Donnerstag6. November 2025

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Auf der Suche nach dem Motiv

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Vor der Kriminalkammer begann gestern die Verhandlung gegen den 36 Jahre alten Chinesen Wenguo Du, der am 14. Juli 2006 einen Brandanschlag auf einen Passagierzug der CFL verübt hatte. Der Attentäter, das ging aus den ersten Zeugenaussagen hervor, hatte vor seiner Tat seiner Frau einen merkwürdigen Abschiedsbrief hinterlassen .../François Besch

LUXEMBURG – Wollte Wenguo, als er im Doppelstockwagen Feuer legte, sich selbst umbringen und dabei noch andere mit in den Tod reißen?
Oder ging es dem 36-Jährigen lediglich darum, eine Straftat zu begehen, um ins Gefängnis zu kommen, wobei er billigend in Kauf nahm, dass Menschen zu Schaden kommen könnten?
Auf diese und andere Fragen versucht die Kriminalkammer unter dem Vorsitz von Prosper Klein seit gestern Antworten zu finden.
Als erster trat gestern Dr. Paul Rauchs in den Zeugenstand.

„Er wusste,was er tat“

Der Psychiater und Psychoanalytiker, der Wenguo in Schrassig untersucht hat, sprach von einer depressiven, paranoiden Persönlichkeit. Allerdings habe der Angeklagte genau gewusst, was er tat, als er den Brandanschlag verübte.
Geboren wurde der Chinese irgendwann zwischen 1969 und 1972. Insgesamt liegen drei verschiedene Geburtsdaten vor. Nach seiner Schulzeit in der Provinz Sezuan studierte das elfte und letzte Kind einer armen Landfamilie in der Mongolei, wo er zum Ingenieur im Umweltbereich promovierte. Dr. Rauchs bescheinigte Wenguo eine Intelligenz, die weit über dem Durchschnitt liege.

Hochofenabbauauf Esch-Belval

Nach Luxemburg kam der Angeklagte in den späten 90er Jahren, wo er beim Abbau der Hochofenanlage auf Esch-Belval beschäftigt war. Schon damals sei er stark depressiv gewesen. Er sei in China Vater einer Tochter gewesen, doch die Mutter habe sich umgebracht. Wenguo kehrte nicht nach China zurück, als er auf Esch-Belval fertig war, sondern zog zunächst nach Brüssel, um erst 2004 wieder nach Luxemburg zu kommen. Er eröffnete ein Restaurant in Rodange.
Doch dieses musste schon bald schließen und der glücklose Unternehmer hatte hohe Schulden.
Er kehrte für eine kurze Zeit nach China zurück, heiratete dort eine 1980 geborene Frau und zog mit dieser wieder nach Luxemburg. In Schifflingen bezogen beide eine Wohnung. Doch Wenguo sollte, im Gegensatz zu seiner Frau, keine Arbeitserlaubnis erhalten. Er habe sich dadurch sehr gedemütigt gefühlt. Und wohl dann irgendwann die fatale Entscheidung gefasst. Unklar ist, ob sich Wenguo umbringen wollte, oder ob es ihm nur darum ging, ins Gefängnis zu kommen, was für ihn, so der Psychiater, eine Art „virtuelle Freiheit“ dargestellt habe. Immerhin hatte Wenguo seiner Frau einen Abschiedsbrief hinterlassen, in welchem er andeutete, dass er „gehen und einige mitnehmen“ werde.

AusreichenderBrandschutz?

Anschließend war es ein Experte in Sachen Brandschutz, der auf die Tat zu sprechen kam. Innerhalb kürzester Zeit hätte im Wagen, dort wo Wenguo die mit Benzin getränkte Zeitung angezündet hatte, die Temperatur 700 Grad erreicht, 20 Sekunden später sei der ganze Wagen voller tödlicher Gase gewesen.
Unklar war auch gestern noch, ob der Brandschutz in den Wagen ausreicht oder nicht. Auf jeden Fall ist es so, dass sich die Fenster im Notfall nur schwer einschlagen lassen. Man muss schon mit dem entsprechenden Hammer genau auf eine eingezeichnete Stelle, so groß wie ein 2-Euro-Stück, schlagen, um eine rapide Wirkung zu erzielen. Doch infolge der Rauchentwicklung war diese Stelle kaum erkennbar.

„C’est moi quiai mis le feu“

Als dritter Zeuge trat gestern der CFL-Arbeiter auf, der Wenguo bis zum Eintreffen der Polizei festhielt. Er sei als einer der ersten vor Ort gewesen und habe gesehen, dass der Angeklagte als erster aus dem Wagen gestiegen war. Zunächst habe Wenguo angegeben, man hätte ein Attentat auf ihn ausgeübt. Dann bemerkte der Zeuge jedoch, dass er ein Feuerzeug wegwarf. Darauf angesprochen habe Wenguo erklärt: „C’est moi qui ai mis le feu.“
Heute wird der Prozess fortgesetzt.

 „Nichts ist mehr, wie es war“

Unter den Anwesenden im Saal 1.10 des „Tribunal d’arrondissement“ waren gestern ebenfalls einige Opfer des Brandanschlages, so auch eine junge Französin, die damals eine schwere Rauchvergiftung erlitten hatte, und deren Lebensgefährte.
Dieser erklärte dem Tageblatt gegenüber, dass seit dem schrecklichen Tag im Juli 2006 nichts mehr sei, wie es einmal war.
„Meine Freundin, die in der Hauptstadt arbeitet, nahm immer diesen Zug und fuhr damit bis nach Esch. Wir wohnen in Rédange, gleich hinter der französischen Grenze. Ich holte sie immer am Bahnhof ab.“
An jenem Tag sei sie aber nicht am Bahnhof gewesen und mehr als eine Stunde lang habe es gedauert, bis dass man ihm von dem Zwischenfall erzählt habe. Zuvor habe es immer geheißen, der Zug habe „Verspätung“. Am Ort des Geschehens habe man ihm nicht sagen können, wo sich seine Freundin befände. Erst spät am Abend habe er erfahren, dass sie in Esch im Krankenhaus liege.

Nie wiederZug gefahren

Eine Woche lang wurde die Frau, die eine schwere Rauchvergiftung erlitten hatte, dort behandelt. Doch viel schlimmer seien die psychischen Folgen: „Zwei Jahre lang war meine Freundin nun in Behandlung, aber immer noch schreckt sie beim geringsten Lärm auf. Der Zwischenfall hat nicht nur ihr Leben verändert, sondern auch unser gemeinsames als Paar. Nichts ist mehr, wie es war.“
In einen Zug ist die Frau seitdem übrigens nicht mehr gestiegen …