„Effizienz geht leider vor Menschlichkeit“

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35 Menschen starben 2008 auf unseren Straßen. Es sind 35 zu viel, aber immerhin stellt diese Zahl eine deutliche Verbesserung gegenüber den Vorjahren dar. 2001 mussten noch 69 Personen im Straßenverkehr ihr Leben lassen. Wir sprachen mit Paul Hammelmann Präsident der „Sécurité routière“, über die Problematik, vor allem über die menschlichen Aspekte hinter den Zahlen...

Tageblatt: Die „Sécurité routière“ dürfte ja eigentlich mit der rezenten Entwicklung zufrieden sein?
Paul Hammelmann: „Die Situation ist viel besser geworden, es ist ein enormer Fortschritt, dass zwischen 2001 und 2008 die Zahl der Todesopfer im Straßenverkehr halbiert werden konnte. Dies ist vor allem das Verdienst einer kollektiven Anstrengung aller Verkehrsteilnehmer. Sicherheit ist endlich zu einem Thema geworden.“
„T“: Das liegt wohl aber auch an einer verstärkten Präsenz der Polizei auf den Straßen, oder?
P.H.: „Die verstärkten Polizeikontrollen haben einen positiven Impakt gehabt. Natürlich findet niemand diese Kontrollen symphatisch, doch der Mensch fürchtet sich scheinbar mehr vor der Uniform als vor einem Unfall. Erfahrungen im Ausland haben gezeigt, dass durch mehr Kontrollen, das Verhalten der Verkehrsteilnehmer kurzfristig geändert werden kann.“

„T“: Es gab im vergangenen Jahr zwar wesentlich weniger Tote, die Zahl der Unfälle jedoch ist sogar leicht angestiegen. Ein Widerspruch?
P.H.: „Das liegt daran, dass die Autos sicherer geworden sind. Allerdings nur für die Insassen. Es fällt auf, dass 2008 mehr Fußgänger und Motorradfahrer unter den Opfern sind.
Ich erinnere nur an einen rezenten Unfall in Hobscheid, wo ein 15-Jähriger von einem Auto erfasst und vor einen Bus geschleudert wurde.
Und an den Unfall vom vorletzten Sonntag, wo ein Vater mit seinen Kindern in Hollerich auf dem Zebrastreifen von einem Wagen erfasst wurde und ein vierjähriges Kind auf der Stelle tot war!“

Dramatische Ereignisse

„T“: Das sind dramatische Ereignisse, die leider in ihren gesamten Ausmaßen für Außenstehende schwer zu erfassen sind.
P.H.: „Ja, ‚Unfälle’ dieser Art werden in der Presse oft mit ‚aus ungeklärter Ursache’ abgefertigt. Für die betroffene Familie bedeutet dieser sogenannte ‚fait divers‘ die endgültige Abschiednahme von ihren Kindern, die Zerstörung der Familienzelle, ein erschütternder, schrecklicher, endgültiger Einschnitt in ihrem Leben! Die ‚ungeklärte Ursache‘ besteht meist aus ‚überhöhter Geschwindigkeit‘, auch wenn ich die aus juristischen Gründen notwendige Formulierung nachvollziehen kann!“
„T“: In den Medien finden solch schwere Unfälle zwar ihren Platz, aber fast immer bleibt es bei einer oberflächlichen Berichterstattung, bei der der Aspekt Mensch zu kurz kommt.
P.H.: „Das stimmt! Gar nicht nachvollziehen kann ich aber die Radiomitteilung ‚eng gutt Noriicht, et hënnert näischt méi‘, wenn diese ‚Behinderung‘ des Verkehrs aus einem schwerverletzten 15-jährigen Kind besteht, wie das beim erwähnten Unfall in Hobscheid der Fall war. Aber so funktioniert nun mal unsere Gesellschaft: Effizienz geht leider vor Menschlichkeit!“

„T“: Im Maßnahmenkatalog 2009-2014 setzt sich die „Sécurité routière“ auch für ein Aufstellen von Kameras an neuralgischen Punkten ein. Ist das nicht ein Eingreifen in die Privatsphäre der Verkehrsteilnehmer?
P.H.: „Es geht uns bloß darum, die Raser zu überführen. Das einzige, was die Kamera erfassen soll, ist ein Stück Blech, ein Nummernschild. Wenn es um einen Kreditkartendiebstahl geht, dann werden sogar Fotos des mutmaßlichen Täters – der immer noch unschuldig ist, solange er nicht verurteilt wurde – veröffentlicht. Wie steht es hier mit der Privatsphäre? Und um wie vieles gefährlicher ist ein Raser?“
„T“: Sie plädieren auch für die Aufnahme eines neuen Vergehens in den „Code de la route“. Wie soll das genau aussehen?P.H.: „Wer bewusst das Risiko auf sich nimmt, das Leben anderer durch seine Fahrweise – Alkohol, Raserei, grundsätzliche Missachtung der Verbots- und Vorfahrtsschilder – zu gefährden, sollte strenger bestraft werden. Überhaupt muss man die Zweckmäßigkeit der Bestrafungsformen in Frage stellen. Das Beschlagnahmen des geliebten fahrbaren Untersatzes bei Wiederholungstätern schmerzt stärker als eine Geldstrafe!“

Noch ein weiter Weg

„T“: Es bleibt demnach auch weiterhin viel zu tun in SachenVerkehrssicherheit?P.H.: „Es wäre falsch, sich auf den geernteten Lorbeeren auszuruhen. In der Tat liegt noch ein gutes Stück Weg vor uns, bis wir im Straßenverkehr so weit sind, dass alle gegenüber allen den nötigen Respekt aufbringen.
Es würde – beispielsweise wenn man ein Geschäft betritt – niemandem einfallen, dem Nachfolgenden die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Im Straßenverkehr ist ein solches Vorgehen jedoch bedauerlicherweise gang und gäbe.“