EU-ParlamentEP-Abgeordnete legen Vorschläge für EU-Vertragsänderungen vor

EU-Parlament / EP-Abgeordnete legen Vorschläge für EU-Vertragsänderungen vor
Das Europäische Parlament fordert Vertragsänderungen und für sich mehr Kompetenzen Foto: AFP/Frederick Florin

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Die EU-Parlamentarier haben diese Woche über ihre Vorschläge für eine Änderung der EU-Verträge abgestimmt. In einer Resolution fordert das Europäische Parlament (EP), den Europäischen Rat, also die EU-Staats- und Regierungschefs, dazu auf, einen Konvent einzuberufen.

Eigentlich ist die letzte Vertragsänderung noch nicht so lange her. Vor rund 14 Jahren traten am 1. Dezember 2009 die derzeit geltenden Verträge von Lissabon in Kraft. Doch nicht nur die EU-Parlamentarier sind der Ansicht, dass die seither durchlaufenen Krisen und Herausforderungen die EU und ihre Institutionen immer wieder an ihre Grenzen gebracht haben. Zudem haben die 27 mittlerweile acht beitrittswillige Staaten auf ihrer Liste. Das bedeutet, dass in den kommenden Jahren die Union theoretisch auf 35 Staaten anwachsen könnte. Das würde die EU unter anderem in ihrem Entscheidungsprozess vor erhebliche Schwierigkeiten stellen. Es bestehen daher auch mehrere Mitgliedstaaten, allen voran Frankreich mit seinem Präsidenten Emmanuel Macron, auf einer Reform der Verträge, bevor es zu einer Erweiterung der EU kommt. Erst vertiefen, dann erweitern, so die Devise.

Nicht alles, was die EU-Parlamentarier nun an Vorschlägen vorgelegt haben, ist neu. Manches ist zum Teil bereits im Lissabonner Vertrag angelegt und könnte über die sogenannten Passerelle-Klauseln per Einstimmigkeitsbeschluss durch die EU-Staaten bereits jetzt beschlossen werden. Anderes bedarf jedoch einer Neuaufnahme in die Verträge.

Das auch während der Parlamentsdebatte am Dienstag am meisten hervorgehobene Thema war die Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips, vor allem in der Außenpolitik. Nur noch in wenigen Bereichen, wie der Zustimmung zu neuen EU-Mitgliedern oder in Steuerfragen, sollte es noch Einstimmigkeit geben, sagte der liberale Co-Berichterstatter Guy Verhofstadt. „Zu 37 werden wir nicht so funktionieren können wie zu 27“, meinte der Belgier. Diese Erkenntnis habe sich auch bei den EU-Staaten eingestellt.

Der deutsche Grünen-Abgeordnete Daniel Freund hingegen verwies auf den ungarischen Regierungschef Viktor Orban, der mittels des Einstimmigkeitsprinzips rasche Hilfen an die Ukraine verschleppt oder die EU in Haushalts- und Finanzfragen zu erpressen versucht. Vor allem Abgeordnete aus dem nationalistischen und rechtspopulistischen Lager wetterten gegen die Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips, da sie darin eine weitere Beschneidung ihrer „nationalen Souveränität“ befürchten. Der polnische Abgeordnete Jacek Saryusz-Wolski von der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) gab hier den Ton an und sprach angesichts der Abschaffung der Veto-Möglichkeiten von einem „verfassungsrechtlichen Putsch“. „Europa wird wieder entführt“, meinte der Pole in Bezug auf die griechische Mythologie und kritisierte eine seiner Ansicht nach „massive Übertragung von Kompetenzen“ an die EU.

Knappe Mehrheit für die Vorschläge

Solches haben die fünf Berichterstatter, zu denen Jacek Saryusz-Wolski einst gehörte, bevor er sich aus Protest über das, was im Bericht stehen sollte, zurückzog, auch vorgesehen. So sollte die EU etwa „die ausschließliche Zuständigkeit für Umwelt und biologische Vielfalt sowie für Verhandlungen auf dem Gebiet des Klimawandels“ erhalten. Sie schlagen zudem vor, in bestimmten Bereichen wie dem Gesundheitsschutz, wenn es sich um grenzübergreifende Gesundheitsgefahren (siehe Corona) handelt, dem Katastrophenschutz, der Industrie oder länderübergreifenden Fragen der Bildung gemeinsame Kompetenzen zu schaffen. In der Außenpolitik, der Verteidigung sowie im Energiebereich sollten die geteilten Zuständigkeiten weiterentwickelt werden.

