Mehr als für umsichtige Diplomatie ist der russische Außenminister Sergej Lawrow in letzter Zeit für seine Tiraden gegen den Westen bekannt. Auch im Falle der Verurteilung von Alexej Nawalny ist das so. Die Causa Nawalny habe im Westen die „Hysterie durch die Decke gehen“ lassen, so Lawrow am Mittwoch. Er warf dem Westen vor, den Fall „einseitig“ zu betrachten und „arrogant“ zu reagieren.
Nawalny wurde am Dienstag in einem umstrittenen Gerichtsentscheid zu dreieinhalb Jahren Lagerhaft verurteilt, von denen er zwei Jahre und acht Monate real absitzen muss. Das Urteil sorgte für Kritik aus dem Westen. Die USA und die EU riefen Moskau zur „sofortigen Freilassung“ des Oppositionspolitikers auf. Die EU will mögliche Maßnahmen bei ihrem Rat der Außenminister im Februar diskutieren. Just am heutigen Donnerstag wird auch EU-Außenbeauftragter Josep Borrell in Moskau erwartet.
Der Kreml wollte die Haftstrafe am Mittwoch nicht kommentieren. Ihm sei keine Reaktion des russischen Präsidenten bekannt, erklärte Sprecher Dmitrij Peskow gegenüber Journalisten. Auch Nawalnys Anspielungen auf Wladimir Putins Rolle bei seiner Vergiftung im August 2020 – „Wladimir, der Unterhosenvergifter“ – ließ Peskow unkommentiert. Putin denke nicht über seine historische Rolle nach, ließ er verlauten. Peskow verteidigte dafür das Vorgehen der Sicherheitskräfte. Die nicht genehmigten Proteste nannte er eine „Provokation“.
Mit Folter bedroht
Nach den jüngsten Protesten vom Dienstagabend mit mehr als 1.400 Festnahmen, vornehmlich in Moskau, häufen sich indes Berichte über Polizeigewalt. Die Nichtregierungsorganisation OWD-Info berichtete von Festgenommenen, die durch die Sicherheitskräfte etwa an den Händen, Armen oder am Kopf Verletzungen erlitten hätten. Die Polizisten hätten sich in einigen Fällen geweigert, medizinische Hilfe zu organisieren. Auf Videos war zu sehen, wie Spezialeinheiten friedliche Demonstranten und Journalisten verprügeln. Polizeistationen und Festnahmezentren waren in der Nacht überfüllt.
Festgenommene berichteten weiters, dass sie im Polizeigewahrsam mit Folter bedroht wurden. Eine junge Frau erklärte gegenüber dem unabhängigen TV-Sender „Doschd“, dass man ihr einen Plastiksack über den Kopf gestülpt und zusammengezogen habe, um die Nennung ihres Mobiltelefon-Sperrcodes zu erzwingen. Auch sei sie getreten und der Einsatz eines Elektroschockers angedroht worden. „Seit dieser Nacht habe ich Angst“, sagte die junge Frau. Kommentatoren deuteten diese Vorgänge als „Belarusifizierung“. In Belarus kam es bekanntlich in jüngster Zeit zu Gewaltexzessen und Folter im Polizeigewahrsam.
Anzunehmen ist, dass die rigorose Polizeipräsenz von mehr als 8.000 Mann und das in Teilen brutale Vorgehen keine Ausrutscher, sondern durchaus beabsichtigt waren. Den geschätzt 2.000 bis 3.000 Demonstranten sollte vermittelt werden, dass weitere Proteste sinnlos und gefährlich sind. Bisher gibt es keinen neuen Demonstrationsaufruf aus Nawalnys Umfeld.
 
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