Sonntag26. Oktober 2025

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Wahlen in SerbienPräsident Vucic muss Einbußen für seine SNS und den Verlust des Belgrader Rathauses fürchten

Wahlen in Serbien / Präsident Vucic muss Einbußen für seine SNS und den Verlust des Belgrader Rathauses fürchten
Der serbische Präsident Aleksandar Vucic (l.) ist auf einem Wahlplakat mit dem Belgrader Bürgermeister Aleksandar Sapic zu sehen Foto: Andrej Isakovic/AFP

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Über einen ungekannt schmutzigen Wahlkampf klagt vor der vorgezogenen Parlaments- und Kommunalwahl Serbiens Opposition. Auf einen erneuten Triumph für seine SNS setzt Präsident Aleksandar Vucic. Doch der Unmut über den autoritären Strippenzieher und die Korruption im faktischen Einparteienstaat nimmt zu: Im Belgrader Rathaus könnte die SNS die Macht verlieren.

Breitschultrige Einpeitscher geben in der vollbesetzten Belgrad Arena den Takt vor. „Aco Serbe, Aco Serbe“, skandieren die stadionerprobten Wahlkampfhelfer auf den Oberrängen. In roten Lettern huscht der Namenszug von Aleksandar Vucic über die Hallenbande. Mit zur Faust geballten Rechten schreitet Serbiens allgewaltiger Präsident unter ohrenbetäubendem Jubel zum Rednerpult. „Dies ist unser Serbien!“, verkündet das Bugbild der nationalpopulistischen Regierungspartei SNS unter dem frenetischen Applaus seines Publikums: „Ihr seid die Kraft Serbiens! Wir werden so überzeugend siegen wie noch nie!“

Erst vor 18 Monaten hatten die Serben ihr letztes Parlament gewählt. Und schon wieder rollen durch den angeschlagenen Balkanstaat die Wahlkampfvehikel. Aus dem ganzen Land hat die SNS mit Hunderten von Bussen Tausende von Anhängern und Zwangssympathisanten zu der Großkundgebung in die Hauptstadt gekarrt: Es ist vor allem der Kampf um das Rathaus von Belgrad, der vor den vorgezogenen Parlaments- und Kommunalwahlen am Sonntag Regierungs- und Oppositionsparteien gleichermaßen elektrisiert.

Wir wählen am Sonntag, ob hier weiter das Unrecht, die Partei und die Mafia regieren – oder das Recht, die Verfassung und die Gesetze

Marinika Tepic, Parlamentsabgeordnete

Serbische Fahnen flattern im kalten Winterwind über der auf dem „Platz der Republik“ versammelten Menschenmenge. „Wir wählen am Sonntag, ob hier weiter das Unrecht, die Partei und die Mafia regieren – oder das Recht, die Verfassung und die Gesetze“, beschwört die Parlamentsabgeordnete Marinika Tepic die fröstelnden Anhänger des oppositionellen Wahlbündnisses „Serbien gegen die Gewalt“: „Wir sind mehr als sie. Lasst uns dieses bei den Wahlen zeigen. Ohne Angst. Denn sie können uns nichts anhaben, wenn wir geeint sind.“

Zum dritten Mal in weniger als vier Jahren wird bei dem zwischen Ost und West schlingernden EU-Anwärter ein neues Parlament gewählt. Nicht nur innenpolitische Spannungen, sondern auch der zunehmende Druck des Westens zu einem Ausgleich mit Kosovo lässt Dauerwahlkämpfer Vucic wieder einmal auf Zeitgewinn und die bewährte Wahlflucht nach vorne setzen.

Die lange völlig zersplitterte Opposition hofft, dass sich der autoritär gestrickte Strippenzieher dieses Mal verkalkuliert: Seiner Operation Machterhalt setzt zumindest der proeuropäische Teil der Opposition die Bündelung ihrer Kräfte und die Mobilisierung ihrer stillen Wählerreserven entgegen. „Es ist nicht viel nötig“, ruft Tepic ihre Zuhörer dazu auf, auch zweifelnde oder resignierte Angehörige und Bekannte zum Urnengang zu bewegen: „Mit nur fünf Prozent mehr Wahlbeteiligung als im letzten Jahr gelangen wir ans Ziel.“

Vucic besetzt das Wahlkampffeld

Es ist nicht nur die Empörung über zwei blutige Amokläufe im Mai und die monatelange, erst im Spätsommer abgeklungene Protestwelle gegen die Verrohung der Medien und politischen Sitten im SNS-Staat, die die Oppositionsanhänger auf ein Wahlmirakel hoffen lassen. Endlose Korruptionsskandale, Partei- und Vetternwirtschaft sowie die Bande zur organisierten Kriminalität haben das Ansehen der SNS ebenso beschädigt wie die hohe Inflation.

