Schwarz- rot-gold

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(dpa/Archiv)

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Nach Spanien nun Deutschland? Nicht ohne Stolz präsentierte nach dem Gewinn der Fußball-WM ein buntes deutsches Sportmagazin eine ellenlange Liste mit allen Weltmeistern aus unserem Nachbarland.

210 aktuelle deutsche WM-Titel wurden da aufgezählt. Zu erfahren war unter anderem, dass Corinna Schwiegershausen momentan die Welt-Titelträgerin im Hang-Gliding ist. Und dass die Deutschen außergewöhnlich dominant im Rhönradturnen, Aeromodelling, Ringtennis und Minigolf sind.

Philip Michel pmichel@tageblatt.lu

Das soll keineswegs abwertend klingen, denn auch – und gerade – diese Sportarten haben in der vom alles überragenden Fußball erdrückten Sportwelt ihre Daseinsberechtigung. In diesem Sommer feiern die Deutschen aber nicht nur in den sogenannten Randsportarten Erfolge, sondern gewannen neben dem WM-Titel in Brasilien auch ein Drittel aller Tour-de-France-Etappen. Und dass die Formel 1 seit zwei Jahrzehnten Deutsch spricht, ist kein Geheimnis. Erst dominierte Michael Schumacher, dann Sebastian Vettel und nun steht Nico Rosberg aus dem Mercedes-Werksteam an der Spitze der Fahrer-Wertung. Ob die Deutschen die Spanier als Europas Sportnation Nummer eins abgelöst haben, wird sich noch zeigen müssen.

Neue Wahrnehmung

Fest steht aber, dass Erfolgen deutscher Mannschaften vom Rest der Welt nicht mehr mit übergroßer Skepsis begegnet wird. Grund dafür ist laut dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel eine neue Wahrnehmung der Deutschen. Die Zeitenwende begann demnach mit der Fußball-Weltmeisterschaft 2006, als die Welt über ein fröhliches, entkrampftes Party-Volk staunte und kaum mehr eine Spur von Schwermut und Arbeitswut zu finden war. „Die Deutschen sind ein Volk geworden, sind Deutsche geworden.“ Und: „Vorsilben (gemeint sind Ost und West) braucht es nicht mehr. Das entkrampft erheblich.“ Als Paradebeispiel für die vollzogene Einheit können die Fußballer Michael Ballack und Toni Kroos herhalten. Als Ballack 2004 Kapitän der DFB-Auswahl wurde, war seine Herkunft aus dem Osten ein großes Thema. Dass Deutschlands WM-Mittelfeldstratege Kroos aus Greifswald stammt, interessiere heutzutage niemanden mehr. Dazu ist Deutschland ein Einwanderungsland, was den Spiegel zu folgendem Fazit veranlasste: „Wir sind ein Volk, und zwar ein buntes. Auch das macht lockerer. Für die Nationalmannschaft sind die Migranten ohnehin unverzichtbar.“ In der Tat sind in erster Linie Özil und Co. dafür verantwortlich, dass aus dem einstmals weltweit geächteten ergebnisorientierten Dampfwalzenfußball ein bewundernswert schönes Spiel geworden ist.

Darüber kann, muss man sich aber nicht freuen. Schon gar nicht in Luxemburg, wo die Sympathiebekundung für die deutsche Mannschaft während dieser WM eine neue Dimension erreichte. Nie zuvor hatte es derartige Hupkonzerte nach deutschen Siegen auf unseren Straßen gegeben, nie zuvor waren so viele Luxemburger Autos mit schwarz-rot-goldenen Fan-Utensilien ausstaffiert worden. Ganz zu schweigen von der Masse an Jubelstürmen in den sozialen Netzwerken. Dass derartiges vor allem bei den älteren Generationen Unbehagen auslöst, darf nicht verwundern, schließlich marschierten „d’Preisen“ binnen einem halben Jahrhundert gleich zweimal im Großherzogtum ein und besetzten das Land.

Auf der einen Seite also Ressentiments, auf der anderen Begeisterung. Das Verhältnis der Luxemburger zu ihrem Nachbarn jenseits der Mosel bleibt zwiespältig, wobei das Pendel in den letzten Jahren nicht unbedingt in eine andere Richtung ausschlägt. Vielmehr hat das neue Selbstbild der Deutschen auf die schon seit jeher pro Deutschland eingestellten Luxemburger abgefärbt und sie dazu veranlasst, ihre Sympathie öffentlich zu bekunden. Was früher zweifellos ein Tabu war.