Weg vom Pazifismus

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Japan weitet die Rolle seines Militärs aus. Kritiker sehen darin einen Verstoß gegen die pazifistische Verfassung und eine Untergrabung der Demokratie.

Am Ende war all der erbitterte Widerstand im Volk und seitens der Opposition vergebens. Japans rechtskonservativer Regierungschef Shinzo Abe hat sich über sämtliche Bedenkenträger hinweggesetzt – und sein politisches Prestigeprojekt durchgeboxt. Nach langer Kontroverse hat das Land die größte Änderung seiner Sicherheitspolitik seit dem verlorenen Zweiten Weltkrieg vollzogen.

Das Parlament setzte jene umstrittenen Sicherheitsgesetze in Kraft, die künftig Kampfeinsätze der bislang bewusst „Selbstverteidigungsstreitkräfte“ genannten Truppen im Ausland ermöglichen. Damit erhält Japan das Recht zur „kollektiven Selbstverteidigung“ und darf in Konflikten an der Seite von Verbündeten wie den USA kämpfen, selbst wenn die 128-Millionen-Einwohner-Nation nicht direkt angegriffen wird.

Verfassungswidrig?

Aus Sicht von Kritikern ist die pazifistische Nachkriegsverfassung des Landes damit zur Makulatur geworden. Selbst viele Verfassungsrechtler halten das Vorgehen der Regierung Abe für verfassungswidrig. Der Abschied von der bisher rein defensiven Ausrichtung des Staates hat zu den größten Massenprotesten seit fünf Jahrzehnten geführt.

Angetrieben wird die Protestbewegung von jungen Studenten, die laut aussprechen, was Umfragen zufolge die Mehrheit der Bevölkerung denkt. „Die Leute sind wütend“, sagte Aki Okuda, einer der Anführer der im Mai gegründeten Gruppe „Students Emergency Action for Liberal Democracy“ (SEALDs).

Keine ausreichenden Gründe

Abe habe keine ausreichenden Gründe dargelegt, warum die Sicherheitsgesetze nötig seien. Dass er sie dennoch allein auf der Basis einer Uminterpretation der pazifistischen Verfassung durch das Parlament gepeitscht habe, verstoße gegen die Demokratie und Verfassung.

Doch Abe blieb hart und nutzte seine stabile Mehrheit im Parlament. Seine Unterstützer argumentieren, die Realität habe die Ideale der pazifistischen Verfassung längst überholt.

Gegengewicht zu China

Japan soll künftig als gleichwertigerer Partner an der Seite der USA ein Gegengewicht zu China bilden. Chinas Aufstieg zur militärischen und wirtschaftlichen Großmacht hat zu Spannungen mit dessen Nachbarn wie auch mit den USA geführt, die ihre eigene hegemoniale Position in Ostasien bewahren wollen. Um sich der Unterstützung des amerikanischen Verbündeten im Falle eines Konflikts mit China oder Nordkorea zu versichern, sah sich Japan unter Druck, das Sicherheitsbündnis mit den USA zu verstärken.

Dass Japan seine Sicherheitspolitik anpasst, ist an sich nicht neu. 1990 war dem Land noch „Scheckbuchdiplomatie“ vorgeworfen worden, weil es sich am ersten Golfkrieg wegen der Vorgaben seiner Verfassung nur finanziell beteiligt hatte. Nach dieser Erfahrung schuf Japan die rechtlichen Grundlagen, um erfolgreich an friedenssichernden Militäreinsätzen der Vereinten Nationen teilzunehmen. Damit gewann das Land an internationalem Ansehen.

2001 kam die Wende

Seit Japan 2001 seine Unterstützung für den „Krieg gegen den Terror“ erklärte, nahm es die Rolle als aktiver Verbündeter der USA immer mehr wahr. So unterstützte Japan die Vereinigten Staaten logistisch beim Krieg in Afghanistan und schickte beim zweiten Irak-Krieg eigene Soldaten für humanitäre Maßnahmen in befriedete Gebiete, wobei diese von Kampftruppen anderer Länder verteidigt werden mussten.

Japan gehört längst zu den Nationen mit den weltweit höchsten Rüstungsausgaben. Und das alles trotz des Pazifismusartikels 9 der Verfassung, wonach Japan im Grunde genommen kein Militär unterhalten darf. Nicht zuletzt wegen solcher Widersprüche pochte Abe auf eine grundlegende Anpassung der Sicherheitspolitik. Das Land könne so an Glaubwürdigkeit gewinnen, sagen die Befürworter.

Abe: „Japan bleibt ein friedliches Land“

Japan ist seit dem Zweiten Weltkrieg ein ausgesprochen friedliches Land. Abe versichert, dass sich daran auch nichts ändern werde. Doch sei es nötig, dass Japan aktiver als bisher auf das sich verändernde sicherheitspolitische Umfeld reagieren könne. Abe spricht gern von einem „proaktiven Beitrag“ für den Weltfrieden.

In China, dessen Verteidigungshaushalt seit Jahren stark wächst, verfolgt man Japans neue Rüstungsanstrengungen mit Misstrauen. Immer wieder weist Peking dabei auf Japans Umgang mit seiner Kriegsvergangenheit hin, die das Land anders als Deutschland nicht genügend aufgearbeitet habe. Gerade Abe wird vorgeworfen, Japans Vergangenheit mit seiner nationalistischen Haltung zu beschönigen.

Massiver Widerstand im eigenen Land

Die Massenproteste in Japan zeigen jedoch, dass auch viele in seinem eigenen Land dem Regierungschef nicht über den Weg trauen. Auf Protestplakaten war er vereinzelt gar mit Adolf Hitler verglichen worden.

Nun wird Abe zeigen müssen, dass der Vorwurf eines neuen Militarismus weder der Realität noch seiner Absicht entspricht. Nächstes Jahr finden Wahlen zum Oberhaus statt. Auch deswegen pochte die Regierung auf die zügige Verabschiedung der Gesetze – in der Hoffnung, dass sich der Aufschrei im Volk bis dahin gelegt hat.