Dafür, dass die Forscher der Universität Luxemburg zu einem zumindest quasi-historischen Termin eingeladen haben, wirkt das Objekt ihrer Forschung eher unprätentiös – während in Science-Fiction-Streifen bahnbrechende Hightech-Autos ja oft gerne als schwarze Flitzer oder mit Flügeltüren daherkommen. Das autonome Fahrzeug, mit dem offiziell erstmals Fahrgäste im öffentlichen Straßenverkehr Luxemburgs kutschiert werden sollen, steckt dagegen in einem ziemlich gewöhnlichen Kleinwagen der Firma Kia.
Und ebenso eher unscheinbar ist eigentlich auch die von den Forschern installierte Technik im und am kugeligen Fahrzeug, das am Donnerstagmittag auf dem Adenauer-Parkplatz am Kirchberg bereitsteht, um mit Journalisten ein paar Runden um den Block zu drehen: Im Cockpit wurde ein kleiner Flachbildschirm und ein zusätzliches Display eingebaut und im Kofferraum liegen ein paar Computer verkabelt nebeneinander, während auf dem Dach ein Träger befestigt wurde, der winzigen Kameras Halt gibt. Zudem gibt es einen Sensor, der ein bisschen aussieht wie ein größerer Prozessorlüfter: In Wirklichkeit steckt darin ein rotierender Laser, der die Umgebung laufend abscannt, um zusätzlich zu den konventionellen Bildern der Kameras ein abstrakteres Abbild des Geschehens zu liefern. Zwei Antennen ermöglichen eine sehr feine Positionsbestimmung des Fahrzeugs.

Und doch: Was mit dem Auto heute veranstaltet wird, ist ein Schritt, beziehungsweise eine Fahrt, in eine neue Epoche der Straßenmobilität, erklärt der Professor Raphaël Frank: „Vollständig autonomes Fahren wird einen Paradigmenwechsel in der Mobilität darstellen, der den Verkehr verbessert und Staus durch die Verringerung der Anzahl der Fahrzeuge reduziert.“
Frank ist Leiter des „360Lab“-Teams, das zu intelligenter Mobilität forscht – und wiederum Teil des interdisziplinären „Zentrums für Sicherheit, Zuverlässigkeit und Vertrauen (SnT)“ ist. Das 2009 begründete „SnT“ betreibt laut Eigenauskunft „international wettbewerbsfähige Forschung in der Informations- und Kommunikationstechnologie mit hoher Relevanz und sozioökonomischen Auswirkungen“: Neben dem autonomen Fahren sind andere Forschungsfelder Raumfahrtsysteme, Finanztechnologie und Cybersicherheit.
Nicht ohne Genehmigung
Ganz reale Sicherheit ist auch ein wichtiges Thema bei der praktischen Vorführung auf dem Kirchberg, die den Höhepunkt fünfjähriger Forschungsarbeit des „360Lab“-Teams markieren soll: Während das Hightech-Auto samt Begleitfahrzeug vorgefahren wird, verrät eine Sprecherin der Universität, dass durchaus aufwendige Verhandlungen mit den öffentlichen Stellen nötig waren, um diese erste offizielle Fahrt mit Nicht-Forschenden im öffentlichen Raum genehmigt zu bekommen.
Und die Fahrgäste werden auch nicht etwa ganz allein auf die Reise geschickt, sondern nehmen auf der Rückbank des Viersitzers Platz, während Professor Frank auf dem Beifahrersitz das autonome Fahrsystem ein- und ausschaltet und überwacht. Auf dem Fahrersitz hält der Forscher Mehdi Testouri die Hände immer nahe am ja nach wie vor vorhandenen Lenkrad, um im Notfall eingreifen zu können. Das ist aber nicht nötig, jedenfalls nicht, als das Tageblatt schließlich im Fond Platz nehmen darf.
Als das Fahrzeug den Parkplatz, noch konventionell gesteuert, verlässt, schaltet Professor Frank per Keyboard schließlich das System ein – und sein Kollege kann die Hände auf die Knie legen: Ganz von selbst dreht sich das Lenkrad kräftig, als das Auto zwei 90-Grad-Kurven fahren muss, um zunächst in die Ausfahrt zu kommen – und dann, um auf den Boulevard einzubiegen, um schließlich der zuvor festgesetzten Route zu folgen.
Eher defensive Fahrweise
Natürlich schmälert die Anwesenheit des Mannes auf dem Fahrersitz (welcher aber nun eigentlich auch nur ein Beifahrersitz ist) ein wenig das Gefühl, sein Schicksal nun vollkommen der Robotik und künstlicher Intelligenz überantwortet zu haben. Aber auch am Fahrverhalten selbst wäre kaum zu bemerken, dass der Mensch die Kontrolle abgegeben hat: Der Kia, selbstverständlich ein E-Auto, beschleunigt behutsam und rollt dann auch eher gemächlich den Boulevard Adenauer entlang – wobei das System auf eine Maximalgeschwindigkeit von 40 Kilometern pro Stunde eingestellt ist.
Der Wagen folgt dem Boulevard zunächst im ganz leicht nach links, dann nach rechts führenden Verlauf – und bremst zum Stillstand, als eine rote Ampel an einer Kreuzung das erfordert. Die Ampelschaltungen erkennt das Fahrzeug über seine Kameraaugen, während das für andere Verkehrszeichen nicht gilt: Das jeweils erlaubte Tempo würde also nicht von Schildern abgelesen werden, sondern dem Kartenmaterial entnommen, dessen Erstellung ein wichtiger Bestandteil der Arbeit der Luxemburger Forscher ist.
Darum sei die Forschung des 360Lab „für die Zukunft des autonomen Fahrens in Luxemburg von entscheidender Bedeutung, da es HD-Karten für die Region entwickelt, die Informationen liefern, die dem Fahrer traditionell durch Straßenschilder und Markierungen vermittelt werden“, heißt es in einer Erläuterung der Universität. Die Karten in „High Definition“ seien um Größenordnungen detaillierter als die Karten, die üblicherweise von den etablierten Navigationssystemen in Autos und mobilen Geräten verwendet werden. Die Karte für die Demonstrationsfahrt wurde dabei in Zusammenarbeit mit einem in San Francisco ansässigen Start-up-Unternehmen erstellt und enthält auch eine Form der „digitalen Schiene“ in den jeweiligen Straßenmitten, an der das Auto entlangfährt.

