlt, verdeutlichte aber die gewaltigen Anstrengungen der Fraktionsmanager, übers Wochenende möglichst viele Abgeordnete auf die Regierungslinie einzuschwören. Dabei spielte der neue Außenminister, Ex-Premier David Cameron, eine wichtige Rolle. „Wir stehen zusammen oder wir verlieren die nächste Wahl“ – der Satz des Premierministers dürfte in vielen Gesprächen vorkommen.
Das hindert die Partei-internen Kritiker der Downing Street nicht daran, ihren Missmut öffentlich zu ventilieren. „Der Tory-Bürgerkrieg ist wieder in vollem Gang“, glaubt Ex-Finanzminister George Osborne. Schon ist von einer Vertrauensabstimmung die Rede, wie sie auch Sunaks Vorgänger Theresa May und Boris Johnson über sich ergehen lassen mussten. „Das wäre total verrückt“, hat Generalsekretär Richard Holden mitgeteilt und auf die alte Weisheit hingewiesen, wonach die Wählerschaft zerstrittene Parteien nicht mag. Schon jetzt liegen die Torys in den Umfragen bei wenig mehr als 20 Prozent und damit 15 bis 20 Punkte hinter der oppositionellen Labour-Party unter Keir Starmer.
Comeback von Boris Johnson?
Doch offenbar reden Sunaks Kritiker allen Ernstes von einer Wiederkehr des Boris Johnson. So berichten es übereinstimmend mehrere Londoner Medien. Dabei gehört der gescheiterte Ex-Premier nicht einmal mehr dem Unterhaus an, und Nachwahlen gingen zuletzt für die Regierungspartei zuverlässig verloren. Außerdem gehe es dem 59-Jährigen, der gern hochbezahlte Reden hält, in seiner Rolle als Privatmann und Familienvater gut, behaupten Freunde. Ganz staatstragend lässt Johnsons Sprecher ausrichten, der einstige Brexit-Vormann „schreibt an einem Buch und unterstützt die Regierung“.
Weder das eine noch das andere kann man vom anderen Brexit-Propagandisten sagen. Gerade erst ist Nigel Farage, behängt mit einer Bronzemedaille und gut eine Million Pfund reicher, aus dem Dschungelcamp des Kommerzsenders ITV entlassen worden. Schon widmet sich der 59-Jährige wieder seiner Lieblingsbeschäftigung: Unfrieden stiften bei den Konservativen. Natürlich findet der Nationalpopulist die bisherige Einwanderungspolitik nicht hart genug. Ob er zugunsten der neuen Reform-Partei, die auf Ukip und der Brexit-Party gründet, in den Wahlkampf eingreifen werde? „Man soll nie nie sagen.“
De Maart
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