Eingereiht gegen die Atomkraft

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Die Szene erinnert an längst vergangene Zeiten: Auf der Bundesstraße 431 zwischen Glücksstadt und Elmshorn, mitten auf dem platten Land in Schleswig-Holstein stehen Hunderte Menschen in einer langen Reihe nebeneinander.

Sie halten sich an den Händen, tragen Fahnen mit der Aufschrift: „Atomkraft – Nein Danke!“ Es ist die seit Jahrzehnten größte Protestaktion gegen Kernenergie, in die sich am Samstag mehr als 100.000 Menschen eingereiht haben Sie stehen auf einer Stecke von 120 Kilometern zwischen den Reaktoren Brunsbüttel und Krümmel, vorbei am Meiler Brokdorf und quer durch die Millionenstadt Hamburg. Seit 1983 hat es eine derart massive Demonstration gegen Atomkraft nicht mehr gegeben.
Aus vielen Teilen Republik sind an diesem Samstag die Menschen dem Aufruf des Bündnisses aus Umweltverbänden, Parteien, Gewerkschaft und anderen Gruppierungen gefolgt, um zum Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl und zwei Wochen vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ein Zeichen zu setzen. In mehr als 200 Bussen, drei Sonderzügen und vielen Autos reisten die Atomkraftgegner in die sonst eher beschauliche norddeutsche Region in nächster Nähe zu Elbe und Nordseeküste. Das Signal geht auch an die Regierung aus CDU und FDP in Berlin, wo derzeit über eine Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken diskutiert wird.

Auftakt des Widerstandes

Kurz vor der Landtagswahl im schwarz-gelb regierten Nordrhein-Westfalen haben die Oppositionsparteien im Bundestag die Gelegenheit genutzt, um sich medienwirksam dem Prostest anzuschließen. SPD-Chef Sigmar Gabriel und die Grünen-Fraktionsvorsitzenden Jürgen Trittin und Renate Künast gingen begleitet von zahlreichen Kamerateams auf der Bundesstraße 431 mit wehenden Fahnen und Spruchbändern einander entgegen. Dann fassten sie sich an den Händen und reihten sich in die Menschenkette ein.

SPD-Chef Gabriel beschwor dabei die Wiedergeburt der Anti-AKW-Bewegung: „Das ist der Auftakt des Widerstandes“, rief er in die Mikrofone der Reporter. „Die Menschen waren froh darüber, dass der Ausstieg aus der Atomkraft Schritt für Schritt passiert ist. Jetzt wollen CDU und FDP das sogar bis zu 28 Jahre verlängern. Dagegen werden sich die Menschen ziemlich wehren.“

Bisher gab es keinen Grund zu kämpfen

Angereist waren die Parteispitzen in Bussen aus Berlin zusammen mit Parteimitgliedern und Sympathisanten. Isabel Winzer, 24, war auch mit dabei. Sie steht im weißen Ganzkörper-Schutzanzug und mit einer Juso-Fahne in der Kette. „Bisher gab es ja keinen Anlass dazu, die Anti-AKW-Bewegung weiter zu betreiben. Es lief ja alles gut. Aber jetzt haben wir wieder einen Grund zu kämpfen.“ Winzer ist eines von vielen jungen Gesichter, die oft bunt geschminkt in der Reihe zu sehen sind. Dazwischen glänzen an diesem Tag auch viele ergraute Köpfe in der Sonne, auch der von Michael Schraeren, 60, aus Berlin. Er war nach eigenem Bekunden schon 1975 in der Bewegung mit dabei. „Die schwarz-gelbe Regierung hat sich in eine babylonische Gefangenschaft der Atomindustrie begeben“, sagt Schraeren und zitiert damit die oft von Trittin geäußerten Worte. Man brauche die Kernkraft nicht als Brückenenergie: „Die erneuerbare Energien sind schneller gewachsen als jeder gesagt hat.“

Menschen in der Atom-Region unterstützen

Einige Kilometer weiter in dem kleinen Ort Elmshorn ist die Kette dichter geschlossen als auf den weiten Landstraßen. Hier hat sich eine Gruppe junger Menschen aus Köln zwischen die einheimische Bevölkerung gesellt. Andreas Prost, 31, und seine Mitstreiter sind am frühen Morgen aufgebrochen, weil „wir die Menschen hier in dieser Region unterstützen wollen“. Schließlich stünden mit Brunsbüttel, Krümmel und Brokdorf gleich drei Meiler in nächster Umgebung. „Das Festhalten an der Atomenergie quer durch viele politische Lage ist ein alarmierendes Zeichen“, sagt Prost weiter. Als die Kette um 15 Uhr geschlossen ist, nach La-Ola-Wellen und Sprechchören wie: „Hände weg vom Atomausstieg“, löst sich die Reihe allmählich auf, die Mensch schlendern zu den Bühnen, die entlang der Strecke aufgebaut wurden. Am AKW Brunsbüttel tritt neben den politischen Sprechern auch der Musiker Jan Delay auf. Viele Hundert gerade junge Menschen haben sich dort versammelt. Zwischen seinen Songs streut Delay auch politische Botschaften ein: „Gegen AKWs und für erneuerbar Energien!“, ruf er, „damit mir morgen noch feiern können.“ Das Publikum jubelt.

APD