In den ersten Tagen ist Bangkok für mich nicht viel mehr als eine einzige Straße. Dabei handelt es sich nicht einmal um eine besonders schöne Straße. Sie ist ziemlich schmal und endet nach wenigen Metern schon vor einer Häuserwand. Blickt man über diese hinaus, hat man Aussicht auf graue Gebäude, die sich übereinanderzustapeln scheinen. Das gibt mir eine Idee davon, dass die Stadt größer ist, als ich es je werde begreifen können.

Eigentlich sollte ich gerade nicht hier sein. Ich hatte geplant, drei Wochen in einem buddhistischen Kloster im ländlichen Thailand zu verbringen, aber musste meinen Aufenthalt eine Woche früher abbrechen. Ich bin so krank geworden, dass ich es kaum noch aus dem Bett geschafft habe und nach Bangkok fahren musste, um in ein internationales Krankenhaus zu gehen. Dort wurde mir eine Mandelentzündung diagnostiziert und ein Antibiotikum verschrieben. Jetzt geht es mir langsam wieder besser, auch wenn ich noch einige Tage im Bett verbringen muss.
Ich bin in einer Millionenstadt, in der sich überall gleichzeitig das Leben abspielt, aber höre nichts als das leise Surren der Klimaanlage in meinem Hotelzimmer. Ich kenne niemanden hier. Ein Taxifahrer bringt mich zum Krankenhaus, ein anderer holt mich ab. Ein Lieferservice bringt mir Bananen und Salzstangen aus dem Supermarkt oder eine Gemüsesuppe aus dem Restaurant nebenan. Ich koche mir eine Tasse Tee und kippe zu viel Honig hinein. Ich wünschte, ich wäre zu Hause und könnte in meinem eigenen Bett liegen, vertraute Menschen um mich haben, Spaghetti mit Tomatensoße kochen. Zum ersten Mal schaue ich nach Rückflügen. Bisher wollte ich mich nicht mit dem Ende meiner Reise beschäftigen, habe mich nicht bereit gefühlt, auch nur daran zu denken, diesen Lebensabschnitt hinter mir zu lassen. Alles, was vor dieser Reise passiert ist und alles, was danach noch kommen wird, scheint mir unglaublich weit weg zu sein. Es gibt nichts als diesen Moment, und in diesem Moment liege ich krank in einem Bett in Bangkok.

Nach wenigen Minuten schließe ich die Seite, auf der ich die Preise von Flügen verglichen habe. Ich bleibe hier und warte auf bessere Tage.
An meinem vierten Tag in Bangkok wechsele ich von meinem Hotelzimmer in ein Hostel. Die Zeit ist gekommen, meine Privatsphäre aufzugeben und mir wieder ein Zimmer mit einigen Fremden zu teilen. Ich bin endlich gesund genug, um die Stadt erkunden zu können. Ganz wird sie sich mir nie erschließen, so viel steht fest. Dafür ist sie viel zu groß und zu kontrovers.
Ich lerne sie in Teilen kennen. Anfangs spaziere ich ein wenig durch das Viertel, in dem mein Hostel liegt, eine ruhige Gegend abseits des touristischen Zentrums. Als ich dieses besuche, schlagen mir unzählige Eindrücke zusammen entgegen. Auf der Khao San Road, dem Mittelpunkt des Backpacker-Milieus in Bangkok, gibt es überall Straßenstände, Läden, Clubs und Hostels. Vor allem nachts ist es hier nie still. Menschen drängeln sich aneinander vorbei, Händler preisen ihre Waren schreiend an, Musik erschallt aus den verschiedenen Bars.

In Chinatown ist es ähnlich voll. „Das hier sieht aus wie das Bangkok aus Filmen“, sage ich zu meinen Freunden, als wir dort durch die Straßen laufen. Leuchtreklamen blinken, bunte Schilder bewerben Waren, Tuctucs und Autos drängen sich aneinander vorbei. Während meine Freundin nach Souvenirs stöbert, kaufe ich ein Hemd mit Elefantenmuster an einem Stand am Straßenrand. Es ist nicht wirklich hübsch, aber es gehört dazu. Jeder Tourist bringt irgendein Kleidungsstück mit Elefanten nach Hause, und Backpacker erkennt man oft schon von Weitem an ihren weiten Stoffhosen mit Elefantenaufdruck.
In einer Seitenstraße probieren wir etwas Streetfood, dann fahren wir mit einem Tuctuc in eine andere Gegend. Wir wollen etwas von dem berühmt-berüchtigten Nachtleben Bangkoks mitbekommen. Es gibt verschiedene Viertel, die sich nachts in ganze Ausgehmeilen verwandeln. Einige davon sind Rotlichtmilieus, denn leider ist Thailand eines der beliebtesten Ziele für Sextouristen aus dem Westen. Diese Viertel gelten für einige Backpacker als guter Grund, die Stadt nicht zu mögen. Zudem empfinden viele sie als zu unübersichtlich, zu laut, zu schmutzig.

Als ich einem Bekannten schreibe, dass ich schon eine Woche in Bangkok bin, fragt er mich, was ich denn so lange dort mache. „Fahre lieber weiter auf die Inseln, dort ist es viel schöner“, meint er. Doch ich mag Bangkok, auch wenn ich einige Teile der Stadt lieber meide. Ich mag die vielen Möglichkeiten, die die Stadt bietet. Hier kann man alles Mögliche unternehmen, anschauen, essen.
Ich werde es nicht schaffen, alle wichtigen Sehenswürdigkeiten zu besuchen, aber genieße die Zeit nach meiner Genesung sehr. Ich sehe einige alte Freunde aus Laos und Nordthailand wieder und schließe neue Freundschaften, zum Beispiel mit K. aus Australien, mit dem ich ein Museum für moderne Kunst besuche. Ich verbringe auch viel Zeit mit L. aus den USA, die mich Freundschaften mit Frauen in meinem Alter vermissen lässt. Es ist interessant, beim Reisen Menschen mit den verschiedensten Lebensgeschichten kennenzulernen. Trotzdem ist es angenehm, sich mit einer Person auszutauschen, die gleich alt ist und ähnliche Interessen und Erfahrungen hat.

Ich klammere mich an den Sitz des Motorrads meines Fahrers, der uns geschickt durch die Lücken im dichten Verkehr schlängelt. Ich versuche zu begreifen, wie flüchtig dieser Moment ist. Ich habe schon weit über die Hälfte meiner Reise hinter mir. In fünf oder sechs Wochen werde ich wohl in ein Flugzeug nach Europa steigen. Dann wird mir Bangkok weit entfernt vorkommen. Jetzt kann ich das noch kaum glauben. Dazu ist das alles hier gerade noch viel zu real: Die Motorräder, die pinken Taxis, die erdrückende Hitze, der Geruch von Smog. Irgendwann wird es weit zurück in meiner Erinnerung liegen, aber gerade erheben sich die Hochhäuser Bangkoks noch vor mir wie Felsen.
De Maart








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