Gericht stärkt Wanderarbeiter

Gericht stärkt Wanderarbeiter
(Z1017 Bernd W?stneck)

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In der immerwährenden Auseinandersetzung um die Sozialgebühren in den europäischen Staaten hat der Europäische Gerichtshof die Situation der Entsendearbeiter gestärkt.

Was ist eigentlich, wenn ein Schweizer Hotelschiff-Kapitän auf einem deutschen Schiff durch die Schweiz, Deutschland, Frankreich und die Niederlande fährt. Wo ist er versichert, wenn er krank ist? Die Europäische Union (EU), mit der Schweiz verbunden durch ein in Luxemburg 1999 unterzeichnetes Abkommen über Freizügigkeit, hat hier klare Regeln in einer Direktive erlassen, die alle EU Länder durch ihre Unterschrift bindet. Ein Entsendeland sichert die betroffenen Mitarbeiter mit einem Formular E 101 ab. Damit sichert es zu, dass der betroffene Mitarbeiter dem Sozialrecht des Staates unterworfen ist, in dem der Arbeitsvertrag abgeschlossen wurde.

Selbst wenn ein Mitgliedsstaat der Europäischen Union meint, dass ein Formular E 101 zu Unrecht ausgestellt ist, muss er es anerkennen, hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 27. April 2017 (Rechtssache C-620/15) entschieden. Das hat zweierlei Wirkung: Das Formular an sich ist nicht mehr angreifbar. Wanderarbeiter oder Entsendearbeiter, die mit diesem Formular aus ihrem Land in ein anderes Land der Europäischen Union zur Arbeit entsendet werden, sind auf jeden Fall gesundheitlich und auch gegenüber den Behörden des Landes abgesichert.

Worum geht es bei dem Urteil?

Die deutsche Arosa GmbH betreibt zwei Hotelschiffe auf der Rhone und auf der Saone in Frankreich. Die französische Sozialversicherung war nach einer Prüfung der Meinung, dass es sich um feste Stationierungen handelt und daher Sozialabgaben in Frankreich zu zahlen seien. Das deutsche Unternehmen unterhält eine Filiale in der Schweiz, über die alle Personalangelegenheiten geregelt werden. Arosa legte in der Folge den Gerichten in Frankreich alle Formulare E 101 für alle Mitarbeiter der Jahre 2005, 2006 und 2007 vor. Die französische Justiz beurteilte den Standort der Schiffe, nicht aber die europäische Sozialgesetzgebung und die Situaion der Mitarbeiter. Arosa ging durch die juristischen Instanzen.

Der Kassationsgerichtshof, als Berufungsinstanz, hatte den Fall dem Europäischen Gerichtshof mit der Bitte einer Vorabentscheidung vorgelegt. Die Entscheidung: Selbst wenn ein Formular E 101 von einem Staat angegriffen wird, bleibt es gültig. Der Staat habe dann die entsprechenden internationalen Verwaltungsschritte vorzunehmen oder vor dem Europäischen Gerichtshof zu klagen. Der Gerichtshof wirft Frankreich vor, die von ihm kodifizierten Verfahren verletzt zu haben.

Sozialdumping spielt keine Rolle

Das Urteil bindet nicht nur die französischen Behörden, sondern auch die Behörden aller EU-Länder. Der Kassationsgerichtshof ist durch die Entscheidung gebunden. Die Arosa GmbH wird die über zwei Millionen Euro, die die französischen Sozialkassen einforderten, nicht bezahlen müssen.

Eine überraschende Folge des Urteils kündigte die irische Low Cost Gesellschaft Ryanair an. Die Fluggesellschaft war von französischen Gerichten verurteilt worden, nach eigenen Angaben zehn Millionen Euro Sozialabgaben in Frankreich zu zahlen. Französiche Gerichte hatten, wie im Falle Arosa, den Standort der Flugzeuge beurteilt, nicht aber die Arbeitsverträge der Mitarbeiter, die in Irland sozialversichert sind. Der Europäische Gerichtshof wies weiter darauf hin, dass bei der Beurteilung des Formulars E 101 Gesichtspunkte wie Sozialdumping keine Rolle spielen dürften. Ryanair will inclusive Zinsen 15 Millionen Euro von den französischen Sozialbehörden zurückfordern. Die Fluggesellschaft kündigte an, ein ähnliches Verfahren in Italien anzustrengen, weil man dort eine ähnliche Situation wie in Frankreich vorfinde.