Samstag1. November 2025

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ÖsterreichÖVP-Koalitionspartner stimmt gegen Rückholung abgeschobener Mädchen

Österreich / ÖVP-Koalitionspartner stimmt gegen Rückholung abgeschobener Mädchen
Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler hat immer mehr Schwierigkeiten gegenüber seiner Basis, die Koalition mit der ÖVP zu rechtfertigen Foto: APA/dpa/Herbert Neubauer

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Einmal mehr haben Österreichs Grüne Koalitionsdisziplin über Prinzipien gestellt und im Parlament gegen ihre eigene Position gestimmt.

Keine grüne Ministerin, kein grüner Minister ließ sich am Donnerstag auf der Regierungsbank im Parlament blicken. Die als demonstrative Unmutsbezeugung gegen den Koalitionspartner ÖVP gedachte Absenz ersparte dem grünen Team zugleich das Durchleben einer Peinlichkeit. Eigentlich war der Nationalrat auf Antrag der FPÖ zu der Sondersitzung zusammengetreten, weil das von Karl Nehammer (ÖVP) geführte Innenministerium am vergangenen Wochenende geplante Demonstrationen gegen Corona-Schutzmaßnahmen verboten hatte. Für die FPÖ war das ein klarer Verstoß gegen das Grundrecht der Versammlungsfreiheit. Das sehen SPÖ und liberale Neos durchaus ähnlich, sie hatten aber aus einem weiteren Grund ein Hühnchen zu rupfen mit dem Innenminister: Nehammer zeichnet auch verantwortlich für die spektakuläre Abschiebung von drei Schülerinnen samt ihren gut integriert gewesenen Familien nach Georgien beziehungsweise Armenien vor einer Woche. Damit hatte die rechtspopulistische FPÖ natürlich kein Problem, umso mehr aber die Grünen. Die sparten auch nicht mit heftiger Kritik am Koalitionspartner. Seit dem Start der türkis-grünen Regierung vor 13 Monaten sind die Messer noch nie so tief geflogen wie in diesen Tagen. Grünen-Bundessprecher und Vizekanzler Werner Kogler nannte die Abschiebungen „unmenschlich und unverantwortlich“, Fraktionschefin Sigrid Maurer sprach von einem „veritablen Konflikt mit der ÖVP“.

Gestern hätte sich eine günstige Gelegenheit ergeben, der ÖVP im Parlament einmal die Zähne zu zeigen. Die Sozialdemokraten brachten nämlich einen Antrag auf Rückholung der abgeschobenen Mädchen ein – und zwar im Wortlaut einer vom Wiener Gemeinderat verabschiedeten Resolution. Dort hatten die Grünen mit SPÖ und Neos gestimmt.

Treue zur ÖVP

Tatsächlich ging es auch im Nationalrat gestern heftig zur Sache. Der grüne Abgeordnete David Stögmüller ritt scharfe Attacken gegen den türkisen Innenminister, warf ihm „unmenschliche Kälte“ vor und kritisierte auch den sanften Umgang der Polizei gegen teils rechtsextreme Demonstranten, die sich am Sonntag dem Kundgebungsverbot widersetzt hatten. Doch dann verließ die Grünen der Mut. Obwohl ein grün-rot-pinkes Bündnis ohnehin keine Mehrheit in die Waagschale hätte werfen können, verweigerten die Grünen dem im Wiener Gemeinderat noch genehmen SPÖ-Antrag die Zustimmung. Und einer anderen Konstellation, die den Innenminister sogar den Kopf hätte kosten können, wollten sich die Grünen schon gar nicht anschließen: SPÖ und FPÖ sind sich nämlich einig darin, dass Nehammer nicht mehr tragbar ist. Beide Parteien brachten einen Misstrauensantrag ein, dem die grünen Nehammer-Kritiker zur Mehrheit verhelfen hätten können. Auch das taten sie nicht.

Wie lange die Grünen-Spitze diesen Spagat zwischen Koalitionsdisziplin und humanitärem Anspruch noch unbeschadet übersteht, ist eine spannende Frage. Das laute Murren an der Basis hat zumindest bis jetzt in den Umfragen noch keinen Niederschlag gefunden. Alibi-Aktionen wie die gestern von Vizekanzler Kogler verkündete Gründung einer „Kindeswohlkommission“, die sich mit Kinderrechten im Zusammenhang mit Abschiebungen befassen soll, werden Kritiker des Selbstverleugnungskurses kaum milde stimmen. Denn die Kommission wird mit der früheren Neos-Präsidentschaftskandidatin Irmgard Griss zwar eine prominente Vorsitzende, aber keine Kompetenzen haben. Da die Asylpolitik ein Dauerbrenner ist, sind spätestens nach der Corona-Krise neue türkis-grüne Zerreißproben garantiert.