7. Dezember 2025 - 18.02 Uhr
DeutschlandUmstrittenes Rentengesetz beschlossen
Pascal Reddig darf als vorletzter Redner ran. Drei Minuten hat er von der Unionsspitze bekommen. Intern wird das als Zugeständnis gesehen, dass der Vorsitzende der Jungen Gruppe, der Chef der 18 Rentenrebellen in der Bundestagsfraktion, bei der Debatte ums umstrittene Rentenpaket am Freitagmittag sprechen darf. Reddig und der Chef der Jungen Union, Johannes Winkel, sind die Anführer der Widerständler. Winkel sitzt in der vierten Reihe des Plenarsaals neben Reddig. Als der am Podium loslegt, rutscht Winkel nervös auf seinem Stuhl hin und her.
Auch der Kanzler lauscht. Für Friedrich Merz (CDU), seinen Vize Lars Klingbeil (SPD) und Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) gibt es offenkundig aber zunächst Wichtigeres zu tun oder zu besprechen, anstatt der Debatte zuzuhören. Sie fehlen anfänglich. „Hauptsache, alle sind zur Abstimmung da“, simst ein wichtiger Unionspolitiker. Erst schleicht sich Spahn in den Plenarsaal, nach gut 45 Minuten folgt Klingbeil, nach einer Stunde der Kanzler. Angesichts der Bedeutung des Tages für die Koalition sorgt das für Unruhe.
Der Applaus ist demonstrativ laut aus der Union, als Reddig zum Rednerpult geht. Viele Abgeordnete haben große Sympathien für die Anliegen des Nachwuchses, halten sich aber dann doch an die vorgegebene Linie der Fraktionsführung. Der 30-Jährige ruft: „Der demografische Wandel wartet nicht auf die nächste Wahl.“ Mit dem Paket setze man eine Praxis der Vergangenheit fort: „Wir beschließen erst verbindliche Kosten und verlassen uns dann auf unverbindliche Reformversprechen.“ Das sitzt.
Mangelnde Reformfähigkeit gefährde die Handlungsfähigkeit des Landes, legt der junge CDU-Mann nach. „Das kann und wird nicht länger gut gehen.“ Es gibt viel Applaus aus der Union. Das Vorhaben widerspreche zudem „seinen fundamentalen Überzeugungen“, sagt Reddig. Deswegen werde er nicht zustimmen. „Unser Land sehnt sich nach einer ehrlichen, glaubwürdigen Reformagenda“, betont er dann noch. Man kann das auch als Attacke gegen den Kanzler verstehen, der im Wahlkampf große Reformen versprochen hatte. Reddig schließt mit dem Satz: „Auch nach der heutigen Abstimmung wird der Einsatz für Reformen, für Generationengerechtigkeit und für Wachstum weitergehen müssen.“ Vielen in der Union scheint er damit aus dem Herzen zu sprechen, es wird kräftig geklatscht. Zahlreiche Abgeordnete geben dann auch persönliche Erklärungen zu Protokoll. Winkel schüttelt ihm die Hand, als Reddig wieder auf seinem Platz angekommen ist.
Merz wollte Kanzlermehrheit bei Abstimmung
Es ist aber nicht nur die Rede des jungen Rebellen, die an diesem Schicksalstag für die schwarz-rote Koalition besondere Beachtung findet. Es ist dieser eine Satz des Kanzlers, der am Vorabend der Debatte und der Abstimmung über das Rentenpaket die Latte für die Koalition noch einmal richtig hochgelegt hat – und der damit für erhebliche Unruhe gesorgt hat. Die Koalition verfüge über 328 Stimmen „und ich würde mir ein Ergebnis wünschen zwischen 316 und 328“, so Friedrich Merz. Er will die Kanzlermehrheit, die absolute Mehrheit aller Abgeordneten im Bundestag erzielen. Eigentlich hätten 284 Stimmen für die eigene Mehrheit der Koalition bei der Rentenabstimmung gereicht, weil die Linke sich enthält und nur eine einfache Mehrheit notwendig ist – Enthaltungen werden dann nicht mitgezählt. Doch nun das.
Warum macht er das? Das ist die Frage, die sich viele im Bundestag stellen. Der Kanzler geht ins Risiko, nachdem die Fraktionsführung der Union in den vergangenen Tagen potenzielle Abweichler in den sogenannten Beichtstuhlgesprächen bearbeitet hat.
Eine aus dem Fraktionsvorstand, die Merz gut kennt, erklärt vor der Debatte das Vorgehen des Kanzlers so: „Er will seine Durchsetzungskraft, seine Autorität zeigen.“ Und das gleich in drei Richtungen: „In Richtung SPD, nach Düsseldorf und, nicht zu vergessen, nach München.“ Dort sitzen zwei, denen Ambitionen nachgesagt werden, sollte Merz als Kanzler scheitern – die Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (CDU) und Markus Söder (CSU).
Sieben Abweichler in der Unionsfraktion
Andere betonen, mit seiner Ansage habe Merz seinen Fraktionschef Jens Spahn zusätzlich unter Druck gesetzt, weil er nun mehr als nur die einfache Mehrheit liefern müsse. Das Unverständnis darüber ist groß. Ein Vorstandsmitglied erklärt: „Jens hat sich in den letzten Tagen zu 100 Prozent eingesetzt und seine Loyalität bei der Beschaffung der Mehrheit gezeigt.“
Um 13.21 Uhr ist dann klar: Die Kanzlermehrheit steht. 318 Stimmen hat das Rentenpaket bekommen, alle aus dem schwarz-roten Lager. Es gibt sieben Abweichler in der Union, zwei haben sich enthalten, einer hat seine Stimme nicht abgegeben. „Ich denke, Sie haben die Steine, die von manchem Herzchen geplumpst sind, gehört“, sagt Vizepräsident Bodo Ramelow treffend, nachdem er das Ergebnis verkündet hat.
Auch der Kanzler wirkt erleichtert bei einer eilig anberaumten Pressebegegnung. „Das ist nicht das Ende unserer Rentenpolitik, sondern erst der Anfang“, verspricht er. Nun muss er auch weiter liefern.
De Maart
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