InterviewLNS-Chef Friedrich Mühlschlegel über Virenvarianten, Stichproben und clevere PCR-Tests

Interview / LNS-Chef Friedrich Mühlschlegel über Virenvarianten, Stichproben und clevere PCR-Tests
Friedrich Mühlschlegel ist der Direktor des „Laboratoire national de santé“ Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Spätestens seit die neuen, potenziell gefährlicheren Virenvarianten in Luxemburg Einzug gehalten haben, steht eine Institution erneut im Fokus: das „Laboratoire national de santé“ (LNS). Hier werden nicht nur Corona-Tests ausgewertet – sondern auch untersucht, welche Varianten im Land kursieren. Ein Interview mit LNS-Chef Friedrich Mühlschlegel.

Das Gesundheitsministerium hat am Mittwoch erstmals eine repräsentative Statistik zur Verteilung der Virenvarianten in Luxemburg veröffentlicht. Das Resultat: Die britische Variante B.1.1.7 ist bei Tests in der Woche vom 8. bis zum 14. Februar in 57,6 Prozent der untersuchten Corona-Tests aufgetaucht. 

Geliefert hat diese Daten das „Laboratoire national de santé“ (LNS) in Düdelingen. 5.313 „Sequenzierungen“ hat das LNS bis jetzt gemacht hat. Das heißt: 5.313 positive Corona-Tests hat das Labor einer genauen genetischen Analyse unterzogen. Ein aufwendiges Verfahren, das aber einen Einblick in die Pandemie erlaubt. Dazu gehört nicht nur herauszufinden, welche Virenvarianten in Luxemburg kursieren, sondern auch, wie sie sich auf genetischer Ebene entwickeln. 

LNS-Direktor Friedrich Mühlschlegel berichtet im Interview davon, wie das Labor seine Kapazitäten ausbaut und Varianten schon mit dem PCR-Test erkennen will – und warum es bei der Kommunikation über die Virenvarianten plötzlich gehakt hat. 

Tageblatt: Zehn Prozent der positiven Tests zu sequenzieren, das ist eine der Anforderungen des ECDC. Luxemburg erfüllt das seit Monaten. Wieso haben wir dann erst jetzt repräsentative Daten zu den Virenvarianten?

Friedrich Mühlschlegel: Das eine ist die generelle Messlatte, die als Minimum gefordert wird. Das andere ist die Frage nach der Repräsentativität. Das bedeutet, dass zunehmend alle Player zusammenarbeiten. Das ist wichtig, weil nicht wir die diejenigen sind, die sich als Epidemiologen die unterschiedlichen Ausbrüche anschauen – das macht die „Inspection sanitaire“, mit der wir auch in Kontakt sind. Es muss eine ganz enge Zusammenarbeit geben. Dann können wir sagen: Es ist repräsentativ.

Weshalb waren die Daten vorher nicht repräsentativ?

Die „Inspection sanitaire“ verfolgt beispielsweise einen Ausbruch in einer Schule – und schickt uns die Proben, die wir testen und sequenzieren. Wenn man das in diese zehn Prozent der Stichprobe mit einberechnet, gäbe es in dem Moment eine Verzerrung der Daten. Weil es in dem Ausbruch per Definition eine Überrepräsentation im Vergleich zum Gesamtpool gibt.

Bei den zehn Prozent, von denen schon früher die Rede war, geht es doch gerade um Repräsentativität.

Natürlich geht es letztendlich darum, aber das ist wie gesagt die ursprüngliche Messlatte des ECDC. Aber man muss auch als Epidemiologe oder Statistiker herangehen. Zehn Prozent ist der Idealfall, wenn man eine sogenannte „Non biased sample proportion“ hat – also eine unverzerrte Stichprobe. Wir bekommen von der „Inspection sanitaire“ selbstverständlich auch Ausbruchproben – und in dem Moment ist natürlich die Probe in eine bestimmte Richtung „biased“. Cluster verzerren. Aber wir sind Pedanten und gehen noch mal tiefer rein und sagen: Wir wollen wirklich unverzerrte Proben haben.

Aber dem ECDC geht es bei den zehn Prozent doch um eine Stichprobe und nicht um Cluster-Analysen, oder nicht?

Es ist letztendlich vom ECDC nicht so klar definiert. Das ECDC macht mehr quantitative Aussagen, es ist nicht eine qualitative. Und wir wollen hochqualitative Daten liefern, die Daten müssen bereinigt sein und die Cluster müssen raus – sonst ist das Ergebnis verzerrt. Ich weiß nicht, ob andere Nationen derart pedantisch Cluster herausnehmen. Deshalb müssen wir auch immer vorsichtig sein mit dem Vergleich von Daten. Ich bin jetzt mit der Woche 6 sehr „zufrieden“, im Sinne der Repräsentativität.

