Der Tag, der die Tour hätte kosten können

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Frank und Andy Schleck in Massensturz verwickelt / Entwarnung für Andy nach Röntgen

Ein Massensturz überschattete die gestrige Tour-Etappe auf den Straßen von Liège-Bastogne-Liège. Auch Frank und Andy Schleck gingen zu Boden. Die Tour schien verloren, aber dank einer großartigen Teamleistung und eines Patrons Fabian Cancellara konnte der Schaden in Grenzen gehalten werden.

Aus Spa berichten „T“-Redakteur Kim Hermes (khe) und „T“-Radsport-Experte Petz Lahure (P.L.)

Es waren Bilder, die im Pressezentrum für eine plötzliche Stille sorgten und das allgemeine Raunen verstummen ließen. In der Côte de Stockeu war es zu einem Massensturz gekommen. Im Bild war Andy Schleck zu sehen, der sich den linken Ellbogen hielt und dessen schmerzverzerrtes Gesicht zu sagen schien: „Das war’s jetzt.“

Wenig später war auch Frank Schleck zu sehen, auch er offenbar schwer gestürzt. Es schien das Ende aller Tour-Träume zu sein, zumal das Feld in mehrere Teile zersplitterte. Die Schlecks waren beide in der letzten Favoritengruppe, die zeitweise vier Minuten Rückstand auf das Feld hatte. Dass es 15 km vor dem Ziel wieder zum Zusammenschluss kam, verdankten die Brüder auch Fabian Cancellara, der vorne als wahrer Patron das Tempo rausnahm und für einen Nichtangriffspakt sorgte, der fast alle Fahrer zusammen ins Ziel fahren ließ, 3:56 Minuten hinter Etappensieger Chavanel.

Doch was war passiert? „Keine Ahnung“, so Frank Schleck, „irgendetwas muss auf der Straße gewesen sein. Es war furchtbar glatt. Die Mechaniker sind aus dem Auto gesprungen und einfach weggerutscht. ‚Et war glat wéi eng Forell.‘ Es herrschte großes Chaos.“

Doch allem Anschein nach sind die Verletzungen der beiden Brüder nicht so schlimm wie es bei den ersten Bildern zu befürchten war: „Mir tut alles weh“, so Frank Schleck, „die Wunde an der Hüfte und am Ellbogen ist ziemlich tief. Auch die Schulter tut weh.“ Im Bus wurden beide gleich vom Arzt versorgt. Teamchef Bjarne Riis gab dann relativ schnell Entwarnung: „Bei Andy ist alles gut, bei Frank auch. Sie haben sich wehgetan, viele Prellungen und Hautabschürfungen, aber das kommt in Ordnung. Röntgen und das alles brauchen wir nicht.“

Am schlimmsten hatte es aber offenbar Andy Schleck erwischt, der am gestrigen Abend als Vorsichtsmaßnahme doch noch zum Röntgen ging – gebrochen ist definitiv nichts. Der Vorjahreszweite war nämlich gleich zwei Mal gestürzt. Nach dem ersten Mal nahm er das Rad von Matti Breschel, als er 300 m weiter erneut stürzte, musste Breschels Ersatzrad herhalten.

„So ist das eben. Das ist die Tour de France. Ein Mal stürzen tut weh, zwei Mal tut sehr, sehr weh“, so der 25-Jährige. Zu viert machten sie sich an die Verfolgung des Pelotons. Andy Schleck, sein Bruder Frank, Nicki Sörensen und Jens Voigt, der von vorne zurückgepfiffen worden war und schlussendlich am Straßenrand auf die Schlecks gewartet hatte. „Wir haben ein richtiges Teamzeitfahren hingelegt“, so Andy Schleck. Als er von den vier Minuten Rückstand erfuhr, erschrak er allerdings erst mal: „Ich dachte, die Tour wäre dahin.“ Im ganzen Chaos gab es nur eine Lösung. „Fahren bis zum Anschlag, das ist das Einzige, woran ich gedacht habe. Dass Contador und Armstrong auch gestürzt sind, habe ich erst später erfahren. Als wir ins Feld zurückkamen und ich sie gesehen habe, war ich beruhigt.“

Und so versuchte er, das Beste aus dem unglückseligen Tag zu ziehen: „Ich habe in der Verfolgung gemerkt, dass ich super Beine habe“, so der jüngere Schleck. Und ein starkes Team. Denn einige hatten sich schon gefragt, ob Riis nicht eher auf die Karte Cancellara/Gelbes Trikot setzen würde als auf die Schlecks: „Das war heute die Antwort“, so Frank Schleck, „es war eine super Reaktion vom ganzen Team, auch von Bjarne Riis.“ Cancellara, der sein Gelbes Trikot abgab, um die Schlecks zurückzuholen, war sich sicher: „Es war die richtige Entscheidung, zu warten. Radsport ist ein Mannschaftssport. Fairness kommt vor Egoismus und alles im Leben kommt irgendwann zurück. Ich habe schon viele Tage in Gelb auf dem Buckel.“

Und Teamkollege Jens Voigt versprühte ebenfalls Optimismus: „Wir konnten den Schaden in Grenzen halten. Andy und Frank haben ein paar Drähte verloren, wie man so schön sagt. Sie werden morgen ein bisschen steif sein, aber bis zu den Alpen sollte alles wieder in Ordnung sein.“

Kritik an der ASO

Ende gut, alles gut demnach? Nicht ganz, denn der Ärger über den überflüssigen Massensturz war groß. „Man muss die ASO auch mal kritisieren dürfen“, so Frank Schleck. Auch sein Bruder ist der Meinung, dass man die offenbar so glatte Straße hätte umfahren und einen anderen Weg wählen können.

Doch eigentlich werden sie diese Etappe, so schnell es nur irgendwie geht, zu vergessen versuchen, denn bereits heute wartet ein weiterer schwerer Tag auf den Pflastersteinen von Paris-Roubaix, die schon seit der Tour-Präsentation im Oktober 2009 für Missmut sorgen: „Schlimmer als heute kann das auch nicht werden“, so Andy Schleck.

khe