Back to lifeMusizieren in Zeiten von Corona

Back to life / Musizieren in Zeiten von Corona
Zwei Studien aus Deutschland untersuchten die Ansteckungsgefahr im Theater und beim Musizieren in Orchestern und kamen zum Ergebnis, dass sie weniger schlimm als befürchtet ist Foto: dpa/Matthias Rietschel

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Zu den stark empfundenen Einschränkungen während der Corona-Pandemie gehören auch solche auf kulturellem Gebiet. Theater und Konzertsäle bleiben geschlossen, Freiluftkonzerte fallen aus. Dabei zählen Musizieren und Singen zu Beschäftigungen, die nicht nur Zuhörer, sondern auch die Akteure erfreuen. Was aber ist zu Zeiten von Corona erlaubt, welche Kriterien sehen Wissenschaftler, dieser Frage geht unsere Korrespondentin Elke Bunge nach.

Back to live – unter diesem Titel feiert die Luxemburger Philharmonie die Rückkehr zur Konzertsaison mit Publikumsbeteiligung. Bereits in dieser Woche konnten Zuhörer im Grand Auditorium das Jazztrio Reis Demuth Wiltgen erleben. Am kommenden Donnerstag will die Philharmonie unter der Leitung ihres Chefdirigenten Gustavo Gimeno den 15. Geburtstag feiern.

Doch immer noch gibt es wegen der Corona-Pandemie zahlreiche Einschränkungen. Diese gelten für viele öffentliche Veranstaltungen, für Gottesdienste in Kirchen ebenso wie für Theatervorstellungen oder Konzerte. Dass Mund- und Nasenschutz weder beim Sprechen noch beim Singen oder Spielen von Blasinstrumenten getragen werden können, liegt auf der Hand. Die Frage an die Wissenschaft ist, wie und auf welche Entfernung könnten sich tatsächlich die gefährlichen SARS-CoV-2-Viren verbreiten. In Deutschland haben sich dazu Mediziner und Physiker Gedanken gemacht und ihre Ergebnisse in zwei Studien vorgestellt. Im Ergebnis ist die Ansteckungsgefahr weniger schlimm als befürchtet, jedoch nicht ausgeschlossen. Die Experten sind jedenfalls der Auffassung, dass sowohl das Theaterspielen als auch das Musizieren in Orchestern – wenngleich unter strengen Auflagen – möglich ist. Ob aber bei Beachtung dieser Auflagen auch die eigentliche Spielfreude sich einstellen wird, bleibt dahingestellt.

Ballistische Ausbreitung oder Aerosole

Wie fast alle Armeen dieser Welt besitzt auch die deutsche Bundeswehr ein stattliches Musikkorps, in dem vor allem Bläser dominieren. So verwundert es nicht, dass sich Wissenschaftler der Universität der Bundeswehr in München auch des Themas „Verbreitung von Viren über Blasinstrumente“ annahmen. Die Forscher um Christian J. Kähler, Professor für Strömungsmechanik und Aerodynamik, führten eine Reihe von Experimenten mit Sängern, Sprechern und Blasmusikern aus.

Ziel ihrer Untersuchungen war es, die spuckartige, also ballistische Ausbreitung von Tröpfchen, als auch die strömungsbedingte Ausbreitung von Aerosolen – beim Spielen von Blasinstrumenten – zu ermitteln. Zu diesem Zweck wurden die aus dem Mund und aus den Blasinstrumenten austretenden Speicheltröpfchen sowie die beim Ausatmen bewegte Luft mit einem Laser beleuchtet und mit Kameras aufgenommen. Die so erhaltenen Bildserien wurden mit einem Computerprogramm ausgewertet. Damit konnte man die Bereiche sichtbar machen, die von den Tröpfchen kontaminiert wurden.

Entgegen möglicher Erwartungen zeigte sich, dass die ausgeatmete Luft bei Sängern kaum von dem Bereich zu unterscheiden ist, den auch normale Atemluft bewegt. Beide Bereiche enden etwa einen halben Meter vor dem Interpreten. Unterschiede traten auf, wenn die Testperson einen Schrei ausstieß oder sehr intensiv bis exaltiert sprach. Dann ließen sich Luftbewegungen bis zu einem Meter Abstand feststellen, ein Wert, der sich auch in den nachfolgenden Empfehlungen wiederfindet. Neben dem Laser-Experiment stellten die Münchner Wissenschaftler auch Versuche mit einer brennenden Kerze an: Eine im Abstand von einem halben Meter agierende Sängerin ließ die Flamme, gleich ob hohe oder tiefe Töne gesungen wurden, nicht bewegen. Anders verhielt es sich bei den Bläsern.

