Lust zu lesenNerd mit Attitüde

Lust zu lesen / Nerd mit Attitüde
Jarvis Cocker Foto: Tom Jamieson

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Mit der Band Pulp gehörte er zur Speerspitze des sogenannten Britpop-Phänomens der 1990er Jahre und machte den fehlenden Massenappeal von Konkurrenten wie Oasis oder Blur mit Eleganz und Ironie mehr als wett – eine Mischung, die nach all den Jahren noch immer prima funktioniert. Thomas Koppenhagen über Jarvis Cockers illustrierte Biografie „Good Pop, Bad Pop“.

Dass seine Musikerbiografie nicht konventionell ausfallen würde, war zu erwarten. Dass er sie als die Schilderung eines Sammelsuriums an Dingen anlegt, die er beim Ausräumen seines Dachbodens vorfindet, überrascht dagegen schon. Denn mit seiner ständig wiederkehrenden Frage, was von den Sachen behalten oder weggeworfen oder abgegeben werden könne, verbindet Jarvis Cocker auf höchst vergnügliche Art oberflächliches Plaudern mit der Reflexion über „die Dinge des Lebens“ – so der Untertitel seines Buchs „Good Pop, Bad Pop“, die wirklich etwas bedeuten.

Als „eine Eigenarchäologie im Spagat zwischen Arbeiterklasse und Kunst“ bezeichnete Klaus Walter in seiner TAZ-Rezension die Publikation. Er rekurriert damit auf jene popkulturelle These eines „lustvollen neuen Archivismus“, die Moritz Baßler vor Jahren bereits formulierte. Danach versuchen nachgewachsene Generationen, die biografisch weder auf den I. noch auf den II. Weltkrieg oder auf den Aufstand der 68er Generation als Fixpunkt von historischer Tragweite zurückgreifen können, ihre Existenz kulturell bedeutsam zu verorten, indem sie sich wie beispielsweise Jarvis Cocker als Apologet der Pop-Art US-amerikanischer Prägung darstellen. Das fängt logischerweise bei Andy Warhol an, wobei Cocker versucht, den für seine Generation obligatorischen Verweis auf die erste LP der Velvet Underground mit einer Vielzahl weiterer Sachen zu unterfüttern, die er wie ein emsiger Hamster oder wie eine diebische Elster nach Hause schleppte und auf dem Dachboten hortete: Aufnäher, mumifizierte Kaugummis, in Kunstharz gegossene Halfpenny-Münzen, Vinylplatten, Spielfiguren und weiteren Plastiknippes sowie Relikte aus der Anfangszeit von Cockers Band Pulp. Das alles ist in ganzen Haufen oder einzeln, groß und detailliert abfotografiert (wobei ein Großteil der wie zufällig scheinenden Ablichtungen Vorlagen für Plattencover abgeben würden!) dem sehr ansprechend editierten Buch beigefügt.

Jarvis’ Resteverwertung

Erklärt wird die Sammelwut mit einem dezidierten Hang zu Gebrauchtem, Weggeworfenem. Wobei Jarvis Cocker daraus einen Ismus macht, den er „Upcycling“ nennt und zum Stilprinzip erklärt: „Aus dem, was andere wegwerfen, etwas Neues machen.“ Geradezu anrührend erscheint dieser Kunstanspruch mit einem Willen zum Ruhm verschränkt, den er offenbar schon sehr früh entwickelte: „Als Kind dachte ich, in den Fernseher kommt man hinein, wenn man berühmt ist. Wenn ich also Popstar werden könnte, würde ich Zutritt ins Fernsehland bekommen. & dann könnte ich endlich mit den Delfinen schwimmen & durch den Wilden Westen reiten.“ Die Helden der Kindheit wurden in der Jugend durch Musiker ausgetauscht, welche, wie etwa Elvis Costellos Selbstinszenierung als Nerd mit dickem Kassengestell auf der Nase, dem Heranwachsenden bewiesen, dass man aus Benachteiligungen durchaus auch seinen Vorteil ziehen kann – identitätstechnisch gesehen, wohlgemerkt.

Jarvis Cockers Buch behandelt seine Kinder- und Jugendjahre in Sheffield anhand von 40 Fundsachen. Dass das Ganze nicht so zufällig aufgesammelt daherkommt, wie eingangs dargestellt, zeigt sich am Ende, wenn Cocker die Pulp-Fans unter seiner Leserschaft fragt, welche der beschriebenen Gegenstände bzw. der mit ihnen in Verbindung stehenden Ereignisse in den Songs seiner Band ebenfalls Thema waren? Möglicherweise ist dieser Schachzug ein bisschen zu clever, dennoch freut man sich auf weitere Erkundungen von Jarvis Cockers verdinglichtem Privatleben, die hoffentlich bald in Buchform erscheinen werden.

Jarvis Cocker<br />
„Good Pop, Bad Pop – Die Dinge meines Lebens“<br />
Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln 2022<br />
400 S., 28,00 Euro
Jarvis Cocker
„Good Pop, Bad Pop – Die Dinge meines Lebens“
Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln 2022
400 S., 28,00 Euro