Verrückter Einzelgänger?

Verrückter Einzelgänger?
(dpa)

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Eine hypokritische Empörungswelle machte sich dieser Tage unter den rechtsextremen und rechtspopulistischen Parteien Europas breit.

Empörung darüber, dass nach den Morden in Oslo von Frankreich über Österreich bis nach Russland in der Öffentlichkeit darüber diskutiert wird, inwiefern ihre Thesen und Stimmungsmache als Inspirationsquelle für Anders Behring Breivik galten.
Nun kann es durchaus sein, dass Breiviks Tat nicht in einen direkten, unmittelbaren Zusammenhang mit der ständigen pauschalen Hetze gegenüber ganzen Gruppen eines Front national, einer FPÖ, einer NPD oder der englischen EDL gebracht werden kann. Jedoch sind die Rechtspopulisten in den letzten Tagen berechtigterweise verstärkt in die Defensive geraten.
Die politischen Zentralen dieser Gruppierungen, welche sonst so großmäulig gegen den scheinbar überall grassierenden „Kulturmarxismus“, das Gutmenschentum, die Immigration und sogar die „Invasion des Islamofaschismus“ wettern, müssen sich nun Vorwürfe gefallen lassen, ihre Thesen hätten den Nährboden für die Morde von Oslo bereitet.
In den verzweifelt wirkenden und deshalb überstürzten Versuchen der europäischen Rechtspopulisten, Distanz zwischen sich und den Attentaten in Oslo bzw. der Person Breivik herzustellen, fallen dann für ihre „normalen Verhältnisse“ schon fast verharmlosende Urteile über die Tat und den Täter. Da heißt es dann über Breivik „der Psychopath“ (Kommuniqué der ADR), der „déséquilibré solitaire“ (Front national), und die Rede geht von „Anschlägen eines Ökobauern“ (NPD-Präsidium).
„Wäre er (Anders Breivik, Anm. der Red.) Muslim …, dann könnten wir davon ausgehen, dass solche Urteile nicht gefällt worden wären“, meinte zu Recht der Kolumnist Seunas Milne vor kurzem im Guardian.

Sascha Bremer sbremer@tageblatt.lu (Bild: Tageblatt/Isabella Finzi)

Im Kontext

Man will uns glauben machen, dass das politische Wirken der Rechtspopulisten nie und nimmer mit den schrecklichen Taten in Norwegen in einen Kontext zu setzen ist. Das allerdings funktioniert diesmal nicht.
Anders Breivik mag allein gehandelt haben. In seinem Wahn gegenüber einer linken Verschwörung gegen das Nationale, in seiner Wut gegen die sich ändernden demografischen Verhältnisse, in seinem Hass gegen das Andere, in seiner Verklärung der guten, alten Zeit (als man noch „unter sich“ war in Europa) findet er in der Familie der europäischen Rechtspopulisten Gesinnungsgenossen.
Auch wenn jetzt alle oben genannten Parteien die Gewaltlosigkeit an ihre Fahne heften, können sie nur schwer leugnen, in den letzten Jahren Hemmschwellen abgebaut zu haben.
Sie tragen letztlich keine geringe Verantwortung daran, dass in den vergangenen Jahren, spätestens seit dem 11. September 2001, die Islamfeindlichkeit, in ihrer Pauschalität, verstärkt aufkam. Sie tragen Verantwortung für die Verbreitung der Idee, dass für die komplexesten Probleme scheinbar simpelste „Lösungen“ – warum nicht eine Knarre? – infrage kommen.
Die These des „verrückten Einzelgängers“ mag als Erklärung des Tathergangs genügen. Wenn man allerdings Erklärungsversuche für das „Warum“ und „Wieso“ der Attentate in Norwegen sucht – also Breiviks Inspirationsquelle, seine Motivationsgründe – dann reicht diese Ansicht kaum als Erklärungsversuch und schon gar nicht als Antwort aus.