Samstag1. November 2025

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StandpunktRettung für die Generation Corona

Standpunkt / Rettung für die Generation Corona
Schulkinder suchen in den bolivianischen Anden nach einem Handysignal, um ihre Aufgaben herunterladen: Schätzungsweise 30 Millionen Kinder werden nach der Corona-Krise nicht wieder zur Schule gehen können Foto: AFP/Carlos Mamani

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Zu allem Überfluss hat uns die Covid-19-Pandemie auch noch einen globalen Bildungsnotstand beschert. Da über eine Milliarde Kinder aufgrund von Social Distancing und Lockdowns nicht in die Schule gehen, droht die Krise eine „Generation Corona“ zu hinterlassen, deren Zukunftsaussichten irreparabel geschädigt wurden.

Einer aktuellen Studie zufolge zeigten pakistanische Kinder, die 2005 nach einem Erdbeben nur drei Monate lang nicht in die Schule gehen konnten, vier Jahre später Anzeichen dafür, dass es ihnen an 1,5 Jahren Schulbildung mangelt. Schlimmer noch: Die Krise vertieft bereits bestehende Ungleichheiten. Im Gegensatz zu den Kindern, die das Glück haben, ihre Ausbildung online und an alternativen Orten fortsetzen zu können, sind die Ärmsten der Welt vom Lernen und von kostenlosen Schulspeisungen völlig ausgeschlossen. Ohne diese wichtige Nahrungsquelle sind 300 Millionen Jungen und Mädchen von Hunger bedroht.

Ein weiterer unmittelbarer Grund zur Sorge sind die schätzungsweise 30 Millionen Kinder, die möglicherweise nie wieder zur Schule gehen werden. Sie gehören zu den am stärksten benachteiligten Kindern der Welt, für die Bildung oft der einzige Weg aus der Armut ist. Für heranwachsende Mädchen in dieser Kohorte bietet die Schule den besten Schutz vor einer Zwangsheirat und für viele arme Kinder ist sie das Einzige, was sie von ausbeuterischer und gefährlicher Arbeit trennt.

Diejenigen, die in der Lage sind, zu verhindern, dass Millionen junger Menschen eine faire Chance im Leben einbüßen, dürfen nicht tatenlos zusehen

Da Bildung ein entscheidender Faktor in fast allen Bereichen der menschlichen Entwicklung ist – von den Überlebenschancen der Kinder und der Gesundheit der Mütter über die Gleichstellung der Geschlechter bis hin zur Schaffung von Arbeitsplätzen und einem integrativen Wirtschaftswachstum –, hat die heutige Krise Auswirkungen auf das Schicksal der gesamten Agenda für nachhaltige Entwicklung bis 2030. Der jüngsten Schätzung der Weltbank zufolge könnten die Bildungsverluste, die der Generation Corona jetzt zugefügt werden, über das gesamte Erwerbsleben zu einem Einkommensverlust von insgesamt zehn Billionen Dollar führen.

Diejenigen, die in der Lage sind, zu verhindern, dass Millionen junger Menschen eine faire Chance im Leben einbüßen, dürfen nicht tatenlos zusehen. Es ist an der Zeit, die weltweiten Anstrengungen zu verdoppeln, um sicherzustellen, dass alle Kinder eine qualitativ hochwertige Grundschulbildung erhalten.

Schon vor der Pandemie gab es 260 Millionen Kinder, die keine Schule besuchen, darunter viele der 13 Millionen Flüchtlingskinder und 40 Millionen intern vertriebene Kinder. Darüber hinaus leidet die Hälfte aller Kinder in den Entwicklungsländern unter „Learning Poverty“, das heißt selbst im Alter von elf Jahren weisen sie kaum bis gar keine grundlegenden Lese-, Schreib- oder Rechenkenntnisse auf. Rund 800 Millionen junge Menschen haben die Schule ohne jede Arbeitsmarktqualifikation verlassen.

Um überhaupt eine Chance zu haben, diese düsteren Trends umzukehren, müssen Millionen von Kindern, die bereits ein halbes Jahr ihrer Schulzeit verloren haben, Unterstützung erhalten, damit sie ihren Rückstand aufholen können. Es werden dringend Mittel benötigt, damit die Schulbildung junger Menschen wieder aufgenommen und „besser wieder aufgebaut“ werden kann durch Investitionen in Online- und personalisiertes Lernen, in besser ausgebildete Lehrer, an Bedingungen geknüpfte Geldtransfers für arme Familien, sicherere Schulen und durch andere Ausgaben.

Die drei Probleme der Bildungsfinanzierung

Um darauf zu drängen, dass mehr Mittel für diese Bereiche bereitgestellt werden, ist kürzlich eine Koalition globaler Organisationen zusammengekommen, um die Initiative „Save our Future“ ins Leben zu rufen. Diese Initiative ist eine Antwort auf die Tatsache, dass die Bildungsfinanzierung vor einem dreifachen Problem steht, während zusätzliche Mittel heute mehr denn je benötigt werden.

