SpanienNiederlage mit Ansage: Konservative scheitern mit Regierungsbildung

Spanien / Niederlage mit Ansage: Konservative scheitern mit Regierungsbildung
Der Vorsitzende der konservativen Partido Popular – PP, Alberto Núñez Feijóo, scheiterte gestern damit, eine Mehrheit für seine Koalition im spanischen Parlament zu bekommen Foto: AFP/Javier Soriano

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Es war eine Niederlage mit Ankündigung: Spaniens Konservative scheiterten am Mittwoch im Parlament mit dem Versuch, eine Mehrheit für eine Regierung zu bekommen. Der Vorsitzende der konservativen Volkspartei, Alberto Núñez Feijóo, der im Juli die nationale Wahl mit einem hauchdünnen Vorsprung gewann, hatte eine Koalition zusammen mit der rechtsnationalen Partei Vox angestrebt.

Brüssel kann somit aufatmen: Es wird vorerst keinen Rechtsruck in Spanien geben, der mit Vox eine weitere europaskeptische und den Klimawandel leugnende Partei an die Schalthebel der Macht gebracht hätte. Nach der Abfuhr für das konservative Lager bekommt demnächst der bisherige Premier, der in Europa wegen seiner Dialogfähigkeit angesehene Sozialdemokrat Pedro Sánchez, die Chance zur Regierungsbildung.

Bei der Abstimmung am Mittwochnachmittag votierten 172 Abgeordnete für Feijóo und 178 Parlamentarier gegen ihn. Die absolute Mehrheit, die für eine Wahl zum Regierungschef notwendig ist, liegt bei 176 Mandaten. Am Freitag wird es zwar noch eine zweite Abstimmung geben, bei der für den 62 Jahre alten Feijóo die einfache Mehrheit reichen würde. Aber auch diese dürfte Feijóo nach Lage der Dinge verfehlen.

Die Ja-Stimmen für Feijóo, der in der nationalen Wahl am 23. Juli 33 Prozent holte, kamen von seiner eigenen Partei – die Volkspartei hält 137 Sitze im spanischen Unterhaus. Sowie von der Rechtspartei Vox, die 33 Mandate hat. Zudem bekam er zwei Stimmen von konservativen Miniparteien.

Mit „Nein“ stimmten die Sozialdemokraten von Sánchez, das Linksbündnis Sumar (Summieren) und die vier großen Regionalparteien aus dem Baskenland sowie aus Katalonien. Zu diesen Regionalbewegungen gehört die Unabhängigkeitspartei Junts per Catalunya (Zusammen für Katalonien), in der immer noch der in Spanien mit Haftbefehl gesuchte Separatistenchef Carles Puigdemont das Sagen hat.

Die Regionalparteien, die alle durchweg langfristig einen Ausbau der regionalen Autonomie oder sogar eine Unabhängigkeit ihrer Territorien anstreben, straften Feijóo für seinen unnachgiebigen Patriotismuskurs ab. Feijóo sperrt sich gegen weitere Zugeständnisse für das Baskenland und für Katalonien – Regionen, in denen die Menschen ihre eigene Sprache sprechen und sich als eigene Nation verstehen. Auch die gerade eingeführte Neuerung, dass die baskische und katalanische Sprache im spanischen Parlament benutzt werden darf, will Feijóo wieder abschaffen.

Zu den Forderungen der Basken und Katalanen gehört zudem, irgendwann über ihre eigene Zukunft und Zugehörigkeit zu Spanien abstimmen zu dürfen. Und auch das besonders von Puigdemont vorgetragene Verlangen nach einer Amnestie für all jene katalanischen Unabhängigkeitsaktivisten, die noch von der spanischen Justiz wegen eines unerlaubten Abspaltungsreferendums im Jahr 2017 in Katalonien verfolgt werden. Davon würde auch Puigdemont profitieren.

Hängepartie geht zunächst weiter

Wie geht es nun weiter in Spanien, ein Land, das als Tourismusriese und viertgrößte Wirtschaftsmacht der Eurozone ein europäisches Schwergewicht ist? Und das noch bis Ende des zweiten Halbjahres 2023 den turnusmäßigen Vorsitz des EU-Rates innehat.

Nach der Ohrfeige für Feijóo ist wieder Spaniens königliches Staatsoberhaupt Felipe VI. am Zug. Laut dem bisher bekannten Fahrplan wird Felipe voraussichtlich kommende Woche eine neue Runde von Konsultationen mit allen Parteichefs einberufen. Anschließend wird er den 51 Jahre alten Sozialdemokraten Sánchez damit beauftragen, eine tragfähige Mehrheit für eine Regierung zu suchen.

Sánchez, der in Spanien seit 2018 mit einer Mitte-links-Minderheitsregierung an der Macht ist, kann sich mit seiner Regierungsbildung Zeit lassen. Laut Gesetz muss er sich spätestens zwei Monate nach dem Scheitern Feijóos dem Parlament stellen. Sollte er aber dann ebenfalls keine Mehrheit im Unterhaus finden, wird es im Januar 2024 Neuwahl geben.

Die spanische Hängepartie geht also zunächst einmal weiter. Inzwischen sind bereits mehr als zwei Monate seit den nationalen Wahlen vergangen – und Spanien ist noch immer ohne handlungsfähige Regierung. Ganz führungslos ist das Land allerdings nicht, weil Sánchez und sein Kabinett geschäftsführend im Amt bleiben, bis es eine neue reguläre Regierung gibt.

Offenes Ohr für die Anliegen der Regionen

Doch Sánchez‘ Aussichten, eine Mehrheit hinter sich zu scharen, sind besser als jene seines konservativen Rivalen Feijóo. Sánchez strebt eine Minderheitskoalition aus Sozialdemokraten und der Linksallianz Sumar an, die von den Regionalparteien aus dem Baskenland und Katalonien parlamentarisch gestützt wird – ein Modell, mit dem er bisher bereits erfolgreich regierte. Spaniens Wirtschaft brummt, das Land brachte zahlreiche gesellschaftliche Reformen auf den Weg und Sánchez wird als treuer europäischer Verbündeter geschätzt.

Bei seiner Regierungsbildung wird Sánchez zugutekommen, dass er ein offenes Ohr für die Anliegen der Regionen hat. Und deswegen auch über eine Amnestie für die katalanischen Separatisten sprechen will. Und zwar, weil er dies als weitere Geste sieht, um den seit Jahren brodelnden Katalonien-Konflikt zu besänftigen.

Sein Dialogkurs, sogar nun mit dem bisher als Staatsfeind angesehenen Separatisten Puigdemont, bringt Sánchez allerdings aus dem konservativen Lager böse Vorwürfe ein: Er sei ein Vaterlandsverräter, heißt es. Und Sánchez sei sogar bereit, für seinen Machterhalt die territoriale Einheit Spaniens zu verkaufen.