Zeitenwende

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

„Und dann wird auch noch der letzte Kommunist zum Herrgott (...), der das Paradies umbauen will“, meinte am Sonntag vor dem Kongress der Linken deren einziger Abgeordneter, André Hoffmann. Die Bemerkung wurde mit johlendem Beifall quittiert. Obwohl sie so eigentlich nicht ganz korrekt ist.

Als pensionierter Professor weiß Hoffmann natürlich genau, dass in diesem modernen Märchen der einzige mit kommunistischer Vergangenheit der Erzähler ist. Aber karikaturistische Überzeichnung gehört nun mal zum politischen Geschäft.

Doch zum Kern der Sache: Wie sich das für gute Märchen so gehört, steckt in der Aussage natürlich ein wahrer Kern: Umbauen, das wollen doch eigentlich alle, quer über die politische Bandbreite. Einschließlich der Linken. Oder?

Strittig ist allerdings, wie dieser Umbau aussehen soll. Keine einfache Ausgangsbasis demnach für die Tripartite-Verhandlungen, die morgen Mittwoch beginnen. Zumal es dem „Herrgott“ nicht gelang, im Vorfeld eine Annäherung der Positionen von Patronat und Salariat herbeizuführen.

Vor allem die Patronatsseite zeigt sich diesmal total unflexibel. Das mag zum einen daran liegen, dass dort inzwischen Vertreter multinationaler Konzerne den Ton angeben und die Interessen der kleinen und mittleren Unternehmen kaum noch repräsentiert sind, wie das in den 1970er Jahren der Fall war, als die Dreierrunde geschaffen wurde.

Das liegt aber auch daran, dass das Patronat in der Person des eigentlich zur politischen Neutralität verpflichteten Gouverneurs der Zentralbank, Yves Mersch, einen gewichtigen Lobbyisten gewinnen konnte.

Die Krise polarisiert

Doch unabhängig von diesen luxemburgischen Besonderheiten: Die letzten Wochen und Monate haben deutlich gemacht, dass die Krise polarisiert. In ganz Europa. Bei den Regionalwahlen am Sonntag in Frankreich wurden der extrem linke und – leider – auch der extrem rechte Rand gestärkt, während die politische Mitte, zu der lange Zeit alle hindrängten, praktisch in der Bedeutungslosigkeit verschwand.

Besonders schwer erwischte es die UMP, für die Jean-Claude Juncker in der Lorraine als Vertreter der luxemburgischen Schwesterpartei CSV noch mit in die Arena gestiegen war. Sozialdemokratisches Gedankengut ist im Gefolge der Krise wieder im Kurs der Wähler gestiegen.

Die Menschen verlangen nach Sicherheit und sozialem Rückhalt. Vorbei die Zeiten, als jeder sein Glück als Einzelkämpfer versuchen und oft auch finden konnte. Die Krise hat klar gezeigt: Wenn es eng wird, ist Solidarität die einzige Waffe des kleinen Mannes.

80 Prozent der Ostdeutschen und 72 Prozent der Westdeutschen könnten sich laut einer gestern veröffentlichten, repräsentativen Emnid-Umfrage sogar vorstellen, in einem sozialistischen Staat zu leben, so lange für Arbeitsplätze, Solidarität und Sicherheit gesorgt ist.

Dass sich jeder Vierte in Ost und West sogar „manchmal“ die Mauer zurückwünscht, dürfte ein Gedanke sein, auf den wohl kaum ein Luxemburger kommt. Der Wunsch nach sozialer Sicherheit für sich und seine Familie ist dagegen einer, der auch hierzulande bei den meisten Lohnbeschäftigten ganz oben steht.

Die Basis der LSAP hat bei dem Kongress am Sonntag der Parteispitze einen riesigen Vertrauensbonus gegeben, als sie darauf verzichtete, einen engen Verhandlungsrahmen für die Tripartite abzustecken. An den Regierungsvertretern, dieses Vertrauen zu honorieren. Auch auf das Risiko hin, dass die Verhandlungen mit einer Nichteinigung enden und die Koalition platzt.

Es gibt in diesem Streit nicht viel zu gewinnen, aber alles zu verlieren.

Léon Marx
lmarx@tageblatt.lu