Will Berlin sich fortan seine Partner je nach innenpolitischer Gemütslage oder nationalen Interessen aussuchen, statt wie bisher „im Zweifel mit dem Westen“ zu sein? Was bedeutet dies für die Nachbarländer und für Europa? Deutschland hat für großen Wirbel und viel Unverständnis bei seinen Partnern gesorgt, als es sich vor zwei Wochen im UN-Sicherheitsrat beim Votum über den Libyen-Einsatz (UN-Resolution 1973) durch seine Enthaltung auf die Seite von China und Russland stellte. Zudem sorgte Außenminister Guido Westerwelle für Erstaunen, als er etwas von „neuen Partnern“ schwafelte.
" class="infobox_img" />Sascha Bremer
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Dabei stieß Berlin seine traditionellen Partner USA und Frankreich mehr als nur vor den Kopf. Kritik über diese Haltung kam aber nicht nur von diesen, sondern auch massivst aus den Reihen der CDU/CSU und der FDP. Lob hingegen gab es von der Linkspartei. Muss man sich jetzt auf eine neue, unbekannte und deshalb zwangsläufig angsteinflößende Berliner Außenpolitik einstellen?
In der Tat scheint es einen Bruch gegeben zu haben. Unter der Federführung von Guido Westerwelle hat Deutschland quasi über Nacht und unvorhersehbar wegen der Libyen-Frage mit dem wichtigsten Prinzip seiner Außenpolitik gebrochen: der Doktrin der Westbindung.
Historisch gesehen hatte diese Doktrin vor allemdas Ziel, die BRD, nach dem 2. Weltkrieg und nach Auschwitz, aus der diplomatischen und politischen Isolation herauszuführen. Die Westbindung war sozusagen der Schirm, welcher die westlichen Sieger- und Besatzungsmächte spannten, damit eine deutsche Außenpolitik überhaupt möglich war. Da diese Länder aber die Außenpolitik der BRD unter ihre Fittiche und damit unter ihre Kontrolle nahmen, wurde einem Wiederaufflammen des deutschen Bellizismus oder Revanchismus wie nach 1918 ein Riegel vorgeschoben.
Die BRD machte sich dadurch berechenbar, flößte ihren Nachbarn keine Angst mehr ein, konnte somit wieder behutsam ins Konzert der Großen einsteigen und wurde zudem durch den Marshallplan wirtschaftlich unterstützt. So entstand im Westen eine Win-win Situation für Sieger und Besiegte. Und hier liegt eines der Fundamente für die spätere Geburt der Römischen Verträge, den Frieden und relativen Wohlstand in Europa.
Poltern und Zickzack-Kurs
Westerwelles Entscheidung, hiermit zu brechen, wurde aber kaum bis überhaupt nicht aus pazifistischen Gründen getroffen, sondern war rein wahltaktischer Natur. Man kann sogar annehmen, dass sie nicht von Dauer sein wird, da Deutschland sich – oh Wunder – damit wieder isoliert hat. Die Kollateralschäden und die Verärgerung der Nachbarn über das „neue Selbstverständnis“, wenn es denn tatsächlich eins ist, sind allerdings nicht zu unterschätzen. Heute ist es so, als ob sich viele Politiker des wiedervereinigten Deutschlands nicht bewusst seien, welche wirtschaftliche Dominanz das Land mittlerweile in Europa ausübt. Wenn dann auch noch Politiker wie Steinbrück und Müntefering polternd gegen die kleinen Nachbarn auftreten, dann führt dies zu Ängsten und Unbehagen. Der Zickzack-Kurs, den die Regierung Merkel in der Eurokrise und eben jetzt in der Außenpolitik hinlegt, hat ganz ähnliche Konsequenzen. Der Ton macht bekanntlich die Musik, und den trifft man seit geraumer Zeit in Berlin nicht mehr, wahrscheinlich weil die politische Partitur nur noch auf den einheimischen, kurzweiligen Musikgeschmack ausgerichtet ist und das Orchester ohnehin von drittklassigen Musikanten besetzt ist.
Deshalb gibt es aber noch lange keinen Grund zur übertriebenen Sorge, auch und besonders, weil man der deutschen Bevölkerung weder Demokratiefeindlichkeit noch ein Bestreben nach absoluter Dominanz in Europa vorwerfen kann.
Die eigentliche Frage ist demnach nicht, was will Deutschland, sondern, was wollen Frau Merkel und Herr Westerwelle? Leider haben sich beide bislang dadurch ausgezeichnet, dass sie eher zu Bauchentscheidungen neigen, statt eine langfristige, gemeinsam mit den Partnern durchdachte Politik zu führen. Aber das kennt man ja auch aus Frankreich.
De Maart
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