Sonntag26. Oktober 2025

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Ukraine-KonfliktDeutschlands Kanzler Scholz in den USA

Ukraine-Konflikt / Deutschlands Kanzler Scholz in den USA
Empfang am Kaminfeuer in Washington: Der deutsche Kanzler Olaf Scholz trifft US-Präsident Joe Biden Foto: AP/dpa/Alex Brandon

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Es ist seine erste große Bewährungsprobe auf der Weltbühne. In Washington verkündet Olaf Scholz, dass Putin bei einem Einmarsch in die Ukraine einen „sehr hohen Preis“ bezahlen müsse. Zählt Nord Stream 2 dazu? Joe Biden bereitet dem Gast aus Berlin einen herzlichen Empfang.

Der US-Präsident hat im Oval Office für den Gast aus Deutschland ordentlich anheizen lassen. Im Kamin knistern munter die Flammen. Was noch wichtiger ist für Olaf Scholz an diesem vorläufigen Höhepunkt seiner noch frischen Kanzlerschaft: Joe Biden, der mächtigste Mann der Welt, strahlt menschliche Wärme aus. „Deutschland ist einer der engsten Verbündeten Amerikas“, beide Länder arbeiteten in der Ukraine-Krise „im Gleichschritt“ zusammen, sagt ein strahlender Präsident, der zwischendurch die schwarze Corona-Maske abnimmt.

Was für ein Kontrast zu 2017. Damals zuckte selbst die so erfahrene Angela Merkel ob der Schroffheit eines Donald Trumps im Weißen Haus zusammen. Einen Händedruck lehnte der damals ab. Jetzt nickt Biden Scholz freundlich zu, ruft gleich dreimal „Willkommen“. Der Kanzler nimmt rechts vom Kamin Platz. „Wir sind engste Verbündete und arbeiten intensiv zusammen“, sagt Scholz in fließendem Englisch. Das sei nötig, um die Schritte, die notwendig seien, zu gehen, um gegen die russische Aggression gegenüber der Ukraine zu kämpfen.

Zwischen uns passt kein Blatt, das sollen die Bilder vom Antrittsbesuch des Merkel-Nachfolgers ausstrahlen. Diese Botschaft von Biden und Scholz ist für jemanden gedacht, der Tausende Kilometer entfernt die Begegnung des amerikanischen Präsidenten und des deutschen Bundeskanzlers sehr genau verfolgen dürfte. Wladimir Putin. Er setzt darauf, einen Keil in die Allianz des Westens zu treiben, um im Fall der Fälle drohende Sanktionen abzuschwächen.

Zuletzt waren in Washington immer wieder Zweifel an der Verlässlichkeit Berlins laut geworden. Senatoren, Demokraten und Republikaner, stellten bohrende Fragen. Müsste Scholz den Russland-Verstehern in seiner SPD nicht stärker Grenzen setzen, nahm er Nord Stream 2 wegen der großen deutschen Abhängigkeit von russischen Gasimporten erst spät und eher halbherzig in den Sanktionskatalog auf? Bidens nationaler Sicherheitsberater Joe Sullivan sagte zuletzt, Washington habe gegenüber Putin „absolut klargestellt, dass Nord Stream 2 nicht vorankommen wird, wenn Russland auf die eine oder andere Weise in die Ukraine einmarschiert“.

USA bieten Flüssiggas an

Sullivan bot erneut an, dass die USA Europa notfalls mit Flüssiggas versorgen könnten. Das würde US-Energiekonzernen Milliardengeschäfte einbringen. Allerdings hat Deutschland nicht einmal ein eigenes LNG-Terminal. Als Hamburger Bürgermeister wollte Scholz einmal in Brunsbüttel eine Anlage hinstellen, daraus wurde aber nichts. Dass er ein drohendes Aus für Nord Stream 2 öffentlich nicht stärker forciert, wird mit dem Drehbuch der westlichen Sanktionspolitik erklärt. Bewusst soll Putin im Unklaren gelassen werden, was ihm bei einem Einmarsch gen Kiew droht. So betont Scholz in Washington erneut: „Es wird einen sehr hohen Preis haben, wenn es dazu kommt, dass die Ukraine militärisch angegriffen wird.“ Der Westen bereite Sanktionen präzise vor. „Es geht dann darum, schnell, zügig und entschlossen zu handeln und vor allem einheitlich.“ Der „hohe Preis“ wird nicht näher definiert, um zusätzlichen Druck auf Moskau auszuüben. Könnte es passieren, dass die USA einseitig das Ende für Nord Stream verkünden?

