Prozess-Farce in BelarusLukaschenko urteilt Demokratie-Aktivisten direkt in U-Haft ab

Prozess-Farce in Belarus / Lukaschenko urteilt Demokratie-Aktivisten direkt in U-Haft ab
Auch dem Ex-Banker und Präsidentschaftskandidaten Wiktor Babariko wird der Prozess gemacht Foto: AFP/Oksana Manchuk

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Nicht einmal auf dem Gehsteig vor dem Gefängnis durften die Unterstützer und Angehörige von sechs Oppositionellen stehen. Ein Parteigenosse von Mykola Statkiewitschs sozialdemokratischer „Narodnaja Hromada“ („Volksgemeinde“) wurde festgenommen und abgeführt, die anderen von den Sicherheitskräften des Autokraten Alexander Lukaschenko vertrieben. Derweil begann direkt im Untersuchungsgefängnis Nummer 3 der Stadt Gomel ein Geheimprozess gegen den radikalen Chef der Sozialdemokraten, die Blogger Igor Losik und Sergej Tichanowski sowie drei weitere Oppositionelle. Letzterer ist der Ehemann der heute im litauischen Exil lebenden Oppositionsführerin und mutmaßlichen Wahlsiegerin vom August 2020, Swetlana Tichanowskaja (hier geht es zum Tageblatt-Interview mit Swetlana Tichanowskaja).

„Wir verstehen, dass dieser Prozess weder im Einklang mit geltendem Recht, weder ehrlich noch fair sein wird“, kommentierte Tichanowskaja in Vilnius. Diesen Eindruck verstärkt die Tatsache, dass die Anwälte mit einer Schweigepflicht belegt und nicht einmal die engsten Angehörigen in den Saal gelassen wurden, wohl aber Lukaschenkos gleichgeschaltete Staatsmedien.

Das Regime und seine Schauprozesse

Dem Regime steht auch diesmal offensichtlich der Sinn nach einem Schauprozess unter Ausschluss einer kritischen Öffentlichkeit. So standen am Donnerstag in Grodno ein paar letzte Vertreter unabhängiger Medien in einer Gruppe eigens angereister EU-Diplomaten.

Alle sechs Angeklagten sitzen seit 12 oder gar 13 Monaten in U-Haft, doch bis zum Prozessauftakt war nicht klar, was ihnen genau vorgeworfen wird. Klar ist einzig, dass der aus Gomel stammende Blogger Sergej Tichanowski wegen Aufrufs zu Massenprotesten, Störung der öffentlichen Ordnung und Hassreden für 15 Jahre ins Arbeitslager wandern soll. Tichanowski hatte vor ein paar Jahren den beliebten YouTube-Kanal „Land für das Leben“ gegründet und dort Bürger über ihre Mühen mit der Bürokratie befragt.

Während der von Lukaschenko geleugneten Covid-Krise unmittelbar vor den gefälschten Präsidentenwahlen wurde „Land für das Leben“ so bekannt, dass Tichanowski reale Chancen auf einen Wahlsieg nachgesagt wurden. Doch Lukaschenko ließ den Blogger im Mai 2020 kurzerhand verhaften. An seiner Stelle sprang seine etwas jüngere Frau Swetlana, eine Hausfrau und Englischlehrerin, ein – und führte in der Folge die Opposition zum mutmaßlichen Wahlsieg.

Exitpolls der Opposition deuten darauf hin, dass nicht Lukaschenko, sondern eher Tichanowskaja 80,1 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte. Lukaschenkos angeblicher Wahlsieg führte daraufhin zu monatelange Massenprotesten, die das Regime trotz aller Brutalität erst im Spätherbst 2020 niederschlagen konnte. Seitdem werden täglich Dutzende von Demokratie-Aktivisten und Demonstranten abgeurteilt. Die meisten wandern für ein paar Jahre für absurde Vergehen hinter Gitter. Doch erst seit Mitte dieser Woche wird auch ersten Führungsfiguren der Opposition der Prozess gemacht. So begann am Mittwoch in Minsk der Prozess gegen den Ex-Banker und Präsidentschaftskandidaten Wiktor Babariko, der wegen angeblicher Geldwäsche und Korruption ebenfalls für 15 Jahre hinter Gitter kommen soll.

Alte Kämpfer und junge Blogger

In Gomel wurde am Donnerstag zusammen mit Sergej Tichanowski auch der altgediente Dissident Mykola Statkiewitsch dem Richter vorgeführt. Der Sozialdemokrat gilt in Belarus als Erzfeind Lukaschenkos und hat bereits mehrere Jahre Arbeitslager hinter sich. Der 64-jährige ehemalige Berufssoldat Statkiewitsch wurde seit 1999 über 30-mal festgenommen und gehört zur alten, lange heillos zerstrittenen Opposition. „Es lebe Belarus!“, soll der alte Kämpfer laut Informationen der oppositionellen Internetzeitung Nascha Niwa gerufen haben, als er wie ein gefährliches Raubtier in den Gerichtskäfig des hellgrünen Saals geführt wurde. „Mykola ist in seiner üblichen kämpferischen Verfassung; er sieht gut aus“, sagte in Gomel dessen Frau Marina Adamowitsch.

Den Prozess gegen die sechs Oppositionellen verglich sie mit Stalins Schauprozessen der 1930er Jahren. „Kein Tag ohne Verhaftungen, kein Tag ohne Prozess, wie lange kann das noch gehen“, kommentierte Adamowitsch. „Dieser Prozess wird eine Farce sein“, sagte vor dem Untersuchungsgefängnis Nummer 3 Daria Losik, die Frau des erst 28-jährigen Bloggers Igor Losik, einem Vertreter der neuen Opposition. Losik hat 42 Tage Hungerstreik gegen seine brutalen Haftbedingungen hinter sich und sieht auf den offiziellen Aufnahmen des Prozessbeginns schlecht aus. „Ich mache mir Sorgen“, sagt dessen Ehefrau. Laut Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja könnte der Schauprozess in Gomel bis zu zwei Monaten dauern. Dass er mit Verurteilungen enden wird, zumeist wohl 15 Jahre, ist allen klar.