Erstens wird die durch die Pandemie verursachte Rezession zu weniger Einnahmen führen, um öffentliche Dienstleistungen, nicht zuletzt Bildung, zu finanzieren. Zweitens werden die Regierungen, wenn sie entscheiden, wie sie die knappen Mittel zuteilen, unweigerlich die Ausgaben auf die öffentliche Gesundheit und die wirtschaftliche Erholung konzentrieren und Bildung wieder einmal vernachlässigen. Und drittens wird der zunehmende finanzielle Druck auf die Regierungen der Entwicklungsländer perverserweise zu einer Reduzierung der internationalen Entwicklungshilfe für Bildung führen, die bei der Zuweisung bilateraler und multilateraler Hilfe ohnehin schon gegenüber anderen Prioritäten auf der Strecke geblieben ist.

Tatsächlich könnten dieselben multilateralen Geber, die bereits zu wenig in Bildung investieren, jetzt sogar noch mehr Mittel von der Schulbildung abziehen. Daher schätzt die Weltbank, dass die Gesamtausgaben für Bildung in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen im nächsten Jahr um 100 bis 150 Milliarden Dollar unter den geplanten Betrag fallen könnten.

Diese Finanzierungskrise wird sich nicht von selbst lösen. Es ist daher zwingend notwendig, dass die G20, der Internationale Währungsfonds, die Weltbank, die regionalen Entwicklungsbanken und alle Länder das Ausmaß der Krise erkennen und eingreifen, um Kindern, die nicht zur Schule gehen können, zu helfen, ihren Rückstand aufzuholen.

Ohne Schuldenerlass wird es kaum gehen

Erstens sollte sich jedes Land verpflichten, die Bildungsausgaben zu schützen und die Bedürfnisse der am stärksten benachteiligten Kinder hervorzuheben, wo immer dies möglich ist, auch durch bedingte und bedingungslose Geldtransfers zur Förderung des Schulbesuchs.

Zweitens muss die internationale Gemeinschaft die Hilfe für Bildung erhöhen, insbesondere für die Schwächsten, darunter die Armen, Mädchen, Kinder in Konfliktgebieten und Behinderte. Der schnellste Weg, Ressourcen für Bildung freizusetzen, ist ein Schuldenerlass. Angesichts der Tatsache, dass die 76 ärmsten Länder der Welt auf dem besten Weg sind, sich in den nächsten zwei Jahren Schuldendienstkosten in Höhe von 86 Milliarden US-Dollar aufzuladen, ist ein Schuldenerlass dringend erforderlich, damit dieses Geld für Bildung und andere prioritäre Investitionen für Kinder umgewidmet werden kann.

Drittens sollte der IWF 1,2 Billionen Dollar an Sonderziehungsrechten (sein globales Reserveguthaben) ausgeben und seine Mitglieder sollten sich bereit erklären, diese Mittel den Ländern zukommen zu lassen, die sie am meisten benötigen. Die Weltbank ihrerseits sollte durch einen zusätzlichen Etat der Internationalen Entwicklungsorganisation (International Development Association) mehr Unterstützung für einkommensschwache Länder bereitstellen. Und alle fortgeschrittenen Volkswirtschaften sollten dem Beispiel Großbritanniens und der Niederlande folgen, die zusammen 600 Millionen Dollar für die neue Internationale Finanzfazilität für Bildung zugesagt haben, die solche Spenden zur Ausweitung von Zuschüssen und Garantien in viel größerem Umfang nutzen wird.

All diese neuen Finanzierungsquellen sollten zusätzlich zu den Mitteln für die Wiederaufstockung der „Global Partnership for Education“ (Globale Partnerschaft für Bildung) und „Education Cannot Wait“ (Bildung kann nicht warten) in den nächsten zwei Jahren bereitgestellt werden. Und natürlich müssen alle Regierungen weiterhin die Unesco, Unicef und andere Organisationen der Vereinten Nationen unterstützen, die daran arbeiten, Bildung für alle Kinder zu ermöglichen.

Die Herausforderungen der Covid-19-Pandemie sind zweifellos von großer Tragweite. Aber sie sind auch eine Gelegenheit, unsere Anstrengungen zu verdoppeln, um das vierte Ziel für nachhaltige Entwicklung zu erreichen: hochwertige Bildung für alle. Die Kinder der Generation Corona verdienen nichts Geringeres als die Chance, ihr Potenzial voll entfalten zu können.

Aus dem Englischen von Sandra Pontow.

Ban Ki-moon, stellvertretender Vorsitzender des unabhängigen Zusammenschlusses von ehemaligen Staatsmännern und -frauen The Elders, ist ehemaliger Generalsekretär der Vereinten Nationen und früherer südkoreanischer Außenminister. Mary Robinson, ehemalige Präsidentin Irlands, ist Vorsitzende von The Elders. Graça Machel, Gründerin des Graça Machel Trust, ist stellvertretende Vorsitzende von The Elders. Helen Clark, frühere Premierministerin von Neuseeland, ist ehemalige Administratorin des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen. Gordon Brown, ehemaliger Premierminister Großbritanniens, ist Sondergesandter der Vereinten Nationen für Globale Bildung und Vorsitzender der Internationalen Kommission zur Finanzierung globaler Bildungschancen.

Copyright: Project Syndicate, 2020.
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