DeutschlandWeniger Abgeordnete durch Wahlrechtsreform

Deutschland / Weniger Abgeordnete durch Wahlrechtsreform
Die Zahl der deutschen Abgeordneten wird künftig bei maximal 630 liegen Foto: AFP/Odd Andersen

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Die Debatte im Bundestag war hitzig, der Beschluss steht fest: SPD, Grüne und FDP haben mit ihrer Mehrheit ein neues Wahlrecht für die nächsten Legislaturperioden beschlossen. So soll der Bundestag kleiner werden. Die Reform ist tiefgreifend, die Opposition schäumt – und wird es nicht beim Schlagabtausch im Parlament belassen.

Nun ist es also vollbracht: Was seit gut zehn Jahren schwelt und worauf sich die große Koalition von Union und SPD nicht einigen konnte, haben die Ampel-Koalitionen an diesem Freitag durchs Parlament gebracht. Die umstrittene Wahlrechtsreform steht, damit der Bundestag wieder deutlich kleiner wird. Hier ein Überblick der wichtigsten Fragen und Antworten.

Warum wurde die Reform angestoßen? Weil der Bundestag bei den vergangenen Wahlen immer größer wurde. Mittlerweile sitzen 736 Abgeordnete im Bundestag. Er ist damit das größte frei gewählte Parlament der Welt – und droht ineffizient und immer teurer zu werden. Dabei regelt Paragraf 1 des Bundeswahlgesetzes eigentlich, dass der Bundestag aus 598 Abgeordneten besteht. Allerdings steht dort auch die Formulierung „vorbehaltlich der sich aus diesem Gesetz ergebenden Abweichungen“. Für diese Abweichungen sorgen Überhang- und Ausgleichsmandate, die bei den vergangenen Wahlen zu immer mehr Abgeordnetensitzen geführt haben.

Was beinhaltet der Beschluss der Ampel-Fraktionen? Das neue Wahlrecht deckelt gewissermaßen die Zahl der Sitze im Bundestag bei 630. Gewählt wird nach wie vor mit Erst- und Zweitstimme. Es gibt aber keine Überhang- und Ausgleichsmandate mehr. Entscheidend für die Stärke einer Partei im Parlament wird allein ihr Zweitstimmenergebnis sein. Auch die Grundmandatsklausel fällt weg. Nach ihr zogen Parteien bisher auch dann in der Stärke ihres Zweitstimmenergebnisses in den Bundestag ein, wenn sie unter fünf Prozent lagen, aber mindestens drei Direktmandate gewannen. Jede Partei, die in den Bundestag will, muss künftig bundesweit mindestens fünf Prozent der Zweitstimmen bekommen. Mit einer kleinen Ausnahme: Parteien nationaler Minderheiten bleiben davon befreit.

Alle Parteien müssen Federn lassen

Wird die Verkleinerung damit wirklich erreicht? Ja, die Reform gewährleistet das. Besonders betonen die Ampel-Fraktionen, dass alle Parteien unter der neuen Regelung gleichermaßen Nachteile in Kauf nehmen müssten. Der Wahlrechtsforscher Robert Vehrkamp von der Bertelsmann Stiftung hat ausgerechnet, welche Folgen es gehabt hätte, wenn das neue Recht schon damals angewandt worden wäre. Bei der Bundestagswahl 2021 holte die SPD 206 Mandate, die CDU 152, die CSU 45, die Grünen 118, die FDP 92, die AfD 83 und die Linke 39 Mandate. Der SSW als Partei der dänischen Minderheit gewann einen Sitz. Nach dem neuen Wahlrecht sähe die heutige Sitzverteilung so aus: SPD 188, CDU 138, CSU 38, Grüne 107, FDP 83, AfD 75, SSW 1. Das zeigt, dass die Argumentation der Ampel-Koalition stimmt, alle Parteien müssten gleichermaßen zur Verkleinerung des Bundestags beitragen. Wobei die Kritik der Linken nachvollziehbar ist, dass sie besonders getroffen würde.

Welche Kritik gibt es an der Reform? CDU, CSU und Linke halten das neue Wahlrecht für verfassungswidrig. Was die Politiker der Opposition zusätzlich auf die Palme gebracht hat, war die Tatsache, dass die Ampel-Fraktionen wenige Tage vor der geplanten Abstimmung ihren ersten Entwurf durch eine neue Variante ersetzten. Ursprünglich wollte die Ampel das Parlament sogar wieder auf die im Bundeswahlgesetz genannte Sollgröße von 598 Abgeordneten reduzieren. Nachdem die Union diesen Vorschlag von SPD, Grünen und FDP abgelehnt hatte, präsentierte die Ampel dann einen geänderten Entwurf, der neben der höheren Zahl von 630 Mandaten auch die Streichung der Grundmandatsklausel beinhaltet. Linke und Union verkündeten in der abschließenden Debatte in seltener Einigkeit: So mit den anderen Fraktionen umzuspringen, sei arrogant und inakzeptabel.

Jahrelange Untätigkeit der Unionsparteien

Wie rechtfertigt die Ampel die Reform? SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert sagte stellvertretend für die Ampel-Position: „Die Deckelung der Anzahl der Abgeordneten auf 630 entspricht dem Willen und der berechtigten Erwartung weiter Teile unserer Gesellschaft.“ Die Ampel sei dieser Erwartung nachgekommen, während CDU und CSU nicht den Mut aufbrachten, dem Wachstum des Parlaments mit ihren Stimmen Einhalt zu gebieten. „Mit lautem und ordinärem Getöse versuchen CDU und CSU nun ihre jahrelange Untätigkeit vergessen zu machen“, so Kühnert.

Was wird die Opposition nun tun? Zunächst hatte Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) noch in letzter Minute Aufschub erbeten – die Ampel-Fraktionen zogen aber die Abstimmung durch. 399 Abgeordnete stimmten für die Reform, 261 Abgeordnete dagegen. 23 Parlamentarier enthielten sich. Während Grüne und FDP geschlossen für die Neuerungen stimmten, gab es bei der SPD zwei Nein-Stimmen und eine Enthaltung. CDU, CSU und Linke wollen das neue Wahlrecht vom Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen. Die Unionsfraktion will zudem eine abstrakte Normenkontrolle anstrengen, bei der das Bundesverfassungsgericht die Vereinbarkeit der neuen gesetzlichen Regelungen mit dem Grundgesetz prüft. Für einen entsprechenden Antrag wäre ein Viertel der Mitglieder des Bundestags nötig.