Statisches und Dynamisches
„Die Zusammenführung der statischen Elemente, dazu zählt etwa der grundsätzliche Streckenverlauf und der Standort von Ampeln, mit den dynamischen Elementen, wie der aktuelle Stand der Ampeln oder, natürlich, der Verkehrsfluss, das alles sorgt schließlich dafür, dass sich das Fahrzeug autonom bewegen kann“, erklärt Frank.
Ein klarer Unterschied zu vielen menschlichen Fahrern zeigt sich daran, dass das 360Lab-Fahrzeug sehr defensiv unterwegs ist, in etwa wie ein noch übervorsichtiger Fahranfänger: So wird etwa vor jeder Ampel die Geschwindigkeit etwas gedrosselt, da das System die Ampeln nicht im Blick behält und dabei abschätzt, wie lange diese wohl noch grün bleiben. „Damit das Fahrzeug nicht so abrupt abbremsen muss, falls eine Ampel umschaltet, wird es also etwas langsamer.“ Und als ein anderer Verkehrsteilnehmer überholt und weit vor dem Robot-Fahrzeug auf dessen Spur einschert, bremst das Fahrzeug leicht ab – während ein erfahrener menschlicher Fahrer wohl erkannt hätte, dass ein Abbremsen nicht wirklich notwendig ist.

Sicher sei aber, erklären die Forscher, dass ein notwendiger Stopp auch ausgeführt werde: „Wir haben Versuche mit auf der Straße liegenden Reifen gemacht, die das System erkannt hat“, erklärt Forschungsassistent Testouri. Bei größeren Problemen entlang der digitalen Schiene wäre die autonome Fahrt aber wohl schnell zu Ende: Noch ist das System etwa nicht darauf ausgelegt, alternative Routen zu finden. „Was bisher sehr gut funktioniert, ist, einem vordefinierten Pfad zu folgen“, erläutert Testouri – und betont, dass es letztlich nicht darum gehe, ein marktreifes Fahrzeug zu entwickeln, sondern eben um die Erforschung der Möglichkeiten, um dorthin zu kommen, etwa durch ausgefeilte Sensoren und Algorithmen.

Denn noch sei die Technik, trotz aller Sensoren und künstlicher Intelligenz, kaum in der Lage, sich schnell (oder überhaupt) auf Unerwartetes einzustellen. Darum sei es die Aufgabe der Forschung, daran zu arbeiten. „Dabei muss aber nicht einmal totale Perfektion erreicht werden – sondern vielmehr, besser zu sein als der Mensch.“
De Maart
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