Einfallsreich gegen die Opposition

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Von unserem Korrespondenten Thomas Roser

Der EU-Anwärter Serbien demonstriert eine sehr eigenwillige Auffassung der parlamentarischen Demokratie. Mit einer Flut unsinniger Anträge mühen sich die Regierungsparteien schon seit Monaten, der Opposition den Mund zu schnüren.

Zumindest an freundlich diplomatischen Worthülsen lassen es die Emissäre aus Brüssel bei ihren Stippvisiten im EU-Wartesaal niemals mangeln. Sie sei „beeindruckt“ von dem Willen und der Energie der serbischen Regierung, „auf dem Reformpfad in Richtung EU voranzuschreiten“, versicherte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini bei der Übergabe des jüngsten Fortschrittsrapports letzte Woche in Belgrad ihren Gastgebern. Vielleicht sollte Brüssels Chefdiplomatin bei ihrem nächsten Belgradbesuch einmal im Parlament einen Augenschein nehmen, auf welche Weise sich Serbiens findige Reformatoren der EU genau anzunähern versuchen.

Debatten werden verhindert

Denn die Spielregeln einer parlamentarischen Demokratie werden von der Regierungskoalition des EU-Anwärters sehr eigenwillig interpretiert: Mit einer Flut unsinniger Änderungsanträge zu den eigenen Gesetzesentwürfen mühen sich die Regierungsparteien schon seit Monaten, in der Volksvertretung erst gar keine lästigen Oppositionsstimmen und kontroversen Debatten laut werden zu lassen.

Seit 2012 die nationalpopulistische SNS des heutigen Staatschefs Aleksandar Vucic gemeinsam mit der einst von Ex-Autokrat Slobodan Milosevic gegründeten SPS das Ruder übernommen hat, fristet Serbiens immer seltener tagende Volksvertretung nur noch ein Schattendasein. Selbst bei Kommunal- und Präsidentschaftswahlen wird die Parlamentsarbeit mit Verweis auf eine vermeintlich notwendige Wahlstille wochen- oder monatelang ausgesetzt: Oppositionelle Dissonanzen sollen das von der Regierung orchestrierte Wahlkampfkonzert nicht stören.

Änderungsanträge zu eigenen Entwürfen

Mitte Dezember verblüffte Belgrad die empörte Opposition und perplexe Öffentlichkeit erstmals mit einer neuen parlamentarischen Finte: Rund 2.200 oft nahezu identische Änderungsanträge hatten die Regierungsparteien zu ihren eigenen Gesetzentwürfen und Vorlagen vorabgestellt – allein 918 zum Haushaltsentwurf des Kabinetts für 2018. Nach der Verlesung der ersten 300 Änderungsanträge war die für die Debatte über den Haushalt vorgesehene Zeit von zehn Stunden aufgebraucht – und wurde dieser schließlich ohne Änderung abgesegnet. Kurz vor der Abstimmung hatten die Regierungsparteien ihre unsinnigen, da inhaltsleeren Anträge kurzerhand zurückgezogen.

Es sei die destruktive Opposition gewesen, die zuerst die parlamentarische Arbeit durch immer neue Änderungsanträge zu behindern versucht habe, rechtfertigen die Regierungsparteien die wiederholte Anwendung ihrer neuen Debattenkiller-Taktik. Bürgerrechtsgruppen, die vor der Sinnentstellung des Parlaments warnen, werden hingegen mit der Botschaft abgekanzelt, dass sie doch selbst bei den nächsten Parlamentswahlen antreten sollten, statt ihre „Hirngespinste“ unter den Bürgern zu verbreiten.

Auch noch „stolz“

Wenig Beifall finden die Schachzüge von Belgrads gewieften Strippenziehern hingegen bei den wenigen unabhängigen Medien des Landes. Wahrscheinlich seien die Regierungspolitiker auch noch „stolz“ auf ihren Einfall, obwohl es angebrachter wäre, „sich zu schämen“, kommentierte die Belgrader Zeitung Blic vergangene Woche deren jüngste 380 eingebrachte Änderungsanträge für eigene Gesetzentwürfe: „Auf diese Weise berauben die Abgeordneten sich selbst, aber auch die Institution des Parlaments jeglichen Sinns.“