Robert Schneider
Das nun vorliegende Orientierungspapier bereitet die erste große Reform des Sekundarunterrichts (sowohl des klassischen als auch des technischen) seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts vor. Seit vergangenem Herbst läuft die Beratungsphase bereits. Zwei Jahre breit angelegte Debatten aller Beteiligten und Feinarbeit der Experten sollen nun folgen.
Mady Delvaux betonte am Montag mehrmals, die Vorschläge seien eine Diskussionsgrundlage und beileibe kein in Stein gemeißeltes Machwerk. Das Orientierungspapier wurde mittlerweile allen Lehrern zugestellt, deren Vorschläge und Kritiken nun erwartet werden.
Philosophie nicht umstritten
Ab Herbst 2010 sollen verschiedene Arbeitsgruppen sich mit Inhalten, Methoden und Organisation beschäftigen, wobei Delvaux sich die heftigsten Diskussionen bei der aufstellung der Stundenpläne erwartet. Die Philosophie der Reform scheint allgemein akzeptiert.
Die geplante Reform will die Stärken des aktuellen Systems, wie etwa die Mehrsprachigkeit und die Vielfalt des vermittelten Wissens beibehalten. Allerdings sei der Sekundarunterricht zur Zeit nicht ausreichend flexibel. Auch soll den Schülern ein breiteres Allgemeinwissen vermittelt werden. Damit soll auch den Ansprüchen der Universitäten Genüge getan werden, die ein breites Allgemeinwissen einer weitreichenden Spezialisierung vorziehen.
Das gleiche gilt im technischen Sekundarunterricht, wo die Spezialisierung zwar eine gute Berufsvorbereitung darstellt, das Allgemeinwissen allerdings nicht breit genug ist um alle weitergehenden Studien absolvieren zu können und die Schüler ihre Rolle als aufgeklärte Bürger erfüllen zu lassen. Weiter unterstreicht das Orientierungspapier die Bedeutung den Schülern eine Methodik des (lebenslangen) Lernens inklusive der entsprechenden Anpassungsfähigkeit zu vermitteln.
Die Bedeutung eines Sprachenunterrichts auf hohem Niveau wird in dem Papier unterstrichen. Englisch soll angesichts der Realitäten des heutigen Arbeitslebens eine stärkere Bedeutung zukommen. Aber auch Latein wird ein mögliches Wahlfach bleiben und das „kleine Latinum“ das von verschiedenen Universitäten verlangt wird, kann auch weiterhin im Sekundarunterricht erworben werden.
Die legislative Prozedur wird laut Vorstellungen des Ministeriums erst in zwei Jahren, also 2012 anlaufen. Allerdings gibt es bereits jetzt erste Pilotklassen, die im unteren Sekundarunterrricht („cycle inférieur“) kompetenzorientiert arbeiten.
Etwas ist allerdings bereits jetzt klar: Sowohl das Punktesystem als auch die Abschlussexamen werden in den Sekundarschulen bestehen bleiben, auch wenn künftig präzisere Benotungskriterien gelten sollen.
Die wichtigsten Neuerungen
In dem Orientierungspapier des Erziehungsministeriums wurden sechs Aktionsfelder festgehalten, die jetzt durch eine breit angelegte Diskussion mit allen Beteiligten verfeinert werden sollen.
Ziel der Reform soll einerseits ein breiteres Allgemeinwissen und andererseits eine flexible und tiefgreifende Spezialisierung sein.
– Um die Schüler auf Universitätsstudien resp. auf einen ersten Job vorzubereiten, sollen ihnen Lernstrategien, Initiativgeist und soziale Kompetenzen vermittelt werden. Aus diesem Grunde sollen die Schüler auf 2e resp. auf 12e eine größere und komplexe Arbeit („travail d’envergure“) zu einem frei gewählten Thema abliefern, die sie das ganze Jahr über fächerübergreifend vorbereiten und anschließend mündlich vor einer Jury vortragen müssen. Bei diesem Projekt werden sie von einem Lehrer begleitet.
– Um eine breite Allgemeinkultur zu vermitteln, sollen die Neugier und der kritische Geist der Schüler gefördert werden.
In diesem Sinne sollen die Lehrer der diversen Fächer enger und interdisziplinar zusammenarbeiten. Die nationalen Programmkommissionen sollen einen Rahmen ausarbeiten, der eine größere Kohärenz zwischen den verschiedenen Fächern mit sich bringt.
Weiter sollen die Schüler ein Portfolio ausarbeiten, das ihre schulischen und außerschulischen Kompetenzen und Erfahrungen wiedergibt.
– Die oberen Klassen (also 4e bis 1re im Sekundarunterricht und 10e bis 13e im technischen Sekundarunterricht) sollen als „Spezialisierungsweg“ organisiert werden.
Progressiv und kohärent stellt das Ministerium sich diese Spezialisierungen vor, die im Sekundarunterricht in den dominanten Bereichen „Wissenschaft und Mathematik“ resp. „Humanwissenschaften und Sprachen“ und im technischen Sekundarunterricht in den Bereichen „Wissenschaft und Technologie“, „Handel, Verwaltung und Kommunikation“ sowie „Kunst“ liegen werden.
– Je nach Spezialisierung wird die Bedeutung der Sprachen anders gewichtet. Dem Englischen wird eine größere Bedeutung gegeben, es wird in allen Abschlussklassen (Sekundarunterricht und technischer Sekundarunterricht) obligatorisch sein.
– Die Zahl der Fächer, die in den Abschlussexamen behandelt werden, wird stark reduziert.
Die Schüler können künftig innerhalb eines Rahmens sechs schriftliche und zwei mündliche Examensfächer aussuchen.
De Maart
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