EditorialIsraels Regierungschef Netanjahu betreibt mit Justizreform Demokratieabbau

Editorial / Israels Regierungschef Netanjahu betreibt mit Justizreform Demokratieabbau
Seit Wochen wird in Israel gegen die Justizreform demonstriert Foto: Jack Guez/AFP

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Seit Wochen gehen in Israel Tausende Menschen gegen eine von der ultrarechten Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu geplante Justizreform auf die Straße. Denn sie befürchten zu Recht, dass mit den anvisierten Gesetzesänderungen die Demokratie im Land aufs Spiel gesetzt wird. Möglicherweise aber könnte es auch erst der Auftakt zu einem gezielten Abbau der Demokratie im Land sein. Denn angesichts der an der Regierung beteiligten Kräfte – ultrarechte Nationalisten und religiöse Fundamentalisten gemeinsam mit Netanjahus konservativer Likud-Partei – kann ideologisch betrachtet davon ausgegangen werden, dass die Koalitionäre autokratischen Tendenzen zugewandt sind. Das schwächste Glied in der Kette mag dabei der Likud sein, wo sich bereits erste Stimmen gegen die Reformpläne erheben. Doch ist die Partei ihrem Chef weitgehend ergeben, hat er doch bei den Wahlen im vergangenen November den Konservativen wieder einen Platz in der Regierung zurückerobert.

Der wegen seines rüden Politikstils bekannte Benjamin Netanjahu betreibt die Reform jedoch nicht ohne Eigennutz. Denn der Regierungschef ist wegen Bestechlichkeit, Betrug und Untreue angeklagt und versucht seitdem alles, um einer Verurteilung vor Gericht zu entgehen. Bereits am Donnerstag verabschiedete das israelische Parlament eine Gesetzesänderung, die eine Amtsenthebung von Ministerpräsidenten deutlich erschwert. Mit der Justizreform versucht die Regierung nun, Einfluss auf die Ernennung von Richtern im Land zu erhalten. Was ein schwerer Schlag gegen die Unabhängigkeit der Justiz in Israel wäre, zu gegebener Zeit aber den Regierungschef arrangieren könnte. Zudem soll die Knesset die Möglichkeit erhalten, mit einfacher Mehrheit Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes des Landes aufzuheben. Damit würde sich die Regierung die Justiz weitestgehend gefügig machen.

Dieses Vorgehen ist typisch für Parteien mit einem Hang zu einem autokratischen Regierungsstil. In der EU haben vor mehreren Jahren Viktor Orbans Fidesz in Ungarn sowie die polnische PiS-Partei den gleichen Weg eingeschlagen. Allerdings wurden sie von der EU-Kommission ausgebremst und beide Länder stehen seither unter scharfer Beobachtung der anderen EU-Staaten sowie des EU-Parlaments. Nichtsdestotrotz haben in beiden Ländern die Regierungsparteien bereits weitere Schritte in ihrem Bestreben eines Abbaus der Demokratie vollzogen, etwa indem sie die Medien des Landes weitgehend unter ihre Kontrolle oder von Gleichgesinnten gebracht haben. So weit ist es in Israel noch nicht und die Protestwelle, die seit Wochen durchs Land zieht, lässt vermuten, dass es auch nicht dazu kommen wird. Dennoch schadet Netanjahu Israel erheblich, da das Reformvorhaben die Spaltung im Lande weiter vorantreibt. Auch wenn er gestern noch versicherte, diese beenden zu wollen. Und indem sich die Regierung an der Gewaltenteilung vergreift, setzt sie ihr Ansehen als einzige Demokratie in der Region aufs Spiel.

Ohnehin könnte der israelischen Regierung demnächst auch international ein rauerer Wind entgegenblasen, da sie, getrieben von religiösen Eiferern, zunehmend rücksichtsloser im besetzten Westjordanland vorgeht, vor allem was den Bau neuer Siedlungen anbelangt. Der illegale israelische Siedlungsbau wird seit langem als eines der größten Hindernisse hinsichtlich der Beilegung des Konflikts mit den Palästinensern erachtet. Mit Netanjahus rechts-religiöser Regierung ist jedoch nur noch Schlimmeres zu erwarten. Doch könnte mit dem Krieg in der Ukraine die Frage an Bedeutung gewinnen, ob nicht auch die Palästinenser ein Recht haben, innerhalb ihrer international anerkannten Grenzen ihren Staat zu gestalten. Ohne Besatzungsmacht.