Vorbild M.-J. Jacobs

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Politiker reden gerne und viel. Schon aus rein statistischer Sicht ergibt sich daraus, dass es des Öfteren vorkommt, dass sie, die Politiker, im Eifer des Gefechts einen bestimmten Gedanken, eine bestimmte Idee äußern, ohne diese vollends auf mögliche (nicht nur politische) Konsequenzen oder Reaktionen hin überdacht zu haben.

Was an und für sich nicht sonderlich schlimm wäre. Aber: Erweist sich eine Aussage in der Folge dann als falsch bzw. folgt öffentlich Kritik und riskiert diese, die Popularität des besagten Politikers zu gefährden, ist die Argumentation des inkriminierten Politikers fast ausnahmslos immer die gleiche: Man wurde missverstanden, alles ist nicht so, wie es dargestellt wurde. Schuld sind demnach immer die anderen. Allen voran die Medien, die in regelmäßigen Abständen die Aussagen der Politiker (bewusst oder unbewusst) „verdrehen“.

Tom Wenandy twenandy@tageblatt.lu

Die Tatsache, dass die allermeisten Politiker nicht in der Lage sind, ihre Fehler offen zuzugeben, reicht eigentlich schon aus als Beweis für die Theorie, dass es vielen Volksvertretern weniger um den Willen oder die Meinung des gemeinen Wahlvolkes, sondern vielmehr um die eigene Wiederwahl geht. Wobei man sich die Frage stellen kann, ob Letzteres (das tumbe Wahlvolk) es „seinen“ Politikern nicht anrechnen würde, wenn diese das eine oder andere Mal ihre Fehler zugeben würden. Aber dieses unkalkulierbare Risiko wird so schnell wohl kein Politiker auf sich nehmen.

Blöde Bürger

Ein relativ aktuelles, praktisches Beispiel für ein wie oben beschriebenes „Missverständnis“ ist die jüngste Entscheidung der Regierung, die finanzielle Unterstützung für Asylbewerber um drei Viertel zu kürzen. Kurz nach Bekanntgabe der Neuregelung hat die zuständige Familien- und Integrationsministerin Marie-Josée Jacobs die Maßnahme noch ohne zu relativieren verteidigt. Die „Anpassung“ der Sozialhilfe auf das Niveau der Nachbarländer sei notwendig, um den sogenannten Asyltourismus einzudämmen, hieß es.

Der ganz große Aufschrei in der Bevölkerung blieb aus (warum bloß?), die Tatsache, dass wegen einiger sicherlich existierender unlauterer Asylbewerber alle anderen Hilfesuchenden mitbestraft werden, schien kaum jemanden zu stören. Nichtsdestotrotz reichte die (negative) Reaktion einiger weniger Medien und Vereinigungen aus, um die Ressortministerin zu einer Revision ihrer ursprünglichen Aussage zu bewegen. Auf einmal – man höre und staune – sind die 25 Euro, die jedem Asylbewerber pro Monat großzügigerweise zugestanden werden, nur noch ein „Taschengeld“, wie Marie-Josée Jacobs am vergangenen Dienstag im zuständigen Parlamentsausschuss präzisierte. Zusätzliche Gutscheine sollen dafür sorgen, dass die Grundbedürfnisse der Asylbewerber gedeckt werden. Alles eine große „Fehlinterpretation“ demnach?

Mitnichten! Hier wurde schlicht und ergreifend, auch öffentlichkeitswirksam, „nachgebessert“. An der Tatsache, dass man aber mit 25 Euro pro Monat – Gutscheine hin oder her – in Luxemburg kaum am normalen Leben teilhaben kann (was vielleicht ein Ziel der Flüchtlingspolitik sein könnte), hat sich nichts geändert.

In diesem Fall, aber auch in allen anderen Fällen, in denen Politiker ursprünglich „missverstanden“ werden, kommt man nicht um eine Frage herum: Für wie blöd halten die Politiker „ihre“ Bürger eigentlich? Aber sei’s drum. Jedes Volk kriegt das (bzw. die Politiker), was es verdient. Und außerdem: Marie-Josée Jacobs wird aufgrund ihrer Politik innerhalb der Regierung wahrscheinlich zu einer Art Vorbild avanciert sein. Zumindest einzelne Ministerkollegen dürften mit Bewunderung und möglicherweise etwas Neid zur Kenntnis genommen haben, mit welcher verhältnismäßigen (auch rhetorischen) Leichtigkeit die CSV-Politikerin luxemburgische Standards mir nichts, dir nichts auf ausländisches Niveau heruntergefahren hat. Ein Luc Frieden zum Beispiel – Stichwort Index oder Mindestlohn – kann hiervon nur träumen.