Belgien: Drama um Regierungsbildung spitzt sich zu

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Fünf der sieben Parteien, die seit Anfang Juli Vorverhandlungen über die Bildung einer neuen belgischen Regierung beraten, hatten gestern den ultimativen Kompromiss des sogenannten Präformators Elio Di Rupo (PS) angenommen.

Von unserem
Korrespondenten
Joseph Lehnen

 

Doch da zwei flämische Parteien, darunter die separatistische flämische N-VA unter Bart De Wever, den Text ablehnten, hatte sich der frankophone Sozialistenchef desavouiert gesehen und in den frühen Abendstunden den Staatschef gebeten, ihn von seiner Mission zu entbinden. König Albert II., der soeben aus Küssnacht zurückgekehrt war, wo er an den Gedächtnisfeiern zum Tode seiner Mutter, Königin Astrid, teilgenommen hatte, nahm sich drei Stunden Zeit für seinen Präformator und lehnte dann nicht nur dessen Rücktrittsantrag ab, sondern forderte ihn auf, seine Mission fortzusetzen.

Heute um 11.30 Uhr will Di Rupo auf einer Pressekonferenz im Internationalen Saal des Parlaments in Brüssel den Journalisten über die dramatischen Stunden Rede und Antwort stehen.

N-VA und CD&V lehnen Kompromiss ab

Am 8. Juli hatte der Vor-Regierungsbildner die flämischen und frankophonen Sozialisten (SP.A und PS), Christdemokraten und Humanisten (CD&V und CDH), die Grünen (Groen! und Ecolo) sowie die flämischen Separatisten (N-VA) an einen Tisch gebracht und versucht, die Steine aus dem Weg zu räumen, die einer Regierungsbildung im Wege lagen. Gestern erteilten die flämischen Nationalisten und in ihrem Sog die flämischen Christdemokraten den jüngsten Lösungsvorschlägen eine Absage.

Dabei gingen diese Vorschläge eindeutig in Richtung der flämischen Forderungen, hatte Di Rupo doch die Refinanzierung der Hauptstadt Brüssel an das Gesamtpaket der Umstrukturierung der belgischen Staatsfinanzen gekoppelt. Den flämischen Grünen und den flämischen Sozialisten reichte dieser Vorschlag. Den frankophonen Parteien sowieso, sollte doch für Brüssel bis zum Jahre 2014 eine halbe Milliarde Euro jährlich zugesichert werden.

Di Rupo hatte die Rechnung ohne N-VA-Parteichef De Wever gemacht, der in dem Text nicht ausreichend Garantien für die tatsächliche Umsetzung seiner Forderungen fand: „Wir sind nicht dazu bereit, Brüssel einen Blankoscheck auszustellen.“ So sahen es auch die flämischen Christdemokraten, waren aber zu weiteren Verhandlungen bereit. Damit waren die Würfel gefallen. Präformator Di Rupo beantragte eine Audienz beim König, die der Staatschef ihm kurz nach seiner Rückkehr aus Küssnacht auch gewährte und die drei Stunden dauern sollte.

Es blieb nach dem Fortgehen Di Rupos kurz nach 21 Uhr lange Zeit undeutlich, wie das Gespräch verlaufen war. Dann wurde klar, dass Di Rupo nicht nur in einer Sackgasse gelandet war, sondern auch in einer Zwickmühle saß. Er sitzt jetzt mehr als je zuvor zwischen frankophonen und flämischen Belgientreuen und den flämischen Separatisten. Und er muss den Auftrag des Königs ausführen. Ein Rückzug wurde ihm untersagt. Doch es ehrt Di Rupo doppelt, dass er den neuen Auftrag angenommen hat.

Kurz vor seinem Gang zum Staatschef ließ Di Rupo von seinem Sprecher ein ungewöhnliches Kommuniqué verbreiten: „Elio Di Rupo hatte nach der letzten Versammlung mitgeteilt, dass er für Vorschläge offen stehe. Fünf Parteien haben positiv auf die Bitte reagiert und haben ihren Wunsch nach einem ausgeglichenen Kompromiss wiederholt.

Es handelt sich dabei um SP.A, Groen!, CDH, Ecolo und PS. N-VA und CD&V haben nicht positiv geantwortet. Ich werde um 18 Uhr zum König gehen und über meine Mission Bericht erstatten. Morgen Montag gebe ich um 11.30 eine Pressekonferenz im Internationalen Saal des Abgeordnetenhauses.“

König weitet Di Rupos Mission aus

Ungewöhnlich war dieses Kommuniqué, weil der Präformator die Antwort oder Reaktion des Königs erst gar nicht abgewartet und einen Pressetermin anberaumt hatte. Damit hatte er dem belgischen Staatsoberhaupt wenig Spielraum für eine Eigeninitiative gelassen. Dieser ließ sich davon nicht beeinflussen und nutzte die Gelegenheit, um die Mission Di Rupos noch auszuweiten. Jetzt wird er sich zusammen mit den politischen Parteien nicht nur um die Reform des Staates und die Finanzierung der Teilstaaten kümmern, sondern auch noch die Sozialpartner, Arbeitnehmer- und Arbeitgeberschaft, zu Rate ziehen müssen.