Samstag25. Oktober 2025

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ÖsterreichÖVP-Geheimpakte mit FPÖ und Grünen zur Aufteilung der Republik

Österreich / ÖVP-Geheimpakte mit FPÖ und Grünen zur Aufteilung der Republik
Abstimmung im Rahmen einer Sitzung des Nationalrates im Parlamentsausweichquartier in der Wiener Hofburg: Immer mehr Wähler in Österreich verlieren das Vertauen in ihre politischen Vertreter  Foto: AP/dpa/Lisa Leutner

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Erst mit der FPÖ, dann mit den Grünen: Die ÖVP teilt sich die Republik mit dem jeweiligen Koalitionspartner auf. Die Geheimpakte zum großen Postenschacher wurden jetzt bekannt.

Seit dem Platzen des Ibiza-Skandals vor zweieinhalb Jahren sind die Österreicher in Bezug auf Machenschaften der politischen Klasse ziemlich abgebrüht. Nahezu täglich neue Enthüllungen bedeuten jedoch eine permanente Belastungsprobe für die Resilienz der das Vertrauen in ihre Vertreter immer mehr verlierenden Wähler.

Manches wäre zum Lachen, wäre es nicht so ernst: Vorige Woche rückte das Finanzministerium eine bisher unter Verschluss gehaltene Studie heraus, mit der 2017 erhoben wurde, mit welchen Tieren Politiker assoziiert werden: Der damalige Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) etwa fand seine Entsprechung im Tierreich als Pfau oder Delfin. Wofür die 156.000 Euro teure Studie gut sein sollte, hat noch niemand erklären können. Sie wurde jedoch von jener Meinungsforscherin erstellt, die in anderen – ebenfalls vom Finanzministerium beauftragten – Studien Kurz’ Siegernimbus demoskopisch untermauert und in einer – vom Finanzministerium großzügigst mit Inseraten bedachten – Boulevardzeitung veröffentlicht hat.

Inzwischen quellen die Medien aber schon mit neuen Enthüllungen aus dem schmutzigen Geschäft Politik über. Nicht, dass man es schon geahnt hätte, aber jetzt liegt schwarz auf weiß auf dem Tisch, wie sich Parteien die Republik aufteilen. Kein Bereich bleibt verschont: Ob staatsnahe Betriebe, Nationalbank, ORF oder sogar Justiz, überall werden Parteigünstlinge platziert. Während die EU Ungarn oder Polen wegen politischer Attacken auf die Unabhängigkeit der Justiz auf die Finger klopft, hat sich Brüssel bisher noch nicht interessiert für die subtileren Formen der Politisierung der österreichischen Justiz: Ein bislang geheimer Sideletter zum Ende 2017 abgeschlossenen türkis-blauen Koalitionspakt legte genau fest, wer welchen Top-Job ergattern sollte. Demnach sollte die der FPÖ zugeordnete Brigitte Bierlein Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes werden und das bis Ende 2019 bleiben, um dann vom ÖVPler Christoph Grabenwarter abgelöst zu werden. Tatsächlich kam es so, allerdings endete Bierleins Amtszeit schon im Juni 2019, weil sie nach dem Platzen der Koalition infolge „Ibizagate“ Interimskanzlerin wurde. Sämtliche andere Posten in der Justiz teilten sich ÖVP und FPÖ ebenfalls auf, vom EU-Gerichtshof über den Verwaltungsgerichtshof (VwGH), wo die ÖVP den Präsidenten stellen sollte und die FPÖ einen Vizepräsidentenposten.

Wen kümmert Aktienrecht?

Der türkis-blaue Geheimpakt könnte für Ex-Kanzler Kurz auch strafrechtlich relevant werden. Denn das von ihm und dem damaligen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache unterzeichnete Dokument legt die Einflusssphären in der zu gründenden Staatsholding ÖBAG fest: „Der Vorstand der Beteiligungsgesellschaft wird durch die ÖVP nominiert. Der Aufsichtsrat der Beteiligungsgesellschaft wird durch die ÖVP nominiert. Die FPÖ erhält eine Person bis zu 1/3 der Aufsichtsratsmandate in den Unternehmensbeteiligungen.“ Tatsächlich wurde der Kurz-Vertraute Thomas Schmid ÖBAG-Chef. Gegen den Ex-Kanzler wird wegen Falschaussage ermittelt, weil er im Ibiza-Untersuchungsausschuss ausgesagt hatte, nicht in die Bestellung involviert gewesen zu sein. Der Sideletter legt anderes nahe. Und er könnte ein weiteres juristisches Nachspiel haben: Denn laut Aktiengesetz kann nicht irgendeine Partei einen Unternehmensvorstand nominieren, sondern nur der Aufsichtsrat.

Verlorene Unschuld

Doch nicht nur die FPÖ frönte dem Postenschacher mit der ÖVP. Die Grünen haben ihre Unschuld ebenfalls gleich beim Einstieg in die Koalition mit den Türkisen Anfang 2020 verloren. Denn auch dieser Koalitionspakt wurde mit einem geheimen, am Wochenende Medien zugespielten Zusatz versehen. Demnach nominiert die ÖVP den Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofes, sobald der Job frei wird. Den Vizepräsidentenjob bekommen die Grünen. Vollzogen wurde bereits die vereinbarte Aufteilung am Verfassungsgerichtshof: Der Präsident ist türkis, sein Stellvertreter grün.

Festgelegt ist in dem Pakt auch, dass die ÖVP 2024 den EU-Kommissar kürt, während die Grünen bei Rochaden am Europäischen Gerichtshof und am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte 2023 zum Zug kommen sollen. Auch die Verteilung von Spitzenjobs in Nationalbank und Finanzmarktaufsicht ist geregelt. Politisch besonders heikel: Der Pakt sichert den Grünen das Vorschlagsrecht für den ORF-Stiftungsratsvorsitzenden und schreibt zugleich die – im Koalitionsvertrag gar nicht vorgesehene – Einführung eines Kopftuchverbots für Lehrerinnen fest.

Alles ganz normal!?

Wer nach Bekanntwerden dieser nicht für die Öffentlichkeit gedachten Deals etwas Schuld- oder zumindest Problembewusstsein der Beteiligten erwartet hatte, wurde enttäuscht. Ex-Kanzler Kurz, der eigentlich versprochen hatte, Österreich vom alten Proporz-Mief zu befreien, ließ durch einen Sprecher ausrichten, dass solche „Abkommen zwischen Regierungspartnern üblich sind“. Der aktuelle Kanzler Karl Nehammer verteidigt die Deals ebenfalls als „völlig normal“. Und Grünen-Chef Werner Kogler findet den Pakt richtig, weil man so etwa eine „Orbanisierung“ des ORF verhindern habe können. Denn ohne Absprache hätte es passieren können, dass die ÖVP alle Posten alleine besetzt. Ähnlich rechtfertigt die FPÖ ihre Geheimabsprachen mit den Türkisen.

Die Österreicher haben die Nase zunehmend voll. Ihr Vertrauen in das politische System schwindet auf gefährliche Weise. Im vom Sora-Institut erstellten „Demokratie-Monitor“ stuften 58 Prozent der Befragten – noch vor den jüngsten Enthüllungen – das politische System als wenig oder gar nicht gut funktionierend ein. Vor einem Jahr waren nur 32 Prozent dieser Ansicht. Entspannung ist nicht in Sicht: Tausende auf Politiker-Handys sichergestellte Chats sind noch nicht ausgewertet. Und der parlamentarische ÖVP-Korruptionsuntersuchungsausschuss hat seine Arbeit noch gar nicht aufgenommen …