Doch es sind wohl auch andere Themen, die dazu geführt haben, dass die Zustimmung zur Resolution mit 291 Ja-, bei 274 Nein-Stimmen und 44 Enthaltungen ziemlich knapp ausgefallen ist. Der Co-Berichterstatter Sven Simon meinte, dass seine EVP-Fraktionskollegen, die in ihrer Mehrheit dagegen abstimmten, vermutlich von „zu vielen Änderungen“ abgeschreckt wurden oder „bestimmte Themen“, etwa zu sexuellen Rechten, nicht unterstützten. Dass vor allem die EKR sowie die rechtspopulistische bis rechtsextreme Fraktion Identität und Demokratie (ID) geschlossen gegen die Resolution gestimmt haben, wundert nicht. Die Debatte zeigte, dass die beiden Fraktionen die EU eher zurückentwickeln, wenn nicht gar abwickeln wollen. An einer ernsthaften Diskussion darüber, wie die EU besser funktionieren könnte, zeigten sie kaum Interesse.

Dabei zeigte sich selbst der Vertreter der Linken-Fraktion, Helmut Scholz, (vier der fünf Berichterstatter waren Deutsche) sehr überzeugt von der Notwendigkeit von Vertragsänderungen und der Qualität der vorgelegten Vorschläge. „Die Realität drängt uns zu Vertragsänderungen“, meinte der Linken-Politiker, der ebenfalls hervorhob, dass viele Vorschläge aus dem Bürgerdialog im Rahmen der Konferenz über die Zukunft der Union berücksichtigt worden seien.

EU-Kommission auf 15 Mitglieder reduzieren

Manche Vorschläge der EP-Abgeordneten dürften allerdings auch bei den Mitgliedstaaten auf wenig Zuneigung stoßen. So verlangen die Parlamentarier für sich ein echtes Initiativrecht und dass das EP „zum
Mitgesetzgeber bei der Annahme des mehrjährigen Finanzrahmens wird“. Das ist bislang eine gut gehütete Domäne der Mitgliedstaaten. Diese wiederum müssten, was ihre gesetzgeberische Arbeit im Rat der EU anbelangt, transparenter werden und ihre Standpunkte im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens verpflichtend veröffentlichen.

Mehr noch dürften die Vorstellungen der EP-Abgeordneten zur Zusammensetzung der EU-Kommission für Diskussionen sorgen. So soll der Kommissionsvorsitz nicht mehr von den EU-Staats- und Regierungschefs, sondern von den EU-Parlamentariern bestimmt werden. Erstere sollten nur noch ihre Zustimmung geben, womit es also zu einer Umkehr der Rollen kommen soll. Die Zahl der Kommissionsmitglieder sollte zudem auf 15 reduziert werden. Die EU müsse handlungsfähiger werden, mit 35 Kommissaren sei dies schwierig, gab die S&D-Berichterstatterin Gabriele Bischoff zu verstehen. Die Kommission sollte künftig im Rotationsprinzip besetzt werden, wobei die Kommissionspräsidentin oder der Kommissionspräsident das Kollegium nach politischen Erwägungen zusammensetzen könnte. Eine Reduzierung der Kommissionsmitglieder ist bereits im Lissabon-Vertrag vorgesehen, wird aber aufgrund einer Ablehnung durch die Iren in einem Referendum zum Vertrag nicht angewendet. 

Der spanische Staatssekretär für europäische Angelegenheiten und EU-Ratsvorsitzende Pascual Navarro Rios versprach, die Resolution bereits am 12. Dezember dem Rat zur Diskussion vorzulegen. Ob jedoch die 27 EU-Chefs bei ihrem Gipfeltreffen im Dezember bereits einen Konvent einberufen, wird sich zeigen müssen.