Der überstürzte Abzug der Vereinigten Staaten im Alleingang aus Afghanistan stürzte die Verbündeten, inklusive Berlin, im Vorjahr ins Chaos. Das ist nach Ansicht der Bundesregierung im Fall Nord Stream ausgeschlossen. Biden stehe zur noch von Merkel und Trump ausgehandelten Vereinbarung vom Juli 2020, in der Putin harte Sanktionen angedroht werden, „Russland für Aggressionen und destruktive Aktivitäten zur Rechenschaft zu ziehen“. Um virulente US-Zweifel an deutscher Entschlossenheit – die Scholz selbst zwar für mediale Hirngespinste hält – zu zerstreuen, hat er für Biden frohe Botschaften im Gepäck. Die Bundeswehr stockt ihre Präsenz in Litauen an der NATO-Ostflanke um bis zu 350 Soldaten auf. Die USA ihrerseits sind dabei, 1.700 Soldaten zusätzlich nach Polen sowie 300 nach Deutschland zu verlegen. Deutsche Waffen in die Ukraine will Scholz unverändert keine liefern – und benannte Merkel als Kronzeugin dieser Position. Dafür zahle Deutschland so viel Geld wie kein anderes Land: „Wir sind der stärkste wirtschaftliche Unterstützer der Ukraine. Und das werden wir auch weiterhin sein.“

Treffen mit Macron und Duda

Noch auf dem Weg in die USA hatte Scholz in den sozialen Medien für einigen Wirbel gesorgt. Auf dem Flug nach Washington kam der 63-Jährige für ein paar Worte im grauen, etwas zu großen Wollpulli zu den Journalisten in den hinteren Bereich des Regierungsairbus. Bei Merkel waren solche Auftritte an Bord vertraulich. Scholz ließ nun Fotos und Videos zu. Im Internet wurde der Til-Schweiger-Look des Kanzlers kontrovers diskutiert. Viele gönnten Scholz zehn Flugstunden ohne Anzug-Uniform, andere nörgelten am lässigen Outfit des Regierungschefs herum. Bei den Wählern hat Scholz zuletzt massiv an Popularität eingebüßt. Müsste er mehr führen, mehr erklären, öfter mal auf den Ampeltisch hauen?

Der SPD-Mann sieht das natürlich ganz anders. Er gab viele Interviews rund um die Reise, er will ausdrücklich kein Basta-Kanzler wie Gerhard Schröder sein (der ihm in der aktuellen Krise als Putin-Sprachrohr Scherereien macht): „Ich kenne in diesem Land Politiker, die haben von den 200 Vorschlägen, die sie gemacht haben, genau zwei im Laufe ihrer langen Karriere durchgesetzt. Und an die kann sich keiner erinnern.“ Weltpolitik lebt von Substanz. Schon am Dienstag, wenige Stunden nach seiner Rückkehr aus den USA, will Scholz an seinem Fundament als international respektierter Krisenmanager weiterbauen. Macron und Polens Präsident Andrzej Duda kommen ins Kanzleramt, um die nächsten Schritte im Umgang mit Putin zu planen.

Auf Distanz in Moskau: Russlands Präsident Wladimir Putin empfängt seinen französischen Amtskollegen Emmanuel Macron
Auf Distanz in Moskau: Russlands Präsident Wladimir Putin empfängt seinen französischen Amtskollegen Emmanuel Macron Foto: Uncredited/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa

NATO erwägt stärkere Präsenz in Osteuropa

Die NATO erwägt eine stärkere Präsenz im Baltikum und Polen, sollte Russland seine Truppen aus Belarus nach einem gemeinsamen Militärmanöver nicht wieder abziehen. Die Verlegung weiterer NATO-Truppen in diese Länder sei möglich, sagte Rob Bauer, niederländischer Admiral und Vorsitzender des NATO-Militärausschusses gestern. „Ja, wir schauen uns das an.“ Es könne zu Veränderungen kommen infolge der derzeitigen Entwicklungen. „Und natürlich ist es stark abhängig davon, ob die russischen Truppen in Belarus bleiben.“ Russland und Belarus haben vom 10. bis 20. Februar ein gemeinsames Manöver an der ukrainischen Grenze angesetzt. Dafür wurden NATO-Angaben zufolge 30.000 russische Soldaten und schweres Gerät dorthin verlegt.
Derweil kündigte Großbritannien an, 350 zusätzliche Soldaten an die polnische Ostgrenze zu verlegen. Verteidigungsminister Ben Wallace sagte gestern in London, damit werde das bereits dort stationierte Kontingent von 100 britischen Soldaten aufgestockt. Die Verstärkung der britischen Truppenpräsenz an der Grenze sende „ein starkes Signal, dass Großbritannien und Polen Seite an Seite stehen“. (Reuters/AFP)