Schlussstrich unter 50 Jahre Atomgeschichte

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Siemens zieht sich aus dem Atomgeschäft zurück. Vor 50 Jahren baute das Unternehmen den ersten deutschen Nuklearreaktor.

Noch vor zwei Jahren hatte Siemens-Chef Peter Löscher ehrgeizige Atom-Pläne. Als er die Absichtserklärung für ein Gemeinschaftsprojekt mit Rosatom unterzeichnete, wollte er zusammen mit dem russischen Partner „weltweit Marktführer im Kernenergiegeschäft“ werden. Nun hat Löscher nicht nur das geplante Joint-Venture begraben, sondern den Totalausstieg des Konzerns aus dem Atomgeschäft bekanntgegeben. Damit zieht Löscher einen Schlussstrich unter eine mehr als 50-jährige Geschichte des Konzerns.

Als erstes deutsches Atomkraftwerk ging Kahl 1961 ans Netz und wurde von Siemens damals noch mit Reaktortechnik des Konkurrenten General Electric gebaut. Die Deutschen waren bei der Technologie im Rückstand – eine Folge des Zweiten Weltkriegs. Die Alliierte Hohe Kommission hatte Deutschland jegliche Atomforschung und angewandte Kernphysik verboten. Das Verbot, wenngleich von der deutschen Energiewirtschaft und der Regierung heimlich unterlaufen, blieb bis zur Rückgewinnung der deutschen Souveränität 1955 bestehen.

1955 erster Bauauftrag

Bereits 1953 wurde bei Siemens in Erlangen die Arbeitsgruppe „Kernenergie» gegründet. 1955 folgte die Gründung der Arbeitsgemeinschaft „Atomenergie“ durch die Siemens-Schuckertwerke, AEG-Telefunken, BASF, Bayer, Degussa, Hoechst und der Metallgesellschaft. 1969 entstand aus den Kraftwerksabteilungen von Siemens und AEG die Kraftwerk Union AG mit Sitz in Mühlheim. Im gleichen Jahr erhielt die KWU den ersten Bauautrag für das damals größte Atomkraftwerk der Welt in Biblis.

1977 wurde Siemens Alleinaktionär der KWU AG. Die Zukunft der Atomenergie schien glänzend: In Deutschland stieg die installierte Leistung bis in die späten 1970er Jahre auf 100 000 Megawatt.

Bei Irans AKW Buschehr dabei

Auch im Ausland war Siemens immer öfter mit von der Partie, unter anderem beim Bau des 1974 vom damaligen Shah in Auftrag gegebenen iranischen Atomkraftwerks Buschehr, das vor wenigen Tagen nach Jahrzehnte langen Verzögerungen ans Netz ging.

Ab 1989 arbeitete die Siemens-Kernkraftsparte mit dem französischen Unternehmen Framatome zusammen. Ziel: die Entwicklung des Europäischen Druckwasserreaktors. Das 2001 gegründete Gemeinschaftsunternehmen – 2006 in Areva NP umbenannt – kostete Siemens letztendlich eine Menge Geld. Da Siemens lediglich 34 Prozent der Anteile hielt und Areva auf seine Entscheidungshoheit pochte, beschlossen die Deutschen 2009 vorzeitig den Ausstieg – und das Zusammengehen mit Rosatom. Ein Schiedsgericht verurteilte Siemens dafür im Mai zu einer Strafe von 682 Millionen Euro inklusive Zinsen.

Wenngleich kaum ein Land aus der Atomkatastrophe von Fukushima ähnlich radikale Schlüsse wie Deutschland zog, wird der Markt für den Bau von Atomkraftwerken in Zukunft kleiner werden. Siemens sieht mehr Chancen im Aufbau von Alternativen.