Wenn die Opposition die Wahlen in Belgrad gewinnt, wird das dem ganzen Land die Freiheit bringen

Vesna Brajic, Professorin

In einem Land, in dem das Pfund Butter nicht mehr unter vier Euro zu haben ist, haben die explodierenden Preise den Effekt der von der Regierung gefeierten Lohn- und Rentenerhöhungen längst zunichtegemacht. „Wenn man den Kühlschrank oder den Geldbeutel öffnet, weiß man genau, wie man lebt“, seufzt die Professorin Vesna Brajic. Die Taktik von Vucic sei „teile und herrsche“. Doch jede Regierung sei „ablösbar“: „Wenn die Opposition die Wahlen in Belgrad gewinnt, wird das dem ganzen Land die Freiheit bringen.“

Zur Wahl steht der allgegenwärtige Präsident keineswegs. Aber dennoch hat Vucic sein Wahlkampffeld wieder einmal gewissenhaft bestellt. Unermüdlich tingelt der einstige Informationsminister des früheren Autokraten Slobodan Milosevic durch die Studios der landesweiten, von seiner Partei kontrollierten TV-Sender. Bei jedem Klick im Internet ploppt das Antlitz des Mannes mit der Hornbrille auf. Die kräftig gegängelte Oppositionskonkurrenz kann ihre Anliegen hingegen nur in unabhängigen Webportalen, kleineren Zeitungen und zwei in weiten Teilen des Landes allerdings nicht empfangbaren Kabel-TV-Kanälen verbreiten.

Absehbare Niederlage in der Hauptstadt

Doch allein auf ihr systematisch ausgebautes Medienmonopol will sich die SNS keineswegs verlassen. Ob bei der Lancierung anrüchiger Sex-Aufnahmen eines Oppositionskandidaten, gefälschten Unterschriftenlisten zur Registrierung aussichtsloser Kleinparteien, pünktlich im Wahlkampf inszenierten Spionage-Skandalen oder der wundersamen Vermehrung von Wahlbenachrichtigungen für die den verdutzten Mitbewohnern völlig unbekannte Fantomwähler: Bei dem von der Opposition als „schmutzigsten Wahlkampf aller Zeiten“ beklagten Stimmenstreit mischen Serbiens Geheimdienste kräftig mit – im Dienst der Macht.

„Vier von fünf Belgradern sind gegen Vucic“, ist der Sportartikelhändler Jovan Otasovic überzeugt. Zwar habe der Staatschef die Opposition „zerstört“ und treibe mit seiner Politik die „kritische Masse“ der jungen Leute in die Emigration: „Aber auch wenn es hier keine richtige Opposition mehr gibt, haben die Leute von Vucic einfach genug.“

Ihre absehbare Niederlage in der Hauptstadt versuche die SNS nicht nur mit der massenhaften Registrierung von Scheinwählern aus der bosnischen Republika Srpska abzuwenden, so der studierte Ökonom. „Nach der Wahl werden sie wieder einige Teilergebnisse für ungültig erklären, in einigen Wahlkreisen die Wahlen mehrfach wiederholen lassen, die Sache monatelang hinziehen und am Ende ein paar Stadträte der Opposition umkaufen“, fürchtet Otasovic: „Aber die Belgrader werden auf die Straße gehen, falls die Wahlen gestohlen werden.“

Auf Landesebene sind Einbußen für die SNS trotz der präsidialen Schützenhilfe zwar nicht auszuschließen. Doch nicht nur wegen des absehbaren Scheiterns einiger oppositioneller Rechtsparteien an der Dreiprozenthürde scheint ein Machtwechsel wenig wahrscheinlich. Gemeinsam mit dem von ihr im Wahlkampf auffällig hart attackierten sozialistischen Koalitionspartner SPS dürfte sich die SNS weiter im Regierungssattel halten.

Angst um den Arbeitsplatz

Beim Kampf um das Belgrader Rathaus muss die Regierungspartei hingegen die symbolträchtige Abwahl fürchten. Die Opposition hofft, dass eine SNS-Schlappe in der Hauptstadt den Anfang vom Ende der Ära Vucic einläuten könnte – ähnlich wie bei den Kommunalwahlen 1997, als der 2001 gestürzte Milosevic erstmals eine Niederlage erlitt.

Entscheidend für den Wahlausgang wird der Andrang in den Stimmlokalen sein. Klettert die in Serbien wegen der hohen Zahl von ausgewanderten, aber immer noch registrierten Wählerseelen traditionell niedrige Beteiligung auf über 60 Prozent, sind Überraschungserfolge der Opposition nicht ausgeschlossen. Von einer niedrigen Wahlbeteiligung dürfte hingegen die SNS dank ihrer disziplinierten Stamm- und Zwangswähler profitieren: Nicht nur ihre Überzeugung, sondern auch massiver Druck und die Angst um den Arbeitsplatz pflegen die Beschäftigten staatlicher Institutionen und Betriebe in die Wahlkampfbusse und an die Urnen zu treiben.

Die Tore des Nationaltheaters in Nis bleiben für die parteilose Bürgerinitiative „ProGlas“ verschlossen. Aber trotz des verweigerten Theatersaals haben sich in der kalten Wintersonne mehr als 2.000 Menschen auf dem Plateau vor dem gedrungenen Bau eingefunden. In dem Staat der gekaperten Institutionen seien Änderungen genauso möglich wie die „Überwindung der Angst“ und der Apathie, versuchen die Redner ihr Publikum auf den Wahlgang einzuschwören. „Dies ist unser Staat. Die Regierung ist nur das Management. Und wir können es ablösen, wenn wir das wollen“, so der TV-Moderator Ivan Ivanovic: „Unsere Macht ist unsere Stimme.“

Marinika Tepic, stellvertretende Vorsitzende der serbischen Partei Freiheit und Gerechtigkeit, will mit einem Wahlbündnis die Präsidentenpartei SNS stürzen
Marinika Tepic, stellvertretende Vorsitzende der serbischen Partei Freiheit und Gerechtigkeit, will mit einem Wahlbündnis die Präsidentenpartei SNS stürzen Foto: Andrej Isakovic/AFP