Schon beim Antrittsbesuch bei Angela Merkel war Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) vor drei Jahren mit Befürchtungen westlicher Geheimdienste konfrontiert. Anlass der Sorge: Die früher selbst wegen ihrer Kontakte in die rechtsextreme Szene ins Visier der Verfassungsschützer geratene FPÖ hatte soeben das Innenministerium und damit die Oberhoheit über das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) übernommen. Ein paar Wochen später ließen sich die Zweifel europäischer Geheimdienste an der Zuverlässigkeit der Wiener Partnerorganisation nicht mehr leugnen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) verlangte nach einer spektakulären Hausdurchsuchung beim BVT von Österreich offiziell Auskunft darüber, „ob und gegebenenfalls welche Daten des BfV betroffen sind“. Die von einem nebenberuflichen FPÖ-Politiker geleitete Razzia galt insbesondere der Leiterin jenes Referates, das für Rechtsextremismus, also auch für die mit der FPÖ verbandelten Identitären, zuständig ist.
ÖVP-Verantwortung
Kickl ist Geschichte und wird heute selbst vom einstigen Koalitionspartner ÖVP als „schlechtester Innenminister aller Zeiten“ bezeichnet. Doch die BVT-Misere hat mehr als diese FPÖ-Facette. Schließlich stand das Wiener Innenministerium in diesem Jahrtausend abgesehen von der 16-monatigen Kickl-Episode ausschließlich unter ÖVP-Führung. Schon der Untersuchungsausschuss zu der inzwischen als rechtswidrig eingestuften Razzia hatte zutage gebracht, dass die Krake der Parteipolitik das BVT seit seiner Gründung im Jahr 2002 im Würgegriff hatte. Ex-Chef Gert-Rene Polli offenbarte, dass viele Führungskräfte außer dem Parteibuch keine Qualifikation vorzuweisen hatten. Ex-Mitarbeiter sagten über Alkoholgelage, Nacktfotos und Hakenkreuz-Bilder in internen WhatsApp-Gruppen aus.
Nun bestätigt ein Expertenbericht einmal mehr, dass dieses Gemisch aus Inkompetenz und Freunderlwirtschaft Gift für die staatsschützerische Kernkompetenz der Behörde war. Am 2. November des Vorjahres hatte eine Islamist mitten in Wien vier Menschen getötet, ehe er selbst von der Polizei erschossen wurde. Nur kurz konnte Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) den effektiven Polizeieinsatz abfeiern. Denn schnell stellte sich heraus: Der Täter war einschlägig vorbestraft, hatte sich unter den Augen der Staatsschützer in Wien mit Islamisten aus Deutschland und der Schweiz getroffen und wenige Monate vor dem Anschlag in der Slowakei vergeblich Munition zu kaufen versucht. Die Informationen darüber waren verfügbar, landeten aber nicht oder viel zu spät bei den zuständigen Stellen. „Das Erstaunlichste, was wir festgestellt haben, ist, dass es keinen effizienten, professionellen Datenaustausch zwischen den einzelnen Behörden gibt, die für den Staatsschutz verantwortlich sind“, sagt die Kriminologie-Professorin Ingeborg Zerbes, die die Vorgeschichte des Anschlages mit einem Expertenteam untersucht hat. Bemängelt wird in dem Bericht etwa, dass die Verfassungsschützer für eine „Ersteinschätzung“ des im Dezember 2019 bedingt aus der Haft entlassenen Islamisten nicht weniger als zehn Monate brauchten und eine Lagebesprechung erst Mitte November – zwei Wochen nach der Bluttat – angesetzt war. Ein für das Zusammenspiel aller Behördenteile erforderliches Datenverarbeitungs- und Analysesystem existiert nicht. „Der Staatsschutz ist in diesem Bereich nicht professionalisiert“, so das vernichtende Urteil der Expertin Zerbes.
Wirecard-Affäre
Doch die BVT-Skandalstory ist wohl noch lange nicht zu Ende erzählt. Gestern beantragte die Staatsanwaltschaft Wien die Verlängerung der Untersuchungshaft für einen Mitte Januar festgenommenen ehemaligen BVT-Beamten, der verdächtigt wird, für Russland spioniert und Daten an den skandalös untergegangenen Finanzdienstleister Wirecard verkauft zu haben. Der mithilfe des – ebenfalls mittlerweile in U-Haft sitzenden – Ex-FPÖ-Abgeordneten Thomas Schellenbacher im vergangenen Juni im Privatjet von Österreich nach Weißrussland entschwundene Ex-Wirecard Vorstand Jan Marsalek hatte vor seinem tiefen Fall immer wieder mit seinen speziellen Beziehungen zum BVT geprahlt. Londoner Börsianern hielt er einmal den chemischen Bauplan des russischen Nervengiftes Nowitschok unter die Nase. Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW), als deren Mitglied Österreich über die streng geheimen Nowitschok-Daten verfügt, hat inzwischen herausgefunden, dass das von Marsalek herumgereichte Papier aus einer Wiener Quelle gekommen sein musste.
Die Opposition forderte am Donnerstag geschlossen Nehammers Rücktritt. Für Beate Meinl-Reisinger, Chefin der liberalen Neos, ist das BVT ein von der ÖVP zu verantwortender „Sauhaufen“. Der Innenminister sieht sich freilich keinesfalls rücktrittsreif, sondern im katastrophalen Expertenurteil nur den Auftrag, die Reform des Verfassungsschutzes voranzutreiben. Derzeit jedenfalls scheint Österreich dieser Behörde eher schutzlos ausgeliefert.
 
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