132 Proben wurden dafür zurate gezogen. Das ist keine riesige Stichprobe.

Es sind zwölf Prozent. Punkt. Es ist eine statistische Definition, wann man Repräsentativität hat. Wenn man eine verzerrte Probe hat, dann bringt es überhaupt nichts, ob man zehn, 15 oder 20 Prozent sequenziert –  wenn verzerrte Daten drinbleiben, bleiben sie verzerrt.

Was passiert, wenn Infektionszahlen wie im November kommen – mit 4.000 Neuinfektionen pro Woche? Kommen Sie dann auch auf die zehn Prozent?

Ja, das können wir vom Sequenziervolumen her leisten. 

Vor einigen Wochen hat das LNS insgesamt 384 Sequenzierungen pro Woche gemacht.

Diese Woche planen wir 600 – und dann, in den nächsten Wochen und Monaten, auf 1.200 zu gehen. Und das ist wichtig – denn die Daten, die aus der Sequenzieraktivität kommen, untermauern immer alle anderen Tests.

Wann erreichen wir die 1.200 Sequenzierungen pro Woche genau?

Mein Wunsch ist natürlich so schnell wie möglich. Idealerweise innerhalb von acht Wochen.

Sind die Sequenzierungen überhaupt noch die richtige Strategie? Es gibt jetzt ja auch PCR-Tests, die unterschiedliche Varianten detektieren können.

Ja, natürlich bringen die Sequenzierungen etwas: Je mehr man sequenziert, desto akkurater sind die Daten – und desto mehr kann man insgesamt die Evolution des Virus beobachten. Das kann man mit einem varianten-spezifischen PCR nicht.

Was ist denn der Vorteil der genauen Daten?

Mit dem varianten-spezifischen PCR kann man sagen: Das ist der britische Virenstamm, das ist ein südafrikanischer Virenstamm, das ist ein anderer Virenstamm. Er kann aber keine Zusatzdaten liefern. Die Zusatzdaten sind wahnsinnig wichtig, um die feine Evolution zu verfolgen, wenn plötzlich neue Entwicklungen bei einem Virus stattfinden. Wenn man die Gesamtsequenz analysieren kann, kann man beispielsweise sagen: Aha, hier findet noch eine Mikroevolution statt. Das ist sehr detailliert.

Wann werden die varianten-spezifischen PCR-Tests in Luxemburg eingesetzt?

Wir evaluieren. In Frankreich wird das schon gemacht und da gibt es einen bestimmten Test, der da im Moment genutzt wird. Wir haben automatisierte Plattformen mit zwei Typen von Tests, die wir parallel evaluieren. Und es ist auch wichtig, dass man nicht plötzlich eine Plattform komplett neu erfindet, sondern Versuche macht und testet. Robust und verlässlich. Und das läuft im Moment. Und natürlich müssen wir warten, bis der Test formal auf den Markt kommt. Ich hoffe, dass wir bis Mitte März loslegen können.

Wie groß ist das Volumen bei den neuen Tests dann?

Die Idee ist, dass jeder PCR am LNS dann varianten-spezifisch läuft. Das ist die Ambition.

Geben die varianten-spezifischen Tests bei allen Varianten auch ein positives oder negatives Resultat?

Ja, bei Sars-CoV-2 schlägt er immer an. Und dann sagt er auch: Es ist die britische Variante. Oder es handelt sich entweder um die südafrikanische oder die brasilianische Variante. In der nächsten Testgeneration – die ist in Vorbereitung – dann die britische oder die südafrikanische oder die brasilianische. Und ich wäre nicht überrascht, wenn sich das dann weiterentwickelt.

Kommt das nicht zu spät?

Nein, das würde ich nicht sagen. Es wäre natürlich immer schön, wenn es mit einem Fingerschnipp da wäre, aber so ist es nicht. Ich glaube – um für das LNS zu sprechen –, das Team in der Mikrobiologie ist wirklich sehr reaktiv.

Das LNS hat in seinem „Revilux“-Newsletter dienstags über die virologische Situation in Luxemburg berichtet. Das hat sich jetzt – wo es akut wurde – schlagartig geändert. In der vergangenen Woche kam gar kein Newsletter. Woran liegt das?

Es geht mehr um die Koordination des Informationsflusses. Es ist ja nicht so, als ob das Gesundheitsministerium nicht den Verlauf von Infektionen, Anzahl von positiven Fällen und so weiter kommuniziert hätte, das ist ja durchgehend passiert. Um was es geht, ist wirklich allen die Möglichkeit zu geben, diese Datensätze zu koordinieren. Es geht um die richtige Zeitrasterung dazu. Revilux wird es weiter geben. 

Jean Hardt
26. Februar 2021 - 10.34

Ich stelle fest, dass andere Länder früher impfen als Luxemburg (Österreich,Kroatien,Serbien). Außerdem sind die Geimpften jünger als ich. An was das liegt, weiß ich nicht. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Ich bin ein 1938 Jahrgang und effektiv ein Hochrisikopatient. Jean Hardt