Freitag7. November 2025

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„Unesco muss näher an die Menschen heran“

„Unesco muss näher an die Menschen heran“
(dpa)

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Die Unesco gilt als verschnarchte Institution. Vor gut einem Jahr übernahm erstmals eine Frau die Leitung der UN-Organisation. Die 58 Jahre alte Bulgarin Irina Bokowa zeigt sich als Reformerin.

„Die Unesco ist nicht nur eine Denkfabrik“, sagte Bokowa in einem dpa-Interview. Sie müsse näher an die Menschen heran – und beispielsweise in Haiti lehren, wie man erdbebensichere Häuser baut.

Sie haben sich im vergangenen Jahr nach langem, erbitterten Ringen gegen den ägyptischen Kulturminister Faruk Husni durchgesetzt. Wie sind Ihre Beziehungen heute zu Ägypten und den anderen Ländern, die Husni unterstützten?

Irina Bokowa: „Den Wahlkampf habe ich längst vergessen. Ich habe es damals als Freundschaftsspiel empfunden. Meine erste Reise nach dem Amtsantritt ging nach Ägypten, wo man mir sehr freundlich entgegengekommen ist. Seitdem arbeiten wir eng zusammen. Was zählt, ist, dass die Unesco vorankommt. Ich unterscheide nicht zwischen Ländern, die meine Kandidatur unterstützt haben und denen, die das nicht getan haben.“

Sie sind die erste Frau auf dem Posten und auch die erste Osteuropäerin. Inwiefern sind sie deswegen besonders für Ihre Aufgabe geeignet?

„Als erste Frau auf diesem Posten sind die Erwartungen sicher besonders hoch – eine typische Situation für Frauen. Dass ich aus dem Osten komme, erlaubt mir vielleicht ein mutigeres Herangehen an die Reformen. Schließlich haben wir im Osten tiefgreifende Reformen erlebt, zum Glück auf friedliche Weise.“

Sie haben gesagt, Sie würden gern die legendäre Bürokratie der Unesco bekämpfen. Gibt es erste Ergebnisse?

„Wir haben Verwaltungskosten reduziert, Abteilungen zusammengelegt, Kommunikationswege verkürzt. Ich habe ein neues Management-Team aufgebaut, das flexibler und direkter handeln kann. All dies zahlt sich aus, es herrscht Aufbruchsstimmung im Haus.“

Und wie sieht es mit den allgemeinen Reformen aus?

„Die Unesco ist sichtbarer geworden. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass im Abschlussdokument der UN-Vollversammlung erstmals die Verbindung von Kultur und Entwicklung ausdrücklich erwähnt ist. Die Unesco hat schneller auf Katastrophen wie in Haiti und Pakistan reagiert. Ich werde mich auch weiter dafür einsetzen, dass die Unesco in solchen Krisensituationen vor Ort ist.“

Wo sehen Sie denn noch Herausforderungen?

„Die Unesco muss relevanter werden, flexibler und schneller reagieren. Sie wird derzeit nicht als eine Entwicklungsagentur wahrgenommen. Viele denken, unsere Aufgabe sei es, in Paris zu hocken und uns Grundsatzüberlegungen zu widmen. Natürlich funktionieren wir als eine Denkfabrik. Aber wir müssen auch vor Ort sein, näher an die Menschen heran, um glaubwürdig zu sein.“

Das Jahr 2010 hatte die Unesco zum Jahr der Annäherung der Kulturen ausgerufen. Was hat das gebracht, was bleibt davon übrig?

„Themen wie Dialog, interkultureller Austausch, Toleranz, Versöhnung und kulturelle Diversität haben innerhalb der Unesco wieder an Bedeutung gewonnen. Wir haben einen Expertenrat zu Frieden und Dialog der Kulturen mit intellektuellen Persönlichkeiten aus der ganzen Welt organisiert und insgesamt etwa 1000 Initiativen in verschiedenen Mitgliedsländern unterstützt.“

Hat die Finanzkrise Auswirkungen auf die Arbeit der Unesco?

„Einige Länder denken offenbar daran, ihre Unterstützung außerhalb ihres Pflichtbeitrags zu reduzieren. Ich fürchte, in der Zukunft könnten wir Probleme bekommen. Wenn einige Länder schwere Einschnitte planen, könnte uns das auch treffen.“

Welche Bedeutung hat Deutschland für die Unesco?

„Deutschland ist ein sehr wichtiges Land, nicht nur weil es ein großer Beitragszahler ist und auch außerhalb des Budgets Beiträge leistet. Die deutsche Unesco-Kommission ist eine der aktivsten. Sie arbeitet beispielsweise eng mit den afrikanischen Unesco-Kommissionen zusammen. Wir hoffen sehr, dass Deutschland bald die Konvention zum immateriellen Kulturerbe ratifiziert. Ich finde es nicht normal, dass ein Land wie Deutschland da außen vor bleibt.“

Was hat Sie in Ihrem ersten Jahr an der Spitze der Unesco am meisten beeindruckt?

„Was ich in Haiti und Pakistan gesehen habe, gehört zu den schlimmsten Szenen, die ich je gesehen habe. Die Unesco muss stärker präventiv arbeiten. Ein Beispiel: Wir haben jahrelang daran gearbeitet, die Ruinen von Mohenjo-Daro in Pakistan vor Hochwasser zu schützen. Deswegen konnte die Stätte beim jüngsten Hochwasser gerettet werden. Wir haben nach dem Erdbeben in Haiti damit begonnen, den Menschen beizubringen, wie man erdbebensicher bauen kann.“

Was ist Ihr persönlicher Favorit auf der Welterbe-Liste?

„Da würde ich natürlich gern sagen: das Thrakergrab von Kasanlak in Bulgarien. Aber dann gerate ich unter Verdacht, zu national zu sein. Ehrlich gesagt, jedes Mal, wenn ich eine neue Stätte besuche, denke ich, dass dies die schönste ist.“