Als die „Campeones“ schließlich vom Glück beseelt in den Flieger Richtung Heimat stiegen, feierten die Menschen von Bilbao bis Malaga längst eine rauschende Fiesta. Die ganze Welt verneigt sich vor der „Goldenen Generation“ um Siegtorschütze Andrés Iniesta, Xavi und Torwart-Gigant Casillas. Der Welt- und Europameister machte sich durch den 1:0-Finalsieg nach Verlängerung gegen die überharten und frustrierten Holländer endgültig unsterblich. Ganz Holland weinte nach dem dritten WM-Finaltrauma.
„Von hier in die Ewigkeit. Es war der bislang wichtigste Sieg in der Geschichte des spanischen Sports“, titelte El Mundo. Und El Pais schrieb: „Es ist eine Ode an die Freude: Spanien ist Weltmeister. (…) Es ist auch das Epos, das dem spanischen Sport noch fehlte.“ Nach Schätzungen feierten 25 Millionen Menschen den ersten WM-Titel Spaniens auf der Straße – das ist mehr als die Hälfte der Bevölkerung. Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero begoss den Triumph mit Sekt und gestand: „Auch ich habe vor Freude geweint.“ Tennis-Hero Rafael Nadal war gleich nach dem Abpfiff im Johannesburger Soccer City-Stadion in die Kabine gestürmt. „Ich habe geheult wie ein kleiner Junge“, bekannt der Weltranglisten-Erste tief gerührt, „man muss jetzt ein Jahr feiern, weil es unglaublich ist.“
Sogar die schwere Wirtschaftskrise und die horrende Arbeitslosigkeit rückten völlig in den Hintergrund. „Es ist wunderbar für Spanien, was geschehen ist. Wir haben eine großartige Mannschaft mit einem großartigen Trainer. Es ist wunderbar, sie haben es sich verdient“, analysierte Placido Domingo und traf mit diesem Urteil genau den Ton. Keine Mannschaft bestimmt den internationalen Fußball mit seinem konstruktiven Teamgedanken so sehr wie die „Furia Roja“. Seit dem 15. November 2006 hat die „rote Bestie“ von Trainerkauz Vicente del Bosque nur zweimal verloren.
Dominanz, technische Brillanz, Effizienz und dann auch noch tolle Charaktere – am achten Weltmeister der Geschichte gibt es fast nichts auszusetzen. Nur acht Tore auf dem Weg zum Titel und vier 1:0-Minimalistensiege in Serie bedeuteten einen kläglichen Negativrekord, untermauerten aber auch die Nervenstärke der Ausnahmekicker. Die Schweiz bewies allerdings beim 1:0-Sieg im ersten WM-Spiel, dass auch die Champions verwundbar sind. Eine Dominanz bis zur nächsten WM muss nicht zwingend sein. „Jetzt ist die Zeit, um zu genießen. Wir werden sehen, was in vier Jahren ist“, sagte Iniesta.
Dass ausgerechnet das Genie aus Barcelona das Tor zum Glück schoss, passt zum Gesamtbild des spanischen Fußball-Kunstwerks. Keiner steht symbolhafter für den Stil der Iberer. „Für mich ist ein Traum in Erfüllung gegangen. Ich wollte immer Europameister und Weltmeister werden“, sagte der Mann des Abends leise und schaute lächelnd auf seinen kongenialen Barca-Mittelfeldpartner Xavi. Der zog in den Katakomben tanzend Richtung Mannschaftsbus davon.
Es sind die kleinen Momente im Augenblick des Erfolgs, die einen großen Sportsmann ausmachen. Iniestas emotionaler Tor-Jubel für seinen im Vorjahr gestorbenen Jugendfreund und Kollegen Dani Jarque gehörte dazu. „Ich wollte Dani Jarque bei mir haben. Ich wollte seiner gedenken“, erklärte er später. Die Freude über das Erreichte kam langsam zurück. „Weltmeister! Das ist unglaublich, unfassbar, einfach ohne Worte“, sagte der immer noch überwältigte Matchwinner. „Wir müssen den Moment genießen und stolz sein auf jeden in unserem Kader, vom Ersten bis zum Letzten.“
Spanien feierte, Oranje gab sich Frust und Trauer hin. Wieder einmal hatten im entscheidenden Moment die Nerven versagt. Zum dritten Mal Vize-Weltmeister nach 1974 und 1978 – das schmerzte. „Niederlande stöhnen, wieder nichts. Zum dritten Mal steht Oranje nach einem verlorenen Finale mit leeren Händen da“, konstatierte das „Algemeen Dagblad“. Das Image des ewigen Zweiten blieb kein Privileg der Generation von Johan Cruyff und Co. Mit grimmigen Mienen verfolgten Arjen Robben und Kollegen in schwarzen Daunenjacken das bunte Treiben der WM-Sieger. „Wir können uns jetzt nicht hinstellen und sagen, wir sind stolz auf den zweiten Platz. Wir waren so nah dran“, jammerte Joris Mathijsen. In der Heimat erwartete die „Elftal“ ein trotzig-stolzer Empfang mit Grachtenkorso und anschließender Jubelfeier auf der Fanmeile vor dem Reichsmuseum. Doch Robben war nicht zu trösten: „Ich bin sehr enttäuscht. Es ist total frustrierend, so kurz vor Schluss zu verlieren.“
Schlimmer als die Niederlage war der Imageverlust der Holländer. „Voetbal total“ wurde im Finale zu „Voetbal brutal“. Da gab es nichts zu beschönigen. Die niederländische Eleganz von einst wurde schmerzhaft vermisst.
Aller Frust fokussierte sich später auf Schiedsrichter Howard Webb. „Wir saßen alle in der Kabine und haben über den Schiedsrichter diskutiert. Ein WM-Finale sollte einen Schiedsrichter von Weltniveau leiten. Das war heute nicht so“, klagte Robben (siehe auch Seite 34). Dabei konnte sich die „Elftal“ nicht beklagen, dass Nigel De Jong bei seiner Kung-Fu-Attacke nicht schon früh die Rote Karte sah. Van Marwijk zeigte sich dann doch als fairer Verlierer und kannte die Fußball-Herrschaftsregeln an: „Spanien ist die beste Fußball-Nation. Wir müssen auf Topniveau spielen, um eine Chance zu haben.“
De Maart
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können