Flöte bereitet größte Streuung

Generell zeigte sich, dass Instrumente mit kleinen Austrittstrichtern (Klarinetten, Oboen, Fagotte) einen weiteren Luftausstoß aufwiesen als Blechblasinstrumente. Bei den Holzbläsern konnte noch in einem Meter Abstand eine Luftbewegung – und damit im Zweifelsfall auch ein Virenauftritt – gemessen werden. Blechbläser von Trompete bis Tuba wiesen hingegen nur einen Ausstoßabstand bis zu einem halben Meter auf – je größer das Instrument, desto geringer der Luftausstoß.

Am weitesten entfernt konnte eine Luftbewegung bei Querflöten vom Interpreten gemessen werden. Da beim Flötenspiel die Luft ungebremst über die Mundlochplatte geblasen wird, kann sie noch in Entfernungen von über einem Meter als bewegt gemessen werden.

Infektionsmöglichkeit über kondensierten Speichel

Bei den Holzblasinstrumenten tritt in der Regel nur wenig Kondenswasser durch ausgeatmeten Speichel auf. Meist verbleibt die Feuchtigkeit im Instrument und wird nach dem Spiel mit einem Reinigungslappen ausgewischt. Aktuell wird empfohlen, Einmal-Wischtücher zu benutzen und diese dann sachgerecht zu entsorgen. Musiker mit oft wertvollen Liebhaberinstrumenten wird diese Nachricht nicht begeistern, da diese Wischtücher häufig nicht fusselfrei sind und das Instrument beschädigen könnten.

Deutlich stärkeres Kondenswasser (Speichel) tritt bei Blechbläsern auf. Trompeten, Posaunen, Hörner oder Tubas haben dafür eingebaute Ventile, über die auch während des Spielens von Zeit zu Zeit Wasser abgelassen werden kann. Am Boden vor dem Musizierenden bilden sich dann kleine Pfützen, die im Falle einer vorhandenen Infektion ebenfalls ansteckende Substanzen enthalten können.

Unterschiedliche Empfehlungen

Initiiert wurde die Testreihe von Empfehlungen der Hochschule für Musik in Freiburg, die ihren Musikern einen Mindestabstand von drei bis fünf Metern „verordnete“. Die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft, verantwortlich für den professionellen Musikbetrieb, ordnete für Sänger einen Mindestabstand von 6 Metern, für Bläser von zwölf Metern an.

Die Tests zeigen, dass derartige Forderungen sicherlich überzogen sind. Die Strömungsmechaniker der Bundeswehr-Uni in München wie auch Epidemiologen der Charité in Berlin haben einen übereinstimmenden Katalog von Abstands- und Verhaltensregeln herausgegeben, denen sich auch die Intendanzen der Klangkörper Berliner Philharmoniker, Deutsches Symphonie-Orchester Berlin (DSO), Konzerthausorchester Berlin, Orchester der Deutschen Oper Berlin, Orchester der Komischen Oper Berlin, Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB) und der Staatskapelle Berlin anschlossen.

Bei Chören sollte ein Mindestabstand zwischen den Sängern von 1,5 Metern eingehalten werden; zwar besteht eine Infektionsgefahr beim Singen nur in der Distanz von einem halben Meter, doch beim Sprechen, Lachen oder Husten kann schnell ein infektiöses Aerosol in die Umluft gelangen.

Streicher, Harfen und Schlagwerke wie Tasteninstrumente sollen einen Stuhlabstand von 1,5 Metern einhalten, Bläser einen Abstand von zwei Metern. Bei Proben soll ein Dirigent einen Abstand von mindestens zwei Metern – bei Konzerten von 1,5 Metern – einhalten. Die persönliche Hygiene ist unbedingt einzuhalten, Notenständer sowie der Podiumsfußboden – wo sich die Tropfen der Bläser sammeln – sind regelmäßig zu desinfizieren. Es wird zudem empfohlen, zwischen den Blechbläsern Plexiglas-Schutzwände aufzustellen.

Leises Musizieren verhindert Ansteckung

Kleine Blasorchester oder Big Bands spielen oft zu geselligen Anlässen. Hier empfehlen die Experten ein leises Spiel, um auch den Geräuschpegel der sich Unterhaltenden zu mindern. Denn lautes Sprechen – um die Musik zu übertönen – verursacht mehr Luftbewegung und damit ein höheres Risiko, sich bei Menschen, die sich selbst gar nicht bewusst sein müssen, dass sie bereits infiziert sind, anzustecken.

All die gegebenen Empfehlungen bringen nach wie vor starke Einschränkungen im Orchesterspiel mit sich. Zwar kann man so zur Not musizieren, zweifelhaft bleibt jedoch, ob mit großer